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durch den Besuch der Tuilerienkapelle, wo er For-
bin-Janson, Frayssinous, Bologne, die besten
Prediger der Zeit, hörte, als durch den Unterricht,
den er mit der (anglikanischen) Mutter vor ihrer
Konversion (6. März 1822) durch P. Mac Carty
und Abbeé# Busson erhielt und den er durch sorgsame
Vorbereitung auf seine erste heilige Kommunion
in St-Thomas-D'Aquin (Paris) vollendete.
Eine ganz verschiedene Welt erschloß sich dem
hochbegabten und hochstrebenden Jüngling, als er
Anfang Okt. 1826 in das Pariser Kolleg Sainte-
Barbe zur Vollendung der humanistischen
Studien als Schüler der Rhetorik eintrat. Von
Anfang an bis zum Abgang unbestritten der erste
seiner Mitschüler, von einem Fleiße, der mir jeder
Minute geizte und doch nach Ausweis seiner Tage-
bücher bis zu 14 Stunden täglicher Arbeit ging.
bei der Entfaltung der glänzendsten Talente stets
bescheiden, von vornehmer Haltung, voll Glaubens-
mut, ein Vorbild der Sittenreinheit inmitten un-
gläubiger Lehrer und leichtlebiger Mitschüler, er-
rang er durch seine Fortschritte Bewunderung.
Mit Léon Cornudet hatte er (10. Dez. 1827) vor
dem Altare einen Freundschaftsbund geschlossen,
dem wir ein in der gesamten modernen Literatur
einziges Buch verdanken, die Lettres à un ami
de Collége, 1827/30 (Par. 1873), einen Brief-
wechsel zwischen noch nicht Zwanzigjährigen, worin
in der ganzen Frische und Idealität, in einer sel-
tenen Offenheit das ganze innere Leben Mon-
talemberts in seinen glänzenden und bedenklichen
Richtungen vor uns liegt. Das innere und äußere
Schul= und Gesellschaftsleben, Politik, Geschichte,
Kunst, literarische Kritik, zieht an uns in einer
Darstellung vorüber, deren formelle Schönheit
ebenso überrascht wie der Umfang der fast enzyklo-
pädischen Kenntnisse, wie eine entwickelte Urteils-
fähigkeit und die jugendliche Hingabe an die un-
geklärten Freiheitsideen der Zeit. Auch der Über-
tritt ins Leben änderte an diesem hohen idealen
Streben nichts. Seinem Grundsatze rastlosen
Arbeitens, der ihn die Geselligkeit seiner Kreise
als eine Konventionsmünze ohne Wert bezeichnen
ließ, blieb er im Hause seines Vaters, der fran-
sösischen Gesandtschaft in Stockholm, treu. Philo-
sophische Studien (Schelling, Cousin), Kunst-
forschung (Rio), Geschichte der Neuzeit (Michelet),
Reisen in Frankreich, Deutschland (Stuttgart),
Irland (Bischof Doyle-Kildare, D. O'Connell),
Schweden (Kulturgeschichte, Politik) hatten seinen
Blick erweitert. Von seinen publizistischen Ver-
suchen liegen aus jener Zeit nur vor der Versuch
über das schwedische Verfassungsleben von 1830,
die Skizzen über seine Reisen in Irland (in den
Lettres) und der Brief an Lamennais über die
Lage des Katholizismus (im Avenir). Weniger
die Verbindung mit den Häuptern des damaligen
Doktrinarismus, Guizot, de Barante, de Broglie,
als die Verbindung mit Lamennais sollte ihn un-
erwartet schnell vor die erste schwere Krise seines
Lebens stellen.
Staatslexiton. III. 3. Aufl.
Montalembert.
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Die Nachrichten über die Pariser Ereignisse
des Juli 1830 trafen ihn auf der Rückkehr von
seiner irischen Reise in London und erfüllten ihn
„mit Schmerz und Unruhe über die so plötzliche
und unerwartete Vernichtung“ der Restauration.
Die Verbannung der Königsfamilie, die feige
absentistische Haltung der Pairs, die schändliche
Entweihung von Ste-Genevièbve, die infamen
Kreuzstürzereien, die Plünderung des irischen
Kollegs ernüchterten ihn in seinen Freiheitsideen
so, daß er an Cornudet (26. Aug.) schrieb, ihn
ekle „der Triumph der drei Tage“ an. Nicht der
Liberalismus von 1789 in der Neuauflage von
1830 war der seinige, sondern der der Burke und
Chatham, der großen Gegner von 1789. Die
wachsende Einsicht, daß die Saturnalien auf den
Straßen genau zu der indifferenten und feind-
seligen Haltung der herrschenden und besitzenden
Klassen paßten, daß in den Julitagen der Vol-
taireanismus auf der ganzen Linie siegreich ge-
blieben sei, die Erste Kammer fast nur aus Re-
venants von 1789 bestehe, daß „nirgendwo in
Europa eine offiziell so irreligiöse Nation lebe
wie das Frankreich von 1830“ — bestimmte fort-
an seine Stelle an der Seite Lamennais“", der sich
zur Verteidigung der Kirche erhoben hatte. Was
ihn, wie er später gestand, am meisten dazu be-
wog, war die Idee, „die katholische Sache von
jeder zeitlichen Solidarität loszulösen, von jeder
politischen Allianz, selbst derjenigen, welche eine
lange Gemeinschaft des Ruhmes und des Unglücks,
die säkularen und heiligen Traditionen so natur-
gemäß und so ehrenvoll mit dem Königtum des
alten Rechts herstellten“. Das waren Lamennais-
sche Ideen, und doch trennte ihn eine ganze Welt
vom „Meister“. Wer heute die Artikel Monta-
lemberts im Avenir ((Euvres polémiques et
diverses 1 5 ff, s. unten) prüft, erkennt, wie wenig
sein damals noch unerfahrenes politisches Urteil
den Utopismus und die Gefahr des Lamennais-
schen Vorgehens erkannte. Dem unverhüllten Haß
Lamennais' gegen den Legitimismus und den
Gallikanismus, den grundstürzenden Angriffen
auf die bürgerliche und kirchliche Ordnung blieb
er fern; ihn beherrschten der Glanz, die Erfolge,
die, wie er glaubte, unbesiegbare Kraft der libe-
ralen Freiheitsidee. Als Lamennais für die Plün-
derung der Kirche Saint-Germain-l'Auxerrois
(Febr. 1831) mit brutaler Beschimpfung die
Royalisten verantwortlich machte, erschien Mon-
talemberts Artikel: A ceux qui aiment ce qui
fut. „Wir haben die Zeitinteressen nur um der
Sache der Ewigkeit und des Himmels willen ge-
opfert.“ Es gelang ihm nicht, Lamennais von
dem betretenen Wege abzubringen; im Gegenteil,
der „Meister“ hielt ihn fest bis über die Stunde
der offenen Apostasie in jenem Aufruf zur Revo-
lution, der ihn nach Guizots hartem Ausdruck zum
O„intellektuellen Verbrecher“ an seiner Zeit machte.
Mehr als der faszinierende Einfluß des Genies
hielten Lamennais' Appell an das ritterliche
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