Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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güter vom Fürsten oder der Skuptschina zur Re- 
chenschaft vor ein aus den Mitgliedern des obersten 
Gerichtshofes und des Staatsrates bestehendes 
Gericht gezogen werden. Der Staatsrat besteht 
aus 7 vom Fürsten ernannten Mitgliedern, die 
das 35. Lebensjahr vollendet, eine auswärtige 
Universität besucht und 10 Jahre ein Staatsamt 
oder einen Ministerposten bekleidet haben müssen; 
sie beraten die Gesetzesentwürfe, urteilen als 
Disziplinargericht über die Beamten, genehmigen 
die Staatsanleihen, entscheiden über Reklamationen 
gegen ministerielle Beschlüsse in streitigen admini- 
strativen Fragen, über Naturalisation von Aus- 
ländern usw. 
Die Verfassung gewährt Gewissens= und Preß- 
freiheit, Gleichheit aller Montenegriner vor dem 
Gesetz, Unverletzlichkeit des Wohnsitzes und ver- 
bietet die Vermögenskonfiskation. Verfassungs- 
änderungen bedürfen der Zustimmung des Fürsten 
und der Zweidrittelmehrheit der Kammer in 2 
ordentlichen aufeinander folgenden Tagungen. — 
Die oberste Verwaltung führt das verantwortliche 
Ministerium, das zurzeit aus 5 Mitgliedern be- 
steht: Ministerpräsident und für Außeres; Krieg; 
Finanzen und öffentliche Arbeiten; Inneres, Acker- 
bau, Post und Telegraphen; für Justiz, öffent- 
lichen Unterricht und Kultus. Andere Oberbehör= 
den sind die Gouverneure der 5 Verwaltungs- 
bezirke (Provinzen), die wieder in Kapitanien 
(Kreise) zerfallen, der Seepräfekt von Antivari, 
der Generaldirektor des Tabakmonopols usw. Für 
die innere, autonome Verwaltung der Gemeinden 
bestehen das Kommunalgericht, die Kommunal-= 
kommission und der Kommunalrat; die Kom- 
munalwahlen sind direkt, wahlberechtigt ist jeder 
montenegrinische Staatsbürger, der Steuern oder 
Abgaben zahlt. 
Die Rechtspflege wird durch das oberste Gericht, 
5 Bezirksgerichte und 56 Kreisgerichte (in Städten 
an Stelle dieser Kommunalgerichte) ausgeübt. Die 
Richter werden vom Fürsten ernannt; sie können 
nur auf Grund des Gesetzes bezüglich der Be- 
amten versetzt, verabschiedet oder in den Ruhestand 
versetzt werden. Der Rechnungshof besteht aus 
3 Mitgliedern, die die Skuptschina aus 6 vom 
Staatsrat vorgeschlagenen Kandidaten wählt. Ein 
bürgerliches Gesetzbuch („Allgemeines Gesetzbuch 
über Vermögen für das Fürstentum Montenegro“, 
serbisch, Par. 1888; deutsch von Scheck, 1893), 
vom österreichischen Professor Bogisic abgefaßt, 
ist 1888 eingeführt worden, eine Zivilprozeßord- 
nung trat 1905 in Kraft. 
Staatsreligion ist die griechisch-orthodoxe; alle 
vom Staat anerkannten religiösen Bekenntnisse 
haben das Recht, ihren Kultus frei und öffentlich aus- 
zuüben, doch ist Proselytenmacherei verboten. Die 
montenegrinische Kirche ist autokephal; seine Weihe 
erhält der in Cetinje residierende Metropolit, der 
von der Nationalversammlung aus den Mönchen 
und unverheirateten Klerikern gewählt wird, in 
St Petersburg; unter ihm stehen 3 Erzpriester 
Montenegro. 
  
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und an 200 Priester, deren Würde erblich ist, so- 
wie etwa 12 Klöster. Die Katholiken gehören zu 
dem unmittelbar unter dem Heiligen Stuhl stehen- 
den Erzbistum Antivari, dessen Inhaber den 
Titel „Primas von Serbien“ führt; durch das 
Konkordat von 1886 ist die katholische Kirche als 
Religionsgesellschaft staatlich anerkannt worden. 
Der Bildungsstand des Volkes steht im allge- 
meinen noch auf keiner hohen Stufe, wenn auch 
in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte ge- 
macht wurden. Der Volksschulunterricht ist obli- 
gatorisch und unentgeltlich; neben den Volksschulen 
gibt es je ein theologisches Seminar, Gymnasium 
und Lehrerseminar, eine von der russischen Kaiserin 
unterhaltene höhere Mädchenschule (sämlich in 
Cetinje) und eine landwirtschaftliche Schule in Pod- 
gorica. Die Ausbildung der Lehrer ist Sache des 
Staates, Bau und Unterhaltung der Schulge- 
bäude sowie Beschaffung der Lehrmittel Sache der 
Gemeinden. 
Heerwesen. Esbesteht allgemeine Wehrpflicht, 
die 43 Jahre dauert: 2 Jahre in der Rekruten- 
klasse, 31 Jahre in der aktiven Armee, 10 Jahre 
in der Reserve. Die Ableistung der Wehrpflicht 
erfolgt in jährlichen Ubungen; jedes der im Frie- 
den bestehenden 2 Lehrbataillone (Cetinje und 
Podgorica) bildet jährlich 400 Mann 4 Monate 
lang aus, 2 Lehrbatterien (Niksic) je 100 Mann 
2 Monate lang, 1 Lehrpioniertruppe 100 Mann 
6 Monate lang. Sämtliche Wehrpflichtigen treten 
an Sonn= und Feiertagen zu kleineren Ubungen 
zusammen. In Cetinje besteht eine Infanterie- 
militärschule, eine Artillerieschule in Niksic. 
Die Gesamtzahl der waffengeübten Mannschaften 
wird auf etwa 36 000 Mann Infanterie und 
1200 Mann Artillerie geschätzt. Zur Bewachung 
des Hofes und zu fürstlichen Leibgardediensten 
werden stets 60 Perjanken verwendet, während 
der Gendarmeriedienst von Gendarmen (10/80 
an jedem größeren Ort) versehen wird. Im Krieg 
sollen 12 Brigaden (11 für Infanterie, 1 für Ar- 
tillerie) mit zusammen 58 Bataillonen und 12 
Batterien aufgestellt werden. Oberbefehlshaber ist 
der Fürst, Befehlshaber des stehenden Heeres der 
Erbprinz. — Deutschland ist in Montenegro durch 
einen Ministerresidenten in Cetinje vertreten; ein 
Handelsvertrag mit Deutschland wurde 1907 ge- 
schlossen. 
4. Wirtschaftliche Verhältnisse. Die 
Haupterwerbszweige der Bevölkerung sind Vieh- 
zucht und Ackerbau. Bei der Karstnatur, der 
Wasserarmut und der gebirgigen Beschaffenheit des 
größeren Teiles des Landes ist das für den Acker- 
bau taugliche Gebiet hauptsächlich auf die Niede- 
rungen, besonders um den Skutarisee, beschränkt, 
hier allerdings vielfach auf hoher Stufe (künstliche 
Bewässerung, Terrassenbauten); angebaut werden 
Weizen, Mais, Roggen, Gerste, Hafer, Tabak 
und Kartoffeln, von Fruchtbäumen Oliven, Fei- 
gen, Kernobst, Nüsse und Wein. Die Viehwirt- 
schaft (Schafe, Ziegen, Rinder, Bienen) liefert.
	        
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