1191
Das monarchische Prinzip im konstitutionellen
Staat
at.
1. Begriff und Ursprung. Monarchie
bedeutet dem Wortlaut nach Herrschaft eines ein-
zigen; doch hat der Sprachgebrauch längst die
Anwendung des Namens eingeschränkt und von
einigen näheren Bestimmungen oder Merkmalen
abhängig gemacht. Wir nennen es nicht Mon-
archie, wenn einem einzelnen von einer dazu be-
rufenen Körperschaft oder vom Volke vorüber-
gehend die Herrschaft übertragen wird, so daß er
von seiner Amtsführung Rechenschaft geben muß;
dagegen halten wir den Namen da noch für zu-
treffend, wo der einzelne in der Betätigung der
Herrschaft an gewisse Bedingungen und Schranken
sich gebunden findet. Dort ist es ein Präsident,
der im Namen und Auftrag seiner Wähler, welche
ihrerseits im unveräußerlichen Besitze der Staats-
gewalt sind, die Geschäfte des Staates führt, hier
ein König oder Fürst, ausgestattet mit eignem
Recht und über alle andern Glieder des Staates
erhoben. Man kann hiernach die Monarchie defi-
nieren als diejenige Staatsform, in welcher ein
einzelner aus eignem Rechte und auf Lebenszeit
ausschließlicher oder überwiegender oder zum min-
desten ein hervorragender Träger der Staatsge-
walt ist. Nur unter Mitaufnahme der letzteren Be-
stimmung kann das heutige Großbritannien noch zu
den monarchischen Staaten gerechnet werden.
Das Merkmal einer Herrschaft aus eignem
Rechte ist am deutlichsten da vorhanden, wo die
Monarchie eine erbliche ist. Ein Wahlreich, in
welchem der König durch bestimmte Personen,
Kollegien oder Körperschaften zum Throne be-
rufen wird, erscheint hiernach, an dem strengen
Begriffe gemessen, nicht als eine Monarchie, son-
dern als eine aristokratische Republik, wobei jedoch
ein Hinneigen zur monarchischen Form darin her-
vortreten kann, daß die Wahl an ein bestimmtes,
das königliche, Geschlecht gebunden ist oder doch
die Zugehörigkeit zu demselben einen Anspruch
auf die Erwählung begründet. In der erblichen
Monarchie dagegen tritt der Nachfolger aus selb-
ständigem Recht in das Königtum ein und setzt
es fort. „Der König stirbt nicht“, denn mit dem
Tode des einen geht die Krone sofort von Rechts
wegen auf den andern über. Es gibt kein Zwischen-
reich, in welchem kein König wäre.
Ebenso ist einleuchtend, daß zwischen dem Prin-
zip der Monarchie und dem der Volkssouveränität
ein unversöhnlicher Gegensatz besteht. Nach dem
letzteren ruht die gesamte staatliche Gewalt beim
Volke; sein Wille ist die einzige Quelle des Rechts;
es kann sich eine Verfassung geben, wie sie ihm
gut dünkt, und die Behörden, die es dem ent-
sprechend einsetzt, sind lediglich seine Diener. Be-
liebt es ihm, die oberste Gewalt einem einzigen zu
übertragen, so erhält sie dieser doch nur als ein
anvertrautes Gut, das jederzeit zurückgefordert
werden kann und über dessen Verwendung der zeit-
weilige Inhaber dem Volke Rechenschaft schuldet.
Monarchie.
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Nun weiß freilich die Geschichte nicht nur von
zahlreichen Fürsten, welche tatsächlich durch eine
irgendwie kundgegebene Berufung von seiten der
zu Beherrschenden auf den Thron gelangt sind,
sondern das Staatsrecht der römischen Impera-
torenzeit hielt ebenso wie die mittelalterliche Dok-
trin an der Fiktion fest, als verdanke der Herrscher
jederzeit und überall seine Gewalt einer ausdrück-
lichen und stillschweigenden Ubertragung durch
das Volk. Das monarchische Prinzip aber
glaubten die römischen Juristen durch den weiteren
Satz ausreichend zu wahren, daß die einmal über-
tragene Gewalt nicht wieder zurückgenommen wer-
den könne, ein Satz, für den es freilich eine Be-
gründung nicht gibt. In der mittelalterlichen
Doktrin sodann erscheint der Gedanke der Volks-
souveränität vollends aufgegeben, wenn erstens
die königliche oder kaiserliche Gewalt als solche
als eine göttliche und von vornherein mit be-
stimmten Befugnissen ausgerüstete Institution gilt,
und zweitens in der Berufung durch das Volk
nur das Mittel erblickt wird, durch welches jedes-
mal die Vorsehung den in Wahrheit von ihr
Erwählten auf den von ihr über alle andern er-
hobenen Platz stellt. Ausdrücklich ist sodann in
der Neuzeit der Versuch gemacht worden, die beiden
gegenseitigen Prinzipien zu vereinigen, so in der
belgischen Verfassung und in dem auf das allge-
meine Stimmrecht aufgebauten zweiten franzö-
sischen Kaiserreich. Allein die Geschichte wird es
stets bestätigen, daß da, wo die Proklamierung
des Prinzips der Volkssouveränität mehr bedeutet
als eine äußerliche Verbrämung, dazu bestimmt,
der monarchischen Institution ein vermeintlich
zeitgemäßeres Gewand zu geben, wo sie vielmehr
als die ernst gemeinte Unterlage der staatlichen
Verfassung gilt, die Monarchie sich auf die Dauer
nicht zu behaupten vermag.
Als unvereinbar mit dem monarchischen Prinzip
muß es ebenso bezeichnet werden, wenn das mittel-
alterliche Staatsrecht die Verantwortlich-
keit des Monarchen aussprach, so daß gegebenen
Falles selbst der Kaiser vor den Richterstuhl des
Pfalzgrafen gefordert werden sollte, und zahl-
reiche Wahlkapitulationen sogar die Absetzung des
Fürsten beim Eintritt gewisser Bedingungen vor-
sahen. Es ist nicht nötig, daß der Monarch die
einzige Autorität im Staate ist, auch den Großen
des Reiches, auch der geordneten Vertretung des
Volkes kann eine solche zukommen; aber er muß
die höchste sein und darf als solche von keiner
andern zur Rechenschaft gezogen werden. Der
volle Begriff der Monarchie schließt die rechtliche
Unverantwortlichkeit des Monarchen ein. Die-
selbe kann allerdings in verschiedenen Formen zum
Ausdruck gelangen. Von den alten Agyptern be-
richtet Diodor, daß ihre Priester regelmäßig in
feierlicher Rede das Gute, welches während eines
abgelaufenen Jahres dem Lande begegnet war,
auf den König, alles Übel dagegen auf seine
schlechten Ratgeber zurückzuführen pflegten.