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Illusionen seiner Schule in unübertroffener Fein-
heit und durchdringender Autorität seine An-
schauungen über die Revolution, insbesondere die
französische, als einen verbrecherischen und unnützen
Wahn fest, brandmarkte ihren anarchischen Stolz,
ihre narrenhafte Heuchelei und schmachvolle Lan-
desverwüstung. Wie Montalembert aber hier weder
der Zeit noch dem Ort noch den historischen Um-
ständen genug Rechnung trägt, so noch weniger
bei der Entwicklung seiner Freiheitsidee. Zu
abstrakt, christliche und liberale Auffassung nicht
scharf und klar trennend, suchte er einen Ausweg,
den er nicht fand. „Die Freiheit — ich sage es
ohne Phrase — ist das Idol meiner Seele ge-
wesen; wenn ich mir einen Vorwurf zu machen
habe, so ist es der, sie zu sehr geliebt zu haben,
geliebt, wie man liebt in der Jugend, d. i. ohne
Maß und ohne Zügel.“ Wenn dieses Wort vom
Spätabende seines Lebens uns die Illusionen, die
Verirrungen, den unverwüstlichen Glauben an den
Sieg der Freiheit inmitten der schreiendsten Atten-
tate auf sie erklärt, dann muß gegenüber dem Vor-
wurfe der Ideologie doch daran erinnert werden,
daß die Freiheit bei ihm keine bloße Abstraktion
war. Für ihn war sie der Inbegriff aller persön-
lichen und korporativen Garantien, welche der
Staatsomnipotenz Schranken entgegenstellten.
Daß Montalembert den Ausgleich seiner poli-
tischen Antithese nicht gefunden, darf ihm nicht
ganz zum Vorwurf gereichen; er war zu abhängig
von den gegensätzlichen Strömungen seiner Zeit
und seiner Umgebung; daß er kühn, mit unver-
gleichlichem Mute und dem Opfer seiner Person
und seiner hohen Begabung ihn redlich und un-
verwandt gesucht auf dem Boden katholischer Über-
zeugung, bleibt sein Ruhm; daß er dabei in der
steten Rückkehr zu dem Glauben an die sieghafte
Kraft seiner Freiheitsidee sich verirrte, ist er-
klärlich und bleibt beklagenswert.
Am 20./21. Aug. 1863 las er auf dem Katho-
likentage zu Mecheln, schon tiefgebeugt durch
ein schmerzvolles, unheilbares Leiden, sitzend seinen
Abschiedsgruß an die große Idee seines Lebens.
Mit begeistertem Lobpreise der belgischen Verfas-
sung wies er auf die Grundfreiheiten des Unter-
richts, der Assoziation, der Presse, der Kulte als
das Idealprinzip der christlichen Politik und die
Grundlage aller weiteren politischen Entwicklung
hin und verkündete das Programm von „der freien
Kirche im freien Staate“. Er übersah den dogma-
tischen Irrtum in der schlechthinigen Gleichstellung
der natürlichen Gesellschaftsordnung mit der über-
natürlichen; er vergaß den jähen Sturz seines
Lammennaisschen Idealismus, seine herbsten Le-
benserfahrungen, die Entscheidungen und Mah-
nungen Roms von 1830 (Mirari vos), bie Lehre,
daß es keiner bloß irdischen, auch nicht der höchsten,
der freiheitlichen Selbstbestimmung ohne die über-
natürliche Hand der Gnade verliehen ist, den
Menschen seinen letzten und höchsten Zielen auch
in den irdischen Institutionen zuzuführen.
Montalembert.
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In den Illusionen des Mechelner Programms
fanden ihn die letzten Lebensjahrez; erstere
erklären jenen Protest gegen den Syllabus, den
der belgische Staatsminister A. Dechamps im
Sinne und mit dem Einverständnis Montalem-
berts und seiner Freunde bei Pius IX. einreichte;
sie erklären seine Stellungnahme auf seiten der
Gegner des herannahenden Vatikanischen Konzils
und der Definition der Infallibilität des Papstes.
Bis hart an die Schwelle des Todes lebten in ihm
die Grundrichtungen seines Charakters, tieffromme,
rührende Hingabe an die Kirche und die be-
zaubernde Macht seiner Freiheitsidee, die er be-
droht glaubte von dem „Idole des Vatikans“ —
das Wort war nicht von ihm, sondern vom Erz-
bischof Sibour von Paris. Über beides liegen voll-
wichtige Dokumente vor in dem Briefe an den un-
glücklichen Apostaten Hyacinth Loyson (28. Sept.
1869) und dem offenen Briefe (28. Febr. 1870)
mit den heftigen Angriffen auf Papst, Konzil und
Infallibilitätslehre. Nur tiefgreifende Unkenntnis
der religiösen und politischen Ideen Montalem-
berts, seiner großen kirchlichen Vergangenheit,
seines reinen, makellosen, tief frommen Lebens er-
klären den unbesonnenen, beschämenden Jubel über
diesen Brief auf seiten theologisch gebildeter
Männer. Von seinem Lieblingsaufenthalte, dem
romantischen Schloß La Roche--en-Brenil, nach
Paris zurückgekehrt, starb er unerwartet schnell am
13. März 1870 im Frieden mit Gott, mit der
Kirche und in ausdrücklicher, wie er auf seinem
Schlosse Msgr Besson erklärte und der Gräfin
Merode wiederholte, für ihn selbstverständlicher
Unterwürfigkeit unter die Beschlüsse des Vatikani-
schen Konzils. Pius IX. ließ in S. Maria del
Traspontina dem Patrizier der heiligen römischen
Kirche und dem römischen Bürger einen feierlichen
Trauergottesdienst halten, dem er selbst beiwohnte.
Das Wort: „Ich habe die Freiheit mehr als alles
auf dieser Welt geliebt, und die katholische Re-
ligion mehr als die Freiheit selbst“, war, wie in
seinem gläubigen kirchlichen Leben, so jetzt im
christlich-frommen Tode besiegelt. Daran ist heute
kein Zweifel mehr, daß sein größter Gegner L.
Veuillot recht hatte, als er am offenen Sarge ihm
das Zeugnis ausstellte: „Unter allen Laien unserer
Zeit hat Herr v. Montalembert der Kirche die
größten und hingebendsten Dienste geleistet."
Das Herrlichste, was von Montalembert bleibt,
sind die Denkmäler seiner politischen Rede-
kunst, die ihm unter den Männern der öffent-
lichen Rede eine der höchsten Stelle stets sichern
werden. Die politische Rede, ihrer Natur nach spon-
tan, improvisatorisch, auf den Augenblickserfolg be-
rechnet, wie oft geht sie auch in ihren glänzendsten
Erscheinungen spurlos vorüber! Beim Studium
der großen Montalembertschen Reden, die nun
schon über ein halbes Jahrhundert alt sind, fällt
ihr Unterschied von den zeitgenössischen Reden, die
mit ihm in Parallele treten können, scharf auf.
Nichts erscheint veraltet, es ist, als höre man noch