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Hand befindliche Staatsgewalt zusteht, diese selbst
aber eine wenig entwickelte ist, weil ein beträcht-
licher Teil staatlicher Funktionen von autonomen
Körperschaften ausgeübt wird, wie dies im Mittel-
alter vielfach der Fall war. Dagegen betrachtet
die moderne konstitutionelle Theorie in der
Regel den Monarchen als den Träger der vollen
Staatsgewalt, bindet ihn aber in wichtigen Punk-
ten in der Betätigung seiner Herrschaft an gesetz-
liche Formen und die Mitwirkung der Volksver-
tretung. Hiervon wird weiter unten die Rede sein.
Wichtiger für das Verständnis des monarchi-
schen Prinzips scheint mir eine andere Unterschei-
dung. Könige und Völker haben in verschiedenen
Zeiten sehr verschiedenen Vorstellungen gehuldigt,
um daraus das Recht der Herrschaft für die einen
und die Pflicht der Unterwerfung für die andern
herzuleiten. Mit Bezug hierauf lassen sich folgende
vier Erscheinungsformen der Monarchie aufzählen:
das heroische Königtum, die Patrimonialherrschaft,
die Lehnsmonarchie und die Monarchie des mo-
dernen Staates. Doch soll damit nicht behauptet
werden, daß diese unterschiedenen Formen und die
ihnen zugrunde liegenden Vorstellungsweisen sich
jederzeit in ausschließender Schärfe und Reinheit
dargestellt hätten und mit dem Aufkommen der
einen sofort jede Spur der andern völlig ver-
schwunden wäre. In dem heroischen König-
tum stammt die Macht des Herrschers aus der
höheren Würde seines Geschlechts, infolge deren
die Glieder desselben von vornherein über alle
übrigen Volksgenossen erhoben sind. Die helleni-
schen Könige leiten ihr Geschlecht von Zeus, die
germanischen von Wodan ab, auch Romulus ist
der Sage nach göttlichen Ursprungs. In ganz
eigentümlicher Weise wird die Vorstellung von
einer höheren Weihe, einem geheiligten Charakter
der Könige durch einen Zug beleuchtet, der von den
heidnischen Schweden berichtet wird: in schwerer
Notlage des Staates wurden sie den Göttern ge-
opfert, „offenbar darum, weil ihnen etwas an-
haftete, was keinem andern zukam, und darum kein
geringeres Opfer den Göttern gleich angenehm
sein würde“ (Freeman, Growth of the English
Constitution 27).
Der zugrunde liegende Gedanke hat das Heiden-
tum um viele Jahrhunderte überdauert. Zwar hat
der Gebrauch kirchlicher Krönung und Salbung
einen andern Sinn. Er war der feierliche Aus-
druck dafür, daß Gott den also Ausgezeichneten
zum höchsten Amte berufen habe. In den absolu-
tistischen Theorien des 17. Jahrh. aber, in denen
die Würde der königlichen Person maßlos über-
spannt wird, lassen sich leicht Anklänge an jene
älteren Vorstellungen aufweisen. Nach Barclay
(De regno et regali potestate) ist der tiefste
und geheimnisvollste Grund der Monarchie, daß
sie das zeitlich-menschliche Abbild des göttlichen
Regiments ist. Gott selbst hat es den Menschen
eingepflanzt, daß sie sich der königlichen Majestät
gleich einer irdischen Gottheit oder zum mindesten
Monarchie.
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als dem Abglanze seiner Allmacht (numini cuidam
in terris vel certe Dei omnipotentis imaginem
duandam et potestatem prae se ferenti) in
neidlosem Gehorsam unterwarfen. Ahnliche Auße-
rungen finden sich bei Bossuet, und wenn die
französischen Könige und die englischen aus dem
Hause Stuart sich die Kraft zuschrieben, mittels
Handauflegung Kranke zu heilen, so ist dies ein
Ausfluß der gleichen Denkweise. Aber noch zu
Anfang des 19. Jahrh. hat der Graf Joseph de
Maistre (s. d. Art.) ausgeführt: „Der Mensch
kann keinen Souverän einsetzen; er kann höchstens
zum Werkzeug dienen, einen Souverän seiner
Macht zu berauben und dessen Staaten einem
andern, der bereits selbst Fürst ist, zu übergeben.
UÜbrigens aber hat es nie eine souveräne Dynastie
gegeben, deren Entspringen aus dem gemeinen
Haufen sich nachweisen ließe. Diese Erscheinung
würde, wenn sie sich einmal darböte, einen Zeit-
abschnitt in der Weltgeschichte bilden.. Es steht
geschrieben: „Ich bin es, der die Könige einsetzt!
Dies ist keine Redensart der Kirche, kein rhetorisches
Bild eines Predigers, sondern die buchstäbliche,
einfache und handgreifliche Wahrheit; es ist ein
Gesetz für die politische Welt. Gott setzt die Könige
ein im buchstäblichen Sinne des Wortes. Er
pflanzt die königlichen Geschlechter; er reift sie in
einem Gewölk, welches ihren Ursprung verhüllt.
Sie treten endlich hervor, gekrönt von Ruhm und
von Ehre ..“ (Essai sur le principe généra-
teur des constitutions politiqgues et des
autres institutions humaines).
An und für sich folgt aus der Annahme eines
unmittelbar göttlichen Ursprungs der königlichen
Gewalt nichts über den Umfang derselben. In
den frühesten Zeiten mögen bei Griechen und
Germanen die Ehrenrechte vielfach höher und aus-
gedehnter gewesen sein als die wirkliche Macht.
Später allerdings mußte jene Annahme dazu
dienen, den Absolutismus in unerträglicher Weise
auf die Spitze zu treiben.
Im Patrimonialstaat (s. d. Art.) gilt die
königliche Würde samt den daran geknüpften Be-
fugnissen als Eigentum des königlichen Hauses.
Ihr ursprünglicher Erwerb verliert sich in unvor-
denkliche Zeiten; im übrigen aber wird sie ganz
ebenso angesehen wie jedes andere Eigentum auch;
insbesondere ist das Erbrecht völlig in privat-
rechtlichem Sinne ausgebildet, daher Verteilung
des Landes unter mehrere Söhne ein häufiger
Vorgang. Mit einem ausgebildeten Staats-
bewußtsein steht dieses Prinzip selbstverständlich
in unversöhnlichem Gegensatz; auch mag man be-
zweifeln, ob es jemals für sich allein in Geltung
war. Die Natur der Sache mußte dahin führen,
es mit andern Momenten zu durchsetzen, welche
über den Eigentumsbegriff hinaus lagen. Aber
einzelnes, was damit zusammenhängt oder sich
als seine Konsequenz daraus ergibt, hat sich bis
tief in die Neuzeit hinein erhalten. Die Unteil-
barkeit des Staatsganzen allerdings gilt längst als