Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Hand befindliche Staatsgewalt zusteht, diese selbst 
aber eine wenig entwickelte ist, weil ein beträcht- 
licher Teil staatlicher Funktionen von autonomen 
Körperschaften ausgeübt wird, wie dies im Mittel- 
alter vielfach der Fall war. Dagegen betrachtet 
die moderne konstitutionelle Theorie in der 
Regel den Monarchen als den Träger der vollen 
Staatsgewalt, bindet ihn aber in wichtigen Punk- 
ten in der Betätigung seiner Herrschaft an gesetz- 
liche Formen und die Mitwirkung der Volksver- 
tretung. Hiervon wird weiter unten die Rede sein. 
Wichtiger für das Verständnis des monarchi- 
schen Prinzips scheint mir eine andere Unterschei- 
dung. Könige und Völker haben in verschiedenen 
Zeiten sehr verschiedenen Vorstellungen gehuldigt, 
um daraus das Recht der Herrschaft für die einen 
und die Pflicht der Unterwerfung für die andern 
herzuleiten. Mit Bezug hierauf lassen sich folgende 
vier Erscheinungsformen der Monarchie aufzählen: 
das heroische Königtum, die Patrimonialherrschaft, 
die Lehnsmonarchie und die Monarchie des mo- 
dernen Staates. Doch soll damit nicht behauptet 
werden, daß diese unterschiedenen Formen und die 
ihnen zugrunde liegenden Vorstellungsweisen sich 
jederzeit in ausschließender Schärfe und Reinheit 
dargestellt hätten und mit dem Aufkommen der 
einen sofort jede Spur der andern völlig ver- 
schwunden wäre. In dem heroischen König- 
tum stammt die Macht des Herrschers aus der 
höheren Würde seines Geschlechts, infolge deren 
die Glieder desselben von vornherein über alle 
übrigen Volksgenossen erhoben sind. Die helleni- 
schen Könige leiten ihr Geschlecht von Zeus, die 
germanischen von Wodan ab, auch Romulus ist 
der Sage nach göttlichen Ursprungs. In ganz 
eigentümlicher Weise wird die Vorstellung von 
einer höheren Weihe, einem geheiligten Charakter 
der Könige durch einen Zug beleuchtet, der von den 
heidnischen Schweden berichtet wird: in schwerer 
Notlage des Staates wurden sie den Göttern ge- 
opfert, „offenbar darum, weil ihnen etwas an- 
haftete, was keinem andern zukam, und darum kein 
geringeres Opfer den Göttern gleich angenehm 
sein würde“ (Freeman, Growth of the English 
Constitution 27). 
Der zugrunde liegende Gedanke hat das Heiden- 
tum um viele Jahrhunderte überdauert. Zwar hat 
der Gebrauch kirchlicher Krönung und Salbung 
einen andern Sinn. Er war der feierliche Aus- 
druck dafür, daß Gott den also Ausgezeichneten 
zum höchsten Amte berufen habe. In den absolu- 
tistischen Theorien des 17. Jahrh. aber, in denen 
die Würde der königlichen Person maßlos über- 
spannt wird, lassen sich leicht Anklänge an jene 
älteren Vorstellungen aufweisen. Nach Barclay 
(De regno et regali potestate) ist der tiefste 
und geheimnisvollste Grund der Monarchie, daß 
sie das zeitlich-menschliche Abbild des göttlichen 
Regiments ist. Gott selbst hat es den Menschen 
eingepflanzt, daß sie sich der königlichen Majestät 
gleich einer irdischen Gottheit oder zum mindesten 
Monarchie. 
  
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als dem Abglanze seiner Allmacht (numini cuidam 
in terris vel certe Dei omnipotentis imaginem 
duandam et potestatem prae se ferenti) in 
neidlosem Gehorsam unterwarfen. Ahnliche Auße- 
rungen finden sich bei Bossuet, und wenn die 
französischen Könige und die englischen aus dem 
Hause Stuart sich die Kraft zuschrieben, mittels 
Handauflegung Kranke zu heilen, so ist dies ein 
Ausfluß der gleichen Denkweise. Aber noch zu 
Anfang des 19. Jahrh. hat der Graf Joseph de 
Maistre (s. d. Art.) ausgeführt: „Der Mensch 
kann keinen Souverän einsetzen; er kann höchstens 
zum Werkzeug dienen, einen Souverän seiner 
Macht zu berauben und dessen Staaten einem 
andern, der bereits selbst Fürst ist, zu übergeben. 
UÜbrigens aber hat es nie eine souveräne Dynastie 
gegeben, deren Entspringen aus dem gemeinen 
Haufen sich nachweisen ließe. Diese Erscheinung 
würde, wenn sie sich einmal darböte, einen Zeit- 
abschnitt in der Weltgeschichte bilden.. Es steht 
geschrieben: „Ich bin es, der die Könige einsetzt! 
Dies ist keine Redensart der Kirche, kein rhetorisches 
Bild eines Predigers, sondern die buchstäbliche, 
einfache und handgreifliche Wahrheit; es ist ein 
Gesetz für die politische Welt. Gott setzt die Könige 
ein im buchstäblichen Sinne des Wortes. Er 
pflanzt die königlichen Geschlechter; er reift sie in 
einem Gewölk, welches ihren Ursprung verhüllt. 
Sie treten endlich hervor, gekrönt von Ruhm und 
von Ehre ..“ (Essai sur le principe généra- 
teur des constitutions politiqgues et des 
autres institutions humaines). 
An und für sich folgt aus der Annahme eines 
unmittelbar göttlichen Ursprungs der königlichen 
Gewalt nichts über den Umfang derselben. In 
den frühesten Zeiten mögen bei Griechen und 
Germanen die Ehrenrechte vielfach höher und aus- 
gedehnter gewesen sein als die wirkliche Macht. 
Später allerdings mußte jene Annahme dazu 
dienen, den Absolutismus in unerträglicher Weise 
auf die Spitze zu treiben. 
Im Patrimonialstaat (s. d. Art.) gilt die 
königliche Würde samt den daran geknüpften Be- 
fugnissen als Eigentum des königlichen Hauses. 
Ihr ursprünglicher Erwerb verliert sich in unvor- 
denkliche Zeiten; im übrigen aber wird sie ganz 
ebenso angesehen wie jedes andere Eigentum auch; 
insbesondere ist das Erbrecht völlig in privat- 
rechtlichem Sinne ausgebildet, daher Verteilung 
des Landes unter mehrere Söhne ein häufiger 
Vorgang. Mit einem ausgebildeten Staats- 
bewußtsein steht dieses Prinzip selbstverständlich 
in unversöhnlichem Gegensatz; auch mag man be- 
zweifeln, ob es jemals für sich allein in Geltung 
war. Die Natur der Sache mußte dahin führen, 
es mit andern Momenten zu durchsetzen, welche 
über den Eigentumsbegriff hinaus lagen. Aber 
einzelnes, was damit zusammenhängt oder sich 
als seine Konsequenz daraus ergibt, hat sich bis 
tief in die Neuzeit hinein erhalten. Die Unteil- 
barkeit des Staatsganzen allerdings gilt längst als
	        
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