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heiligen Leben in der Nachahmung Gottes und
Christi berufen waren. „Seid heilig, denn ich
bin heilig, der Herr, euer Gott“, sprach einst
Jehovah zu Moses. „Seid vollkommen, wie euer
himmlischer Vater vollkommen ist“, ermahnt Jesus
seine Jünger (Matth. 5, 48). „Das ist der Wille
Gottes, eure Heiligung“ (1 Thess. 4, 3. 7. Eph. 4,
22 ff. Röm. 6, 19 ff). Das apostolische Sym-
bolum hatte ursprünglich und bis zum 5. Jahrh.
nur sanctam ecclesiam, Ignatius gebraucht das
Epitheton von der Einzelkirche (Trall., inscr.),
Lermas- Tertullian, die apostolische Lirurgie,
yprian legen es der allgemeinen Kirche bei. Die
Apologeten benutzten dieses Merkmal, um die Be-
deutung des Christentums für die Familie, Ge-
meinde, den Staat im Gegensatz zu der boden-
losen Lasterhaftigkeit der heidnischen Welt zu
veranschaulichen. Die Kirche war wirklich eine
„Gemeinschaft der Heiligen“. Soll aber die Heilig-
keit ein Unterscheidungsmerkmal der Konfessionen
sein, da alle die Gnadenschätze des Christentums
zum Zweck der Heiligung anerkennen, so muß die
Mischung von Weizen und Unkraut berücksichtigt
werden, welche durch den „Feind“ und den Welt-
geist auch im Christentum und der Kirche ver-
anlaßt wurde. In dieser Beziehung konnten aber
schon die Väter sagen, daß man vergebens bei den
Sekten dieselbe Heiligkeit suche. Indem die katho-
lische Kirche in den sieben Sakramenten die Quellen
der Gnaden eröffnet und die guten Werke als not-
wendige Mittel zur Erlangung der Seligkeit be-
trachtet, ja in den evangelischen Räten den bevor-
zugten Seelen den Weg zur christlichen Voll-
kommenheit und einem Schatz im Himmel zeigt,
legt sie den Grund zum Streben nach Heiligkeit.
Viele haben dieses Ziel auch erreicht, denn es hat
zu allen Zeiten Heilige in der Kirche gegeben, die
Gott auch durch Zeichen und Wunder verherrlicht
hat; aber noch mehr sind zurückgeblieben, in
Sünden und Laster gefallen. Die Kirche ist all-
zeit heilig, aber ihre Glieder, mitunter auch die
höchsten, waren oft durch ihre eigene Schuld un-
heilig. Deshalb hat schon der hl. Augustinus bei
der Verwendung dieses Merkmals Vorsicht emp-
fohlen und Eph. 5, 27 auf die triumphierende
Kirche bezogen. Andere, auch der hl. Thomas,
folgten ihm. Allerdings ist es in diesem Gebiet,
in welchem sich so vieles der Einsicht der Außen-
welt entzieht, schwer, ein genaues Urteil abzu-
geben; der Statistik fehlen die festen Anhalts-
punkte. Aber doch darf man die Gegner, welche
nur die Makeln und Runzeln an der Kirche sehen
und aufdecken wollen, auf die großartige Kultur-
aufgabe hinweisen, welche die katholische Kirche im
Kampfe mit allen feindlichen Mächten und Leiden-
schaften laut dem Zeugnisse der Geschichte gelöst
hat. Daher ist sie, wie schon die Bäter gesagt
haben, gleichsam „ein großes und fortdauerndes
Motiv der Glaubwürdigkeit“, die als „ein unter
den Nationen errichtetes Zeichen diejenigen ein-
ladet, die noch nicht geglaubt haben, und ihre
Kirche und Staat.
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Söhne vergewissert, daß ihr Glaube auf dem
festesten Fundament ruhe“ (Vatic. sess. III,
ap. 3). »
Literatur. Turrecremata (gest. 1458), Summa de
ecclesia; M. Canus (gest. 1560), Loci theologici;
Bellarmin, Disputationes de controversis chri-
stiange fidei II (1581); Stapleton, Principiorum
fidei doctrinalium demonstratio (1582); P. u.
Adr. de Walenburch, Tractatus generales de con-
troversiis fidei (1670); Passaglia, De ecclesia
Christi Commentarius (1853); Pilgram, Physio-
logie der K. (1860); Murray, Tractatus de eccle-
sia Christi (1860 f); Döllinger, K. u. K. n. Papsttum
u. Kirchenstaat (1861); De Brouwer, Tractatus
de ecclesia Christi (1882); Franzelin, Theses
de ecclesia Christi (1887); De Groot, Summa
apologetica de ecclesia catholica (1890); Wil-
mers, De Cbhristi ecclesia libri sex (1897); Bou-
gaud, Die K. Jesu Christi (1897); Schanz, Chri-
stus u. die K. (Apologie III, 21906); E. Commer,
Die K. in ihrem Wesen u. Leben dargestellt 1
(1904); L. de San, Tract. de eccl. et Rom. pont.
(1905). Weitere Lit. bei Scheeben-Atzberger, Hand-
buch der kath. Dogmatik IV (1898).
IP. Schanz, rev. Eichmann.]
Kirche und Staat. lGrundsätzliches; Ge-
schichtliches; Mittelalter; nationaler Gedanke;
Gallikanismus; Polizeistaat; Rechtsstaat; freie
Kirche im freien Staat; Indifferenz; Koordina-
tion; Richtpunkte.])
I. Eine abschließende Fixierung des nach kirch-
lichen Grundsätzen normalen Verhältnisses zwischen
Staat und Kirche ist bislang von keinem all-
gemeinen Konzil gegeben worden. Den Bätern des
letzten, Vatikanischen Konzils hat ein Schema de
ecclesia vorgelegen, dessen einschlägige Bestim-
mungen (c. 13—15; dazu can. 18—21) zum
Zwecke einer Orientierung über die doktrinelle
Auffassung jenes Verhältnisses hier auszugsweise
eine Stelle finden mögen. Gott ist der Urheber
des Staates wie der Kirche, weshalb zwischen
beiden nicht Streit, sondern Eintracht herrschen
kann und soll. Die Trennung von Staat und
Kirche ist nicht wünschenswert, vielmehr soll der
Staat die Ubertretungen der Vorschriften der
wahren Kirche mit weltlichen Strafen ahnden.
Der höhere, übernatürliche Zweck der Kirche soll
auch vom Staat unterstützt und gefördert werden.
Nach Gottes Gebot ist dem Staat Gehorsam zu
leisten. Derselbe ist aber keineswegs Quelle alles
Rechts (insbesondere des Privateigentums, des
Familienrechts) und jeglicher Autorität. Der
Kirche Recht wie Pflicht ist es, auch über die
staatlichen Vorschriften und politischen Hand-
lungen zu urteilen; was nach göttlichem oder
kirchlichem Recht unerlaubt ist, kann von Staats
wegen nicht erlaubt sein; die Politik des einzelnen
wie der Gesamtheit untersteht vielmehr dem
Sittengesetz, dessen Dolmetsch das unfehlbare
kirchliche Lehramt ist. Eine Verletzung der kirch-
lichen Rechte darf nie aus politischen Gründen,
so wenig vom einzelnen wie vom Staate, ver-
fügt werden. Umgekehrt fehlt der Staatsgewalt