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sich auf alle Menschen, denn alle sollen für
Christus und den Himmel gewonnen werden
(Matth. 28, 19). Darauf beruht die Pflicht der
Mission, welche von der Kirche stets in umfang-
reichem Maße betrieben worden ist. Daraus folgt
die Indefektibilität (Unvergänglichkeit) der
Kirche, denn sie ist universell nach Zeit und Raum
und muß für alle Menschen und Zeiten als die
von Christus gestiftete sichtbare Kirche ihrem Wesen
nach, als Verkünderin der geoffenbarten Lehre und
Verwalterin der anvertrauten Gnadenmittel bis
zur Wiederkunft Christi fortbestehen. Es ist kein
anderer Name den Menschen unter dem Himmel
gegeben, durch welchen sie selig werden können,
außer dem Namen Jesu (Apg. 4, 12). Das Wort
der Versöhnung ist aber den Aposteln übertragen.
We sie nicht hört, der hört Christus nicht; wer
die Kirche nicht hört, ist wie ein Heide und öffent-
licher Sünder. Die Kirche bleibt bei dem, was
Christus geoffenbart hat. Sie erhält keine neue
Offenbarung, aber sie erfreut sich des Beistandes
des Heiligen Geistes. Dadurch ist sie gegen den
Verlust der Wahrheit geschützt und zur Erklärung
derselben befähigt; aber kein Kulturfortschritt kann
eine wesentliche Anderung bewirken oder einen
Ersatz bieten (Decr. Lamentabili prop. 57/60
und 63). Die Kirche ist unfehlbar. Daß
Christus den Aposteln den Geist der Wahrheit
verheißen und gesandt hat, ist in der Heiligen
Schrift unzweideutig ausgesprochen (Joh. 14, 16.
26; 15, 26. Luk. 24, 49. Apg. Kap. 2). Daß aber
Christus durch seinen Geist bei ihnen bleiben werde
bis an das Ende der Welt, hat er in der feier-
lichen Abschiedsstunde verheißen (Matth. 28, 20).
Die Apostel waren sich dieses Beistandes bewußt
und forderten Gehorsam für ihre Predigt und ihre
Anordnungen (Apg. 5, 4; 15, 28. 1 Kor. 7, 40.
2 Kor. 2, 17; 12, 9; 13, 3. Gal. 1, 6 ff). Der
Geist konnte aber mit ihrem Ableben nicht von
der christlichen Kirche weichen. Es muß eine un-
fehlbare, unvergängliche Autorität geben. Sie
kann weder, wie die mittelalterlichen Sekten, die
Reformatoren, Jansen u. a. behaupteten, von
ihrem ursprünglichen Wesen und ihrer Bestimmung
abgefallen sein oder abfallen, noch, wie die Monta-
nisten, Anabaptisten, Quäker, Irwingianer u. a.
wollten, einer andern, höheren Autorität, einer
Kirche des Heiligen Geistes Platz machen. Weder
Gewalt noch List, weder Irrtum noch Sünde
können die auf den Felsen Petrus gebaute Kirche
besiegen. „Die Pforten der Hölle werden sie nicht
überwältigen.“ Die Kirche ist auf dem Funda-
ment der Apostel und Propheten aufgebaut, eine
Säule und Grundfeste der Wahrheit. Ubi eccle-
sia, ibi et Spiritus Dei, et ubi Spiritus Dei,
illic ecclesia et omnis gratia. Spiritus autem
veritas (Irenäus, Adv. haer. 3, 24, 1). Da der
Geist der Wahrheit auch der Geist der Liebe ist,
so ist er nur in der Gemeinschaft der apostolischen
Kirchen, der katholischen Kirche. Ihr, die im Papst
zu Rom als dem Nachfolger Petri ihren Einheits-
Kirche.
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punkt hat, kommt die Unfehlbarkeit zu, die sich
entweder in den allgemeinen Konzilien mit dem
Papst oder in den Kathedralentscheidungen des
Papstes auf Grund von Schrift und Tradition
ausspricht (Vatic. sess. IV, c. 4). Sie erstreckt
sich auf alles, was zum Glauben und zu den Sitten
gehört (Trid. sess. IV; VI, c. 16; XIII,
Prooem. Vatic. a. a. O.). Wie weit die con-
lusiones theologicae und die facta dogmatica
zu diesem Gebiete gehören, ist dem Urteile der
Kirche unterstellt. Die Kanonisation wird all-
gemein hierzu gerechnet. Bei der Approbation der
Orden und den Disziplinarvorschriften ist die Fol-
gerung wenigstens nicht unwidersprochen.
Ist die Kirche die einzige Vermittlerin des
Werkes Christi, so ist im gewöhnlichen Gang des
Heils, die Erlangung der Seligkeit an die Zuge-
hörigkeit zu derselben gebunden. Die Kirche ist
alleinseligmachend. Die Apostel und Bäter
warnen vor der Trennung von der Gemeinschaft
mit Christus in der Kirche. „Einen häretischen
Menschen meide nach einer Zurechtweisung, wis-
send, daß ein solcher verkehrt ist und von sich selbst
verurteilt“ (Tit. 3, 10. 11). Es gibt nur einen
Schafstall, eine Türe, einen Hirten. „Diese (die
Kirche) ist der Eingang zum Leben; alle andern
sind Diebe und Räuber“ (Irenäus a. a. O. 3, 4, 1).
Die Arche Noe gilt als Typus für die Kirche
(vgl. 1 Petr. 3, 20 f). Extra ecclesiam nulla
salus, hat der hl. Cyprian zum Schibboleth der
katholischen Kirche im Ketzertaufstreit erhoben und
der hl. Augustinus nachdrücklich gegen die Dona-
tisten verteidigt. Ebenso lehrt das pseudo-athana-
sianische Glaubensbekenntnis: „Wer immer selig
werden will, der muß vor allem den katholischen
Glauben festhalten. Wer diesen nicht ganz und
unversehrt bewahrt, der wird ohne Zweifel in
Ewigkeit verloren gehen.“ Dasselbe bestimmt das
Glaubensbekenntnis der Lateransynode 1215, das
von Innozenz III. den Waldensern vorgeschrie-
bene Glaubensbekenntnis Eugen IV., das Triden=
tinum (sess. V, prooem.; XIII, prooem.; XIV,
De extr. unct. c. 3; XXV, De delectu cib.),
Pius IV. im tridentinischen Glaubensbekenntnis,
Pius IX. (Syllab. 15—18). Von Anfang an
wurde aber zwischen den hartnäckig Widerstreben-
den und den schuldlos Irrenden unterschieden.
Jene müssen dem Urteil des Herrn verfallen, weil
sie die Kirche nicht hören wollen, diese dürfen
aber bei redlichem Streben auf die Barmherzig-
keit Gottes hoffen, welcher will, daß alle Menschen
selig werden (1 Tim. 2, 4). Die dogmatische
Intoleranz ist ein notwendiger Ausfluß der
Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche. Selbst
die Sekten haben dieselbe für sich in Anspruch
genommen. Die symbolischen Schriften der Pro-
testanten verurteilen in gleicher Weise alle Anders-
gläubigen und besonders die Katholiken. Die
praktische Toleranz ist damit verträglich,
wenn das Grundgebot des Evangeliums, die
Liebe zu Gott und den Nächsten, nicht vergessen