Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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(Art. 15). Prisen können nur wegen Seeuntüchtig- 
keit, ungünstiger See oder aus Mangel an Kohlen 
oder Vorräten in neutrale Häfen gebracht werden. 
Liegt eine solche Voraussetzung nicht vor, oder 
läuft die Prise nach Fortfall jener Ursache nicht 
aus, so hat die neutrale Macht nach vergeblicher 
Aufforderung zum sofortigen Auslaufen alle Mittel 
zur Befreiung der Prise und zum Festhalten der 
feindlichen Besatzung anzuwenden (Art. 21, 22). 
Wird dagegen eine Prise in einen neutralen Hafen 
gebracht, um dort bis zur Entscheidung des Prisen- 
gerichts in Verwahrung gehalten zu werden, kann 
die neutrale Macht den Zutritt gestatten (Art. 23). 
IV. Rechte und Pflichten der Untertanen 
neutraler Staaten. Die rechtliche Stellung der 
Neutralen, d. h. der „Angehörigen eines an dem 
Kriege nicht beteiligten Staates“ (Abkommen V, 
Art. 16), ist eine zum Teil wesentlich andere als die 
der Staaten selbst. Denn während letztere sich jeder 
irgendwie gearteten Unterstützung einer der Kriegs- 
parteien zu enthalten haben, widrigenfalls sie von 
dem andern Teil als Feind betrachtet werden 
können, haben ihre Staatsangehörigen hierin weit- 
gehende Freiheiten. 
1. Gewisse Handlungen, die eine unmittel- 
bare Kriegshilfe darstellen, sind auch ihnen 
absolut verboten; ihre Regierung hat, wie wir be- 
reits sahen, die Pflicht, dieselben zu verhindern 
und eventuell zu bestrafen, andernfalls sie die Ver- 
antwortung hierfür trägt. Hierher gehört z. B. 
die Errichtung von funkentelegraphischen Stationen 
oder andern Anlagen zur Vermittlung des Ver- 
kehrs mit den kriegführenden Streitkräften, die 
Ausrüstung und Bewaffnung von Schiffen, die 
zum Kreuzen oder zur Teilnahme an den feind- 
lichen Unternehmungen bestimmt sind (Abkommen 
V, Art. 3; XIII, Art. 8). 
2. Gewisse andere Handlungen stellen zwar keine 
direkte Kriegshilse dar, sind aber gleichwohl eine 
neutralitätswidrige Unterstützung der 
einen oder andern Kriegspartei. Das Charakteri- 
stikum dieser Akte liegt darin, daß hier die Re- 
gierung keine Verantwortung trägt, der einzelne 
auf seine eigne Gefahr handelt. Hierher gehört 
der Eintritt in den Kriegsdienst eines der Gegner 
(Abkommen V, Art. 6). Nur wenn der Eintritt in 
Massen, besonders von Offizieren, erfolgt, ist die 
Regierung dafür verantwortlich, weil dann eine 
unmittelbare Unterstützung durch Lieferung von 
Truppen vorliegen dürfte. Die Stellung der Kriegs- 
dienste leistenden Neutralen selbst ist keine andere als 
die der Angehörigen der Kriegsmacht. Sie können 
sich ebensowenig wie diejenigen Neutralen, welche 
feindliche Handlungen gegen oder Handlungen für 
einen Kriegführenden begehen, auf ihre Neutralität 
berufen, doch dürfen sie auch nicht strenger be- 
handelt werden, als ein Angehöriger des andern 
Staates wegen der gleichen Tat behandelt werden 
kann (Art. 17). Als solche Handlungen zugunsten 
einer Kriegspartei werden indessen nicht angesehen: 
die Übernahme von Lieferungen oder Bewilligung 
Neutralität usw. 
  
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von Darlehen sowie die Leistung von Polizei= oder 
Zivilverwaltungsdiensten (Art. 18). 
Eine neutralitätswidrige Unterstützung ist ferner 
im Seekrieg der von Neutralen für einen Krieg- 
führenden besorgte Transport von Truppen und 
Munition oder die Beförderung von Nachrichten 
für einen der Gegner. Der Neutrale setzt sich der 
Gefahr aus, daß sein dem Transport oder der 
Beförderung dienendes Schiff von der andern 
Kriegspartei eingezogen wird. Doch müssen hier- 
für gemäß der Londoner Konferenz folgende Vor- 
aussetzungen vorliegen: das neutrale Schiff muß 
die Reise eigens zum Zwecke der Beförderung ein- 
zelner in die feindliche Streitmacht eingereihter 
Personen oder zur Nachrichtenbeförderung im 
Interesse des Feindes ausführen, oder aber mit 
Wissen des Eigentümers, des Charterers oder des 
Kapitäns eine geschlossene Truppenabteilung oder 
eine oder mehrere Personen, die während der 
Fahrt die Operationen des Feindes unmittelbar 
unterstützen, an Bord haben. In diesen Fällen 
wird das Schiff wie ein neutrales Schiff mit 
Konterbande behandelt (s. unten V): Schiff, aber 
auch die dem Schiffseigentümer gehörigen Waren 
unterliegen der Einziehung, die feindlichen Trup- 
pen werden zu Kriegsgefangenen gemacht, die De- 
peschen beschlagnahmt. Nur dann finden diese 
Bestimmungen bezüglich Schiff und Ware keine 
Anwendung, wenn das Schiff von den Feindselig- 
keiten keine Kenntnis hat, oder der Kapitän diese 
zwar besitzt, aber die beförderten Personen noch 
nicht hat ausschiffen können. Hat das Schiff jedoch 
einen feindlichen Hafen nach Beginn der Feind- 
seligkeiten oder einen neutralen Hafen nach Ab- 
lauf angemessener Zeit seit Bekanntgabe des Be- 
ginnes der Feindseligkeiten an die betreffende 
neutrale Macht verlassen, so wird die Kenntnis 
angenommen. Beteiligt sich das Schiff unmittel- 
bar an den Feindseligkeiten, oder befindet es sich 
unter Befehl oder Aufsicht eines von der feind- 
lichen Regierung an Bord gesetzten Agenten, oder 
ist es von der feindlichen Regierung gechartert, oder 
ist es endlich zurzeit ausschließlich zur Beförderung 
feindlicher Truppen oder zur Nachrichtenbeförde- 
rung im Interesse des Feindes bestimmt, so unter- 
liegt das Schiff und die dem Schiffseigentümer 
gehörige Ware der Einziehung und Behandlung 
nicht wie ein neutrales Schiff mit Konterbande, 
sondern wie ein feindliches Kauffahrteischiff (Art. 
45/470. 
3. Wie der Verkehr der neutralen Staaten mit 
den Kriegführenden durch den Krieg nicht unter- 
brochen wird, so ist auch der Verkehr der Unter- 
tanen, insbesondere der Handelsverkehr, 
grundsätzlich frei. Sie können zu Wasser wie zu 
Lande mit jedermann, also auch mit einer der 
Kriegsparteien Verkehr unterhalten und Handel 
treiben. Faktisch aber hat der Krieg unvermeidliche 
Beschränkungen von Verkehr und Handel zur Folge, 
zumal für jeden Kriegführenden die Notwendigkeit 
vorliegt, den Handel des Gegners zu schädigen,
	        
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