127 Kirche und Staat. 128
IV. siecle (6 Bde, Paris 1856/66); Allard, Le allerdings nicht willenloser Schützer zu sein. Diese
christianisme et I’empire romain de Néron à Schutzpflicht (advocatia) erweiterte sich über die
Theodore (Paris 1908); Knecht, Die Religions= Grenzen des fränkischen Reiches hinaus durch die
politik Justinians I. (1896). 4
V. Bei den Germanen gestaltete sich das
Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Ge-
walt erfreulicher. Die einzelnen aus dem Wirr-
warr der großen Völkerwanderung Gestalt ge-
winnenden Reiche waren tatsächlich stark und
kräftig nur, soweit sie zum wahren christlichen
Glauben und zur Einheit mit der römischen Kirche
sich bekannten. Die arianischen Reiche zerfielen
überall. Die Germanenkönige stellten sich samt
ihren Völkern in den Dienst Christi und der
Kirche und wuchsen, früher Barbaren, allgemach
in christlicher Zucht und Bildung heran. Die
Kirche war auch die Trägerin der weltlichen
Kultur; doch bewahrte insbesondere die Entwick-
lung des germanischen Rechts dessen Eigenart,
unberührt von dem sonst von der Kirche rezipierten
römischen Recht. Ja dem Einfluß des Lehns-
rechts vermochte auch die Kirche sich nicht völlig
zu entziehen. Die Bischöfe wurden, vorzüglich
im Frankenreich, wie die Vorsteher der großen und
zahlreichen Klöster, zugleich Feudalherren; sie be-
rieten als Reichsstände zumal mit den weltlichen
Ständen auf dem Reichstage die weltlichen An-
Erneuerung des römischen Kaisertums im
Jahre 800. Die Idee desselben war nicht eine
Weltherrschaft, wohl aber eine Gemeinschaft aller
Katholiken unter den in Freundschaft und durch
gegenseitigen Treueid verbundenen höchsten Per-
sonen: einem Papste und einem Kaiser. Der
Bestand anderer Reiche war nicht ausgeschlossen;
des Kaisers Pflicht wie Recht war es aber, der
Kirche überall, wo es not tat, seinen mächtigen
Arm zu leihen, jede Vergewaltigung kirchlicher
Rechte und Freiheiten, wozu insbesondere die Im-
munitäten gehörten, zu rächen und im Kampfe
gegen die Ungläubigen der erste zu sein. Denn
eine Toleranz als Rechtsanspruch war dem Mittel-
alter fremd. Rechtsfähigkeit auf weltlichem Gebiet
hat Rechtsfähigkeit in kirchlicher Hinsicht zur Vor-
aussetzung. Die Häresie hat keine Existenzberech-
tigung, wird vielmehr als weltliches Verbrechen
seit dem 13. Jahrh. mit dem Tode bestraft. Den
im Kirchenbann Verharrenden trifft die Acht.
Der Kampf gegen die Ungläubigen ist ein gutes
Werk. Vgl. Niehues, Geschichte des Verhältnisses
zwischen Kaisertum und Papsttum im Mittelalter
(2 Bde, 1877/87).
gelegenheiten, sie mußten es aber geschehen lassen, VII. Das Mittelalter stellte sich in seiner
daß umgekehrt nicht selten, wie auch im west= konkreten Art zu denken das Verhältnis der beiden
gotischen Spanien, die Laienfürsten zusammen Gewalten unter dem Bilde zweier Schwerter
mit den Bischöfen kirchliche Angelegenheiten auf (val. Luk. 22, 38) vor. Einig waren die mittelalter-
sog. concilia mixta verhandelten. Obwohl die lichen Schriftsteller darüber, daß beide Schwerter
merowingischen wie die gotischen Könige einen von Gott sind, und daß das geistliche Schwert an
großen, entscheidenden Einfluß auf die kirchlichen Würde und Ehre das weltliche weit übertrifft. Des-
Verhältnisse, auf die Besetzung der Bistümer, auf halb geht der Papst dem Kaiser vor und hat nach
die Abhaltung der Synoden usw. übten, kann alter Sitte der Kaiser dem Papste ritterliche Dienste
doch in keinem Falle von Landeskirchen im Sinne zu leisten, ihm den Steigbügel zu halten, wenn
von sog. romfreien Kirchen gesprochen werden; er zu Pferde steigt, und des Papstes Zelter einen
vielmehr fühlten sich alle diese Kirchen als Teile 1 Steinwurf weit am Zaume zu führen (officium
der einen katholischen Kirche, und alle Fürsten strepae et stratoris). — Was aber das Ver-
verehrten den römischen Papst als Haupt der hältnis der beiden Schwerter zueinander anlangt,
Kirche. Vgl. Loening, Geschichte des deutschen so bestanden zwei Ansichten. Nach der einen,
Kirchenrechts (2 Bde, 1878); Weyl, Das fränkische ghibellinischen Ansicht, die unter anderem im Sach-
Staatskirchenrecht zur Zeit der Merowinger und senspiegel (1, 1) sich befindet, sind beide Schwerter
Karolinger, bei Gierke, Untersuchungen zur deut= unmittelbar von Gott. Nach der andern, der
schen Staats= und Rechtsgeschichte, Oft 27 und 40 welfischen Ansicht, dagegen, welche auch im sog.
(1888 u. 1892); Grisar, in der Zeitschrift für Schwabenspiegel (Landrecht, Vorwort) vertreten
Theol. XIV (1890) 447—493; Fehr, Staat ist, verlieh Christus beide, das geistliche und das
und Kirche im fränkischen Reich bis Karl d. Gr. weltliche Schwert, dem Petrus; das weltliche
1869)0. Schwert verleiht der Papst dem Kaiser, auf daß
VI. Das Geschlecht der Karolinger erkannte er damit richte. Nach dieser Anschauung ist es
im möglichst ngen Anschluß an den römischen Stuhl schließlich der Papst, welcher alles leitet und die
nicht nur im allgemeinen eine Pflicht christlicher ganze Welt regiert, die Kirche unmittelbar, die
Herrscher, sondern das beste Mittel zur Reform Reiche aber mittelbar durch die von ihm gesetzten
der kirchlichen Zustände. Die Aufrichtung eines und mit Gewalt ausgerüsteten Fürsten. Nur eine
von griechischem wie langobardischem Einfluß Konsequenz dieser Theorie ist es, daß der Papst
freien Besitzes der römischen Kirche (patrimonium Gewalt habe, die Fürsten abzusetzen, die Unter-
Petri,, der spätere Kirchenstaat) war vorzüglich tanen vom Treueid zu entbinden, das Kaisertum
ein Werk der Karolinger. Unter diesen war es von einer Nation auf eine andere nach seinem
Karl d. Gr., welcher bestimmter als andere es als Belieben zu übertragen usw. In autoritativer
seinen Beruf erkannte, der Kirche ein starker, treuer, 1 Weise sprach sich für diese welfische Auffassung des