109
aus ergab sich rechtsphilosophisch die Superiori=
tät der Kirche über die christlichen Staaten. Die
staatliche Ordnnung ist ein dienender Bestandteil
der kirchlichen, die staatliche Gewalt wird auf die
kirchliche Vermittlung zurückgeführt, der Staat
geht in der Kirche auf. Die kirchliche Juris-
prudenz trug kein Bedenken, die Kirche mit der
Hierarchie zu identifizieren (papa, qui potest
dici ecclesia (Aegidius Rom.]). Die führenden
Theologen Hugo von St-Victor, Lombardus,
Thomas suchten den hierarchischen mit dem spiri-
tuellen Kirchenbegriff zu vereinigen. Hugo von
St-Victor (De sacramentis 2, 2) definiert die
Kirche im Anschluß an Augustinus als corpus
Christi uno Spiritu vivificata et unita fide
una et sanctificata. Nach Thomas ist die
Kirche unum corpus mysticum, dessen Haupt
secundum ordinem, perfectionem et virtutem
Christus, dessen Herz der Heilige Geist ist, welcher
die Kirche unsichtbar belebt und in ihrer Einheit
erhält (Summa theol. 3, q. 8, a. 1). Zur Regie-
rung der Kirche durch Lehrautorität und Sakra-
mentenspendung sind die Apostel und ihre Nach-
folger als Stellvertreter Gottes berufen (Grab-
mann, Die Lehre des hl. Thomas von Aquin von
der Kirche als Gotteswerk (19031). Wiclif und
Hus haben nicht die Kirche als sakramentale An-
stalt, sondern nur die hierarchische Gliederung und
die sittlichen Bedingungen in Anlehnung an Augu-
stinus bekämpft. Ebenso haben die Episkopalen
den zmpirisch-monarchischen Kirchenbegriff bean-
standet, indem sie die Fülle der Kirchengewalt dem
Episkopate zuschrieben und den Papst nur als
primus inter pares gelten lassen wollten (Reform-
konzilien von Konstanz und Basel, Declaratio
cleri gallicani 1682, Synode von Pistoia 1786,
Emser Punktation 1786). Dagegen verwarfen
die Reformatoren die Autorität der katholischen
Kirche, lehrten eine unsichtbare Kirche und mach-
ten dadurch eine äußere Organisation unmöglich.
„Die Kirche ist die Versammlung der Heiligen,
in welcher das Evangelium recht gelehrt und die
Sakramente recht verwaltet werden“ (Augsburger
Konfession), „eine Gemeinschaft des Glaubens
und des Heiligen Geistes in den Herzen“ (Apolo-
getik). Die Kirche hat keine Definition gegeben,
aber Grenzen gezogen, indem sie die Lehre der
Novatianer, Donatisten, Pelagianer, Waldenser
u. a., daß nur Gerechte oder Sündenlose zur Kirche
gehören, sowie die Lehre Wiclifs, Hus', Calvins
und einzelner Jansenisten, daß nur die Prädesti-
nierten die Kirche bilden, verurteilte. Auch das
Tridentinum ging nicht auf die Lehre von der
Kirche ein. Im römischen Katechismus wird im
Anschluß an den hl. Augustinus und den hl. Tho-
mas bemerkt: „Die Kirche ist das über den Erd-
kreis zerstreute christliche Volk.“ „Die streitende
Kirche ist die Gemeinschaft aller Gläubigen,
welche noch auf Erden leben.“ Diese werden in
zwei Klassen, Gute und Böse, unterschieden (I,
10, 2. 5. 6). Das Valikanum lehrt: Pastor
Kirche.
110
eternus et episcopus animarum nostrarum,
ut salutiferum redemptionis opus perenne
redderet, sanctam Ecclesiam aedificare de-
crevit, in qua veluti in domo Dei viventis
fideles ommes unius fidei et charitatis vinculo
continerentur (sess.IV, prooem.). Das Schema
De ecclesia (Coll. Lac. VII 567 ff) kam nicht zur
Verhandlung. Von den Propositionen des Decr.
Lamentabili vom 3. Juli 1907 beziehen sich
Nr 52/56 auf die unveränderlichen Grundlagen
der kirchlichen Verfassung gegen protestantische und
modernistische Theorien. Die am meisten berück-
sichtigten Definitionen von Theologen sind: „Unsere
Meinung ist, die eine und wahre Kirche sei eine
Vereinigung von Menschen, durch dasselbe Be-
kenntnis des christlichen Glaubens und die Gemein-
schaft derselben Sakramente verbunden, unter der
Leitung der gesetzmäßigen Hirten und besonders
des einen Stellvertreters auf Erden“ (Bellarmin,
De concillüs et eccl. milit. III 2). „Unter der
Kirche auf Erden verstehen die Katholiken die
von Christus gestiftete, sichtbare Gemeinschaft aller
Gläubigen, in welcher die von ihm während seines
irdischen Lebens zur Entsündigung und Heiligung
der Menschheit entwickelten Tätigkeiten unter der
Leitung seines Geistes bis zum Weltende vermittels
eines von ihm angeordneten, ununterbrochen wäh-
renden Apostolats fortgesetzt und alle Völker im
Verlauf der Zeiten zu Gott zurückgeführt werden“
(Möhler, Symboliks § 36, S. 331 f). Die De-
finition Bellarmins betont mehr die sichtbare
(Kirche im Rechtssinne), die Möhlers mehr die
unsichtbare Seite der Kirche.
II. Zweckh, Aufgabe und Eigenschaften.
Nach Schrift und Tradition erscheint die Kirche
als übsrnatürliche, von Christus gestiftete Heils-
anstalt.“ Vaticanum sess. IV, prooem.; sess.
III, cap. 3: Deus per Filium suum unigeni-
tum Ecclesiam instituit, suaeque institutionis
manifestis notis instruxit, ut ea tamquam
custos et magistra verbi revelati ab omnibus
posset agnosci. Der Catech. Rom. I, e. 10,
20 sagt: Confitemur, nos Ecclesiae ortum,
munera et dignitatem non humana ratione
cognoscere, sed fidei oculis intueri. Der
nächste und unmittelbare Zweck der Kirche liegt
daher auf dem religiös-sittlichen und übernatür-
lichen Gebiete: das Reich der Gnade und Tugend
in der Welt und in den einzelnen zu verwirk-
lichen und die Menschen dem Himmel zuzuführen.
Daraus folgt einerseits die Selbständigkeit der
Kirche auf ihrem Gebiete (Syllab. 19, 20), ander-
seits die Überlassung von Aufgaben welllichen
Charakters an den Staat (Matth. 22, 21). Wenn
die Kirche im Mittelalter rein weltliche Materien
in den Bereich ihrer Gesetzgebung, Rechtsprechung
und Verwaltung einbezogen hat, so erklärt sich
dies aus ihrer damaligen Stellung und der noch
unentwickelten Staatsidee; sie hat dadurch eine
hohe kulturhistorische Mission erfüllt. Die Auf-
gabe der Kirche ist eine allgemeine, sie erstreckt