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Ehr= und Freundschaftsgefühl und derallherrschende
Einfluß seiner Freiheitsideen Montalembert noch
gefangen, auch als in der Enzyklika vom 25. Juni
1834 Gregor XVI. die Lamennaisschen Ideen
verurteilt hatte. Lacordaire und Frau v. Swetchine,
der eine seine politische Einsicht, die andere seinen
Glauben weckend, halfen ihm über die schmerz-
vollste Krise seines jungen Lebens hinüber. „Die
Kirche sagt dir nicht: sehe!“ mahnte Sophie
v. Swetchine (23. Nov. 1833), „sie sagt dir:
glaube! dir, dem Dreiundzwanzigjährigen in
solcher Vorliebe für gewisse Ideen, sie sagt dir wie
bei deiner ersten Kommunion: ordne deine Ver-
nunft der Gottes und der Kirche unter.“ „Es
wäre besser gewesen“, schrieb Lacordaire (11. Dez.
1833), „nie der heiligen Arche sich schützend zu
nahen, als nun in Mißmut alle Kämpfe und An-
strengungen aufzugeben, um solchen Träumereien
zum Siege zu verhelsen.“ Erst unterm 8. Dez.
1834 sandte Montalembert von Pisa aus die Er-
klärung seiner Unterwerfung unter die päpstlichen
Entscheidungen an Kardinal Pacca ein.
Was ihn, „den Schwankenden und Ruhelosen“,
aus dieser Krise zu größerer und freudigerer, ge-
reifterer Hingebung an seine damals noch wenig
geklärten Lebensideale führte, waren die zur Ein-
kehr in sich zwingenden bittern Erfahrungen der
revolutionären Wendung im Leben Lamennais",
die Zerstreuung seiner Schule, das erneute Vor-
dringen des Voltaireanismus. Reisen, vertiefte
Studien, freudige Lebensschicksale vollendeten diese
Erneuung und Stärkung des Glaubens-
lebens in ihm. Vom 9. Nov. 1833 an, wo
Montalembert in Marburg ankam, bis zum
1. Mai 1836, wo er die Einleitung in seine „Ge-
schichte der hl. Elisabeth von Ungarn“ abschloß,
war eine neue Welt vor ihm aufgegangen: nie
hatte er die wunderbar schöne Einheit und Ver-
mählung von Natur und Übernatur so vor Augen
gesehen wie in diesem Heiligenleben; sein Buch
war durch seine neue Auffassung der Hagiographie
eine furchtbare Anklage gegen die jansenistische und
gallikanische Verstümmelung und Fälschung des
echten katholischen Lebens. Am 1. März 1833
erschien in der Revue des Deux Mondes sein
Brief (an V. Hugo) „über das Vandalentum in
Frankreich“, eine flammende Anklage gegen die
Brutalitäten des ungläubigen, geistesarm und
beschränkt gewordenen Klassizismus im Gewande
Voltaires. Am 16. Aug. 1836 schloß er mit der
Gräfin Marie-Anne-Henriette v. Merode auf
Schloß Trelon den Bund fürs Leben. In Rom
war er im engsten Verkehr mit P. Lacordaire und
in dreimaliger Audienz bei Gregor XVI. (ie letzte
12. Febr. 1836) des neuen Lebens und Glückes
vollauf sich bewußt geworden. Am 14. Mai 1835
hatte er nach Erreichung des vorgeschriebenen Alters
als Pair von Frankreich den Eid in die
Hände des Kanzlers Pasquier geleistet und seinen
Sitz (vorerst nur mit beratender Stimme) ein-
genommen, vom ersten Augenblick an des großen
Montalembert.
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Kampfes sich bewußt, den er, der jüngste in der
hohen Versammlung, ganz isoliert in seinen An-
sichten, in seiner Stellung beargwohnt und be-
mitleidet, nun zu führen hatte.
Seit dem 26. Sept. 1831, wo er vor derselben
Kammer mit Lacordaire das verfassungsmäßige
Recht auf die freie Schule für die Katholiken
mit Glanz, wenn auch ohne Erfolg verteidigt
hatte, war in ihm die Einsicht in das Todesübel
gewachsen, worin die besten Kräfte des Landes sich
verzehrten: den Skeptizismus und den Unglauben,
die in dem von der Restauration festgehaltenen
Napoleonischen Unterrichtsmonopol der Pariser
Universität ihre perennierende Quelle für die heran-
wachsenden Generationen fanden. „Die Gesamt-
heit der öffentlichen Unterrichtseinrichtungen, welche
die Universität von Frankreich bilden, und über
die hinaus ein zügelloser Despotismus nichts auf-
kommen läßt, ist der Herd jenes öffentlichen Geistes,
der in Sachen der Religion nichts ist und an nichts
glaubt, die Quelle für das Gift, welches bis in
die Wurzeln hin die Naturanlage des Menschen
tötet, welche befiehlt, Gott anzubeten und ihm zu
dienen.“ Den Kampf für die Freiheit der Kirche
in der Freiheit der Schule und der religiösen
Orden kann man fortan als sein politisches
Programm bezeichnen. Vorerst galt es, die
Wege zu bahnen. Die Frage, ob dies einem andern
mit geringerem oratorischen Genie, mit weniger
vollendetem diplomatischen und parlamentarischen
Takt bei hochfliegendem Freimut und ritterlicher
Kampfeslust je so schnell und mit solchem Erfolg
gelungen wäre, muß auf Grund der Prüfung der
damaligen Lage, wo eine politische Parteibildung,
selbständiges politisches Leben im katholischen
Frankreich erst zu begründen war, verneint werden.
Vom ersten Auftreten des jungen Pairs im
Luxembourg (8. Sept. 1885) an, wo er gegen die
infolge des Fieschi-Attentates erlassenen sog. Sep-
tember-(Ausnahme-) Gesetze mit scharfer Betonung
seines freiheitlichen Standpunktes auftrat, bis zum
14. Jan. 184 8, wo er in der letzten Adreßdebatte
des Julikönigtums zugunsten des Sonderbundes
und Polens sprach, fällt jene im Laufe des Jahr-
hunderts einzig dastehende parlamentarische
Tätigkeit, welche den Namen Montalembert
schnell zum Weltruhm führte. Wir erinnern an
seine Reden über Polen (6. Jan. 1836, 19. März
und 2. Juli 1846), die auswärtige Politik (Spa-
nien und Polen, 3./4. Jan. 1838), die belgische
Frage (6. Juli und 26. Dez. 1838), die Orient-
frage (17. Nov. 1840), Tahiti (3. Aug. 1844),
die syrischen Christen (15. Juli 1845), die Liba-
nonschlächtereien (10. Jan., 29. Juni 1846), die
Christen in Algier (30. Juni 1846), Pius IX.
und Italien (11. Jan. 1848), den Sonderbunds-
krieg (14. Jan. 1841), die innere Politik Frank-
reichs (Verabschiedung der Generalstabsoffiziere,
15. Juni 1886; Sklavenemanzipation in den
französischen Kolonien, 7. April 1845; Marine,
23. Juni 1846), die soziale Frage (Kinderarbeit