Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Die niederländische Gesandtschaft beim Vatikan 
ist seit 1870 aufgehoben; ein päpstlicher Nuntius 
ist im Haag alkreditiert. Der Katholizismus wächst 
an Umfang und Einfluß, nicht zum wenigsten 
infolge der rührigen sozialen Tätigkeit der nieder- 
ländischen Katholiken. Die religiösen Genossen- 
schaften, die volle Freiheit und meist das Recht 
einer juristischen Persönlichkeit besitzen, haben sich 
in den letzten Jahren besonders durch die fran- 
zösischen Ordensaustreibungen vermehrt (1908 
an 80 Männerklöster). Vom Staat bezieht die 
katholische Kirche jährlich 500 000 Gulden als 
Ersatz für die Säkularisation der Kirchengüter, die 
Gläubigen haben seit 1853 an 55 Mill. Gulden 
für neue Kirchen aufgebracht. Die katholische 
Presse besteht aus 16 großen Tagesblättern, 130 
Zeitungen, die zwei= bis dreimal in der Woche 
erscheinen, 150 Wochenblättern und 50 Zeit- 
schriften. — Die altbischöfliche Kirche von Utrecht 
(die Altrömischen, Römisch-Katholischen der alten 
Klerisei, seit 1723) ist stark im Niedergange. Sie 
zählt 26 anerkannte Gemeinden, steht unter dem 
Erzbischof von Utrecht und den Bischöfen von 
Haarlem und Deventer (letzterer ohne Diözese) und 
unterhält enge Beziehungen zu den deutschen Alt- 
katholiken.— Die niederländische reformierte Kirche 
erhielt durch die Synoden von Dordrecht 1574 und 
1618 eine festere Gestaltung. Die Kirchenorgani- 
sation von 1816 gewährte der Staatsgewalt einen 
großen Einfluß; die neue Verfassung von 1852 
aber gab ihr die größte Unabhängigkeit und über- 
trug die oberste Gewalt der frei gewählten „allge- 
meinen Synode“, deren Beschlüsse keinem Plazet 
unterliegen. Diese tritt jährlich am dritten Mitt- 
woch des Juli im Haag zusammen, besteht aus 
13 Predigern und 6 Altesten, die von den Pro- 
vinzialkirchenvorständen ernannt werden, sowie 
aus 2 Vertretern der theologischen Fakultäten und 
2 Amtsmitgliedern, und teilt die Kirchengewalt 
mit den 44 „Klassenversammlungen“ der (1356) 
Gemeinden. Die Prediger erhalten ihre Ausbil- 
dung auf den Universitäten, deren Theologiepro= 
fessoren der Staat ohne Mitwirkung der Kirchen- 
behörden ernennt. Von den andern protestantischen 
Denominationen sind die bedeutenderen die evan- 
gelisch-lutherische Kirche, deren Synode am Mitt- 
woch nach Pfingsten in Amsterdam abgehalten 
wird, die Mennoniten (ohne Zentralverwaltung) 
und die Brüderschaft der Remonstranten (seit 
1610), an deren Spitze eine jährlich zusammen- 
tretende Kommission steht. — Die Israeliten be- 
sitzen eine Zentralkommission, 6 Hauptrabbinate 
und an 180 Gemeinden. Die beiden Gemeinden 
der portugiesischen Juden in Amsterdam und im 
Haag stehen unter einer Hauptkommission. 
V. Anterrichksverhältnisse. Der Unterricht 
ist nach der Verfassung von 1848 frei, jedoch be- 
sitzt der Staat das Aufsichtsrecht und hat das 
Prinzip der Trennung von Schule und Kirche 
möglichst scharf durchgeführt. Die liberalen Schul- 
gesetze von 1853, 1857 und 1863 verbannten 
Niederlande. 
  
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jeden konfessionellen Unterricht aus den Staats- 
schulen und zwangen die Katholiken zur Grün- 
dung von Privatschulen, während sie zu den Kosten 
des Staatsschulwesens beitragen müssen. Das 
Elementarschulgesetz vom 17. Aug. 1878 hielt trotz 
aller Gegenanstrengungen die Konfessionslosigkeit 
aufrecht; die Unterrichtsgesetze von 1889, 1901 
und 1905 sicherten auch den konfessionellen Schulen 
eine Staatsunterstützung und Gleichberechtigung 
ihrer Lehrer mit denen der Staatsschulen zu, den 
Gymnasien und Hochschulen Gleichberechtigung 
mit den staatlichen unter bestimmten Bedingungen, 
besonders bezüglich der Gediegenheit des Unter- 
richts. Gegenüber den konfessionellen Privat- 
schulen tritt nunmehr die staatliche konfessionslose 
Schule an Wichtigkeit und Einfluß allmählich zu- 
rück. Die Oberaufsicht über das Volksschulwesen 
führen 3 Generalinspektoren, unter diesen zahl- 
reiche Distrikts= und 94 Arrondissementsschulauf- 
seher, in den Gemeinden örtliche Schulkomitees, 
denen im Einverständnis mit dem Distriktsinspektor 
die Ernennung der Lehrer zusteht. Die Zahl der 
öffentlichen, d. h. von den Gemeinden unterhaltenen 
neutralen (konfessionslosen) Schulen betrug An- 
fang 1908: 3274, die der privaten 1885, von 
denen 1734 nach dem Gesetz Unterstützung bean- 
spruchten. Kinderbewahranstalten bestanden 1185. 
(1025 private). Die Lehrer werden an 5 staat- 
lichen Anstalten vorgebildet; außerdem unterhalten 
verschiedene Gemeinden Lehrerbildungsanstalten in 
Verbindung mit den Elementarschulen. Das Schul- 
zwangsgesetz vom 7. Juli 1900 verpflichtet zu sechs- 
jährigem Schulbesuch; seine Durchführung ist aber 
bisher eine mangelhafte, so daß 1907: 5,4% der 
schulpflichtigen Kinder keinen Unterricht erhielten. 
Von den Ausgehobenen des Jahres 1907 konnten 
1,6% weder lesen noch schreiben (in Drenthe 
4,3 % Seeland 0,9). — Die Aussicht über die 
mittleren Schulen wurde 1898 4 Inspektoren 
übertragen, von denen einer den landwirtschaft- 
lichen und einer den gewerblichen Unterricht über- 
wacht. Ende 1907 bestanden 45 Bürgerabend-, 
184 Zeichen= und Industrieschulen, 49 gewerbliche, 
24 Mädchenindustrieschulen, 74 höhere Bürger- 
schulen für Knaben, 15 für Mädchen usw.; an Fach- 
und Spezialschulen: das Polytechnikum in Delft, 
2 Anstalten zur Ausbildung von Beamten für die 
ostindischen Kolonien in Delft und Leiden (an der 
Universität), die Akademien der schönen Künste in 
Amsterdam, Rotterdam und Groningen, die könig- 
liche Schule für nützliche und bildende Künste in 
Herzogenbusch, die Musikschulen im Haag, zu 
Amsterdam, Leiden und Maastricht, die Armee- 
bildungsanstalten zu Breda, das Marineinstitut 
zu Willemsoord, die Landestierarzneischule zu 
Utrecht, die Ackerbauschule zu Wageningen, die 
Gartenbauschule zu Watergraafsmeer, die Han- 
delsschule zu Amsterdam, 11 Seemanns= und viele 
andere Schulen; ferner: 3 Taubstummenanstalten 
zu Groningen, St Michielsgestel und Rotterdam, 
1 Blindeninstitut zu Amsterdam, 1 Idiotenschule
	        
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