Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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und die Erziehung der Mitglieder zu gemeinsamer 
praktischer Arbeit zur Aufgabe setzen. 
2. Die staatliche Gewerbeförderung. 
Aufgabe des Staates ist es, der Initiative der 
Selbsthilfe den Weg zu ebnen, den Mittelstand 
durch eine weitsichtige Gesetzgebung in seinem 
Existenzkampfe zu unterstützen und so gesundere 
Verhältnisse im gewerblichen Arbeitsleben herbei- 
zuführen. Aufgabe der staatlichen Gewerbeförde- 
rung kann es indessen nur sein, die Grundlagen 
für eine erfolgreiche Selbsthilfe zu schaffen und 
die Energie und Leistungsfähigkeit der vorwärts- 
strebenden Berufsstände zu steigern. 
Dem preußischen Abgeordnetenhause hatten im 
Februar 1902 die Abgeordneten Dr Trimborn, 
Euler und Genossen, Dr Crueger und Genossen 
Anträge betreffend die Förderung des Kleinge- 
werbes unterbreitet, welche einer Kommission über- 
wiesen wurden. Letztere konnte bereits in der 
Sitzung vom 4. Juni 1902 Bericht darüber er- 
statten. Die Kommission faßte die Resultate ihres 
Berichtes in folgende sehr instruktive und be- 
achtenswerte Vorschläge zusammen. Es ser die 
königliche Staatsregierung zu ersuchen: 
1. Unter Fühlungnahme mit Vertretern des 
Handwerks, namentlich mit den Vorständen der 
Handwerkskammern, Innungsverbände, Genossen- 
schaftsverbände und Gewerbevereine, eine Förde- 
rung des Kleingewerbes insbesondere nach folgenden 
Richtungen in Erwägung zu ziehen: a) Veranstal- 
tung dauernder und zeitweiliger Ausstellungen von 
kleingewerblichen Motoren, Maschinen und Werk- 
zeugen in gewerblich entwickelten Orten; Unter- 
weisung in deren Gebrauch und die tunlichste Ver- 
breitung solcher unter den Handwerkern, insbeson- 
dere durch Vermittlung der Genossenschaften, und 
geeignetenfalls über bezügliche Fragen, insbesondere 
über Leistungsfähigkeit, Materialverbrauch, An- 
schaffungsgelegenheit und Preise derartiger Ma- 
schinen und Werkzeuge; b) Vorführung bewährter 
Arbeitsmethoden und technischer Fortschritte des 
Kleingewerbes in Lehrkursen; Vermehrung und 
weiterer Ausbau der Meisterkurse mit Unterweisung 
in der Buch= und Rechnungsführung; Erleichterung 
dieser Kurse durch Gewährung von Stipendien; 
Erteilung von Auskünften über alle einschlägigen 
Fragen; c) Förderung der Lehrlingsausbildung 
(Veranstaltung von Sammelausstellungen prä- 
miierter Lehrlingsarbeiten, Auszeichnung und Be- 
lohnung um die Lehrlingsausbildung besonders 
verdienter Meister, Unterstützung der Errichtung 
von Lehrlingsheimen), Ausbildung von Hand- 
werksmeistern als praktische Lehrer für Fortbil- 
dungs= und Fachschulen; d) Förderung des ge- 
werblichen Genossenschaftswesens (Gründung von 
gewerblichen Rohstoff-, Magazin-, Werk= und Pro- 
duktivgenossenschaften, Hebung des Absatzes ihrer 
Erzeugnisse, Zuwendung von Arbeiten für den 
Staats= und Kommunalbedarf, Unterrichtskurse — 
Wanderunterricht — über das Genossenschaftswesen, 
Erteilung von Auskünften); e) Errichtung einer 
Zentralstelle beim Ministerium für Handel und 
Gewerbe sowie von Zweigstellen in den Provinzen 
für die Zwecke der Gewerbeförderung; Bildung 
eines sachverständigen Beirats bei der Zentralstelle 
Staatslexikon. III. 3. Aufl. 
Mittelstand. 
  
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und den Zweigstellen; 1) regelmäßige Berichterstat- 
tung über die Ergebnisse der staatlichen Gewerbe- 
förderung. 
2. Eine Denkschrift über den Stand der Ge- 
werbeförderung nach den vorbezeichneten Richtungen 
vorzulegen. 
3. Die erforderlichen Mittel im nächstjährigen 
Etat einzustellen. 
Mit Recht wird in den vorstehenden An- 
trägen das Hauptgewicht auf eine intensive För- 
derung der technischen und wirtschaftlichen Lei- 
stungsfähigkeit des Gewerbes gelegt, während allzu 
lange Zeit hindurch der Hauptnachdruck fast aus- 
schließlich auf die Wiederorganisation des Hand- 
werks gelegt worden war. 
Der Kommissionsantrag führte (durch Verord- 
nung vom 20. März 1905) zur Errichtung des 
Landesgewerbeamtes für die Gewerbeförderung im 
Ministerium für Handel und Gewerbe. Die ge- 
forderte Denkschrift über den Stand der Gewerbe- 
förderung in Preußen wurde dem Landtag im 
März 1903 vorgelegt. 
Als hauptsächlichste Wünsche und Vorschläge 
für die staatliche Mittelstandsfürsorge und Ge- 
werbeförderung sind zu nennen: 
a) Förderung der beruflichen Ausbildung durch 
Ausbau des Fortbildungsschulwesens, Veranstal- 
tung von Meisterkursen und Ausstellungen von 
Werkzeugen, Maschinen und mustergültigen, kunst- 
gewerblichen Gegenständen. 
b) Einheitlichkeit der Gesellen= und Meister- 
prüfungsordnungen und der Vorschriften zur Reg- 
lung des Lehrlingswesens. 
) Einführung des sog. „kleinen Befähigungs- 
nachweises“, durch den die Befugnis zur Anleitung 
von Lehrlingen auf solche Handwerksmeister be- 
schränkt wird, welche sich die Berechtigung zur 
Führung des Meistertitels in ihrem Gewerbe er- 
worben haben. 
d) Schutz des reellen Gewerbes gegen das un- 
lautere Geschäftsgebaren aller Art (Verschärfung 
der Gesetzgebung über den unlauteren Wettbewerb 
und das Ausverkaufswesen, Einschränkung des 
Hausierhandels, Beseitigung der bei den Abzah- 
lungsgeschäften namentlich infolge Eigentums- 
vorbehalt und Verwirklichungsklausel zutage tre- 
tenden Mißstände usw.). - 
o)GesetzlicheReglungdesSubmissionSwesens. 
f)SicherstellungderForderungenderBau- 
handwerker. 
g) Beseitigung der durch die Gefängnis= und 
Zuchthausarbeiten den selbständigen Handwerkern 
bereiteten Konkurrenz. 
Diese Forderungen verdienen gewiß, im Prinzip 
wenigstens, die Billigung und Unterstützung eines 
jeden einsichtigen Volkswirtschaftspolitikers. 
Nicht befreunden können wir uns dagegen mit 
dem Postulate einer Sonderbesteuerung der Waren- 
häuser und Konsumvereine, welche von weiten 
Kreisen des gewerblichen und kleinhändlerischen 
Mittelstandes mit Nachdruck gefordert wird. Die 
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