Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1881 
Die badische Verfassungsurkunde normiert in 
§ 66 die Befugnis des Landesherrn, „auch solche, 
ihrer Natur nach zwar zur ständischen Beratung 
geeignete, aber durch das Staatswohl dringend ge- 
botene Verordnungen" unter der Verantwortlichkeit 
der Minister zu erlassen, „deren vorübergehender 
Zweck durch jede Verzögerung vereitelt würde“". 
Weitere allgemeine Beschränkungen dieses Verord- 
nungsrechts bestehen nicht. Dasselbe kann also 
auch bei versammeltem Landtag angewendet und 
auf alle Gegenstände erstreckt werden, selbst auf 
die Anderung verfassungsrechtlicher Vorschriften. 
So Walz, Das Staatsrecht des Großh. Baden 
(1909) 216, und Glockner, Bad. Verfassungs- 
recht mit Erläuterungen (1905); anderer Ansicht 
ist Wielandt, Bad. Staatsrecht (1895) 168, der die 
Frage, ob durch eine Notverordnung das Ver- 
fassungsgesetz geändert werden könne, verneint mit 
der Begründung, daß Verfassungsgesetze eben an be- 
stimmte Mehrheiten gebunden sind. Ausgeschlossen 
ist das Verordnungsrecht nur zum Zweck des Aus- 
schreibens von Steuern, da hier für die dringenden 
Fälle in der Verfassungsurkunde besondere Vor- 
schriften gegeben sind. Walz a. a. O. 210) bestreitet, 
daß die ergangene Notverordnung dem Landtag so- 
fort oder bei seinem Zusammentritt zur Genehmi- 
gung ihres Inhalts vorgelegt werden müsse; eben- 
sowenig sei die Anschauung zutreffend, daß eine 
Notverordnung spätestens mit dem Ablauf des ge- 
rade versammelten oder des auf ihren Erlaß folgen- 
den Landtags ihre Wirksamkeit verliere. Dieselbe 
bleibe vielmehr so lange in Kraft, und zwar mit 
der vollen Wirksamkeit eines Gesetzes, als sie nicht 
ausdrücklich zurückgenommen werde. Auch die 
Tatsache, daß die von der Regierung nachge- 
suchte Zustimmung vom Landtag verweigert wird, 
ist nach Walz (a. a. O.) an und für sich nicht ge- 
eignet, der erlassenen Notverordnung ihre Kraft 
zu entziehen. Walz (a. a. O.) erkennt den Stän- 
den nur das Recht zu, die alsbaldige Aufhebung 
des provisorischen Gesetzes zu verlangen, eine un- 
mittelbar vernichtende Wirkung spricht er der Ab- 
lehnung des Landtags dagegen ab mangels aus- 
drücklicher Bestimmung. Walz stützt sich dabei 
auf den Wortlaut des § 67 der Verfassungs- 
urkunde. Derselbe lautet (nach dem Ges. v. 
20. Febr. 1868): „Die Kammern haben das 
Recht der Vorstellung und Beschwerde; Ver- 
ordnungen, worinnen Bestimmungen eingeflossen, 
wodurch sie ihr Zustimmungsrecht für gekränkt er- 
achten, sollen auf ihre erhobene gegründete Be- 
schwerde sogleich außer Wirksamkeit gesetzt werden. 
Sie können den Großherzog unter Angabe der 
Gründe um den Vorschlag eines Gesetzes bitten. 
Sie haben das Recht, Mißbräuche in der Ver- 
waltung, die zu ihrer Kenntnis gelangen, der Re- 
gierung anzuzeigen“ usw. 
Die Verfassung gibt in § 67 a (Ges. v. 20. Febr. 
1868 und 24. Aug. 1904) der Volksvertretung 
die staatsrechtliche Garantie zur Wahrung ihrer 
Rechte durch Erhebung der Ministeranklage „wegen 
Notrecht. 
  
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einer durch Handlungen oder Unterlassungen wis- 
sentlich oder aus grober Fahrlässigkeit begangenen 
Verletzung der Verfassung oder anerkannt ver- 
fassungsmäßiger Rechte, oder schwerer Gefährdung 
der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staats“ (vol. 
d. Art. Garantien, staatsrechtliche, Abschn. Mi- 
nisterverantwortlichkeit, Bd II, Sp. 399f). — 
Wielandt (a. a. O. 168) und Glockner (a. a. O. 
150) sind anderer Ansicht als Walz. Wielandt 
vertritt den Standpunkt, daß die Notverordnungen 
ihre Wirksamkeit verlieren, wenn nicht vorher mit 
Zustimmung der Landstände erneuert, mit dem 
Schluß des auf ihre Erlassung folgenden Land- 
tags, und zwar auch ohne ausdrückliche Außer- 
kraftsetzung. Wielandt folgert dies einmal dar- 
aus, daß solche „provisorischen Gesetze“ nur einen 
„vorübergehenden Zweck“ haben, sodann daraus, 
daß nach den allgemeinen Grundsätzen über die 
Notwendigkeit der Einholung ständischer Zustim- 
mung zu Gesetzen dieses Erfordernis von der Re- 
gierung erfüllt werden muß, sobald dazu die 
Möcglichkeit sich ergibt. Wenn nun auch Walz 
zweifellos der Wortlaut des § 66 recht gibt, so 
wird wohl in der Praxis der Wielandtsche Stand- 
punkt vertreten, d. h. die Regierung legt regel- 
mäßig, wenn sie die Fortdauer der durch das pro- 
visorische Gesetz getroffenen Rechtsnorm wünscht, 
zu diesem Zweck ein Gesetz des gleichen Inhalts 
dem nächsten Landtag vor, über dessen geschäft- 
lih Behandlung die allgemeinen Grundsätze 
gelten. 
Für den „Fall außerordentlicher Vorkommnisse, 
welche die Sicherheit der Personen und des Eigen- 
tums schwer bedrohen, bleibt der Polizei und der 
höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten, vor- 
übergehende Anordnungen unter Strafandrohung 
innerhalb des allgemeinen gesetzlichen Strafmaßes 
zu treffen. Solche Anordnungen verlieren jeden- 
falls nach Ablauf von vier Wochen ihre Wirk- 
samkeit. Dauert der Grund zu einer solchen An- 
ordnung fort, so kann eine Erneuerung nur durch 
das Ministerium verfügt werden“. Dieses Not- 
verordnungerecht ist also ausgeschlossen für Wohl- 
fahrtspolizei und Volkswirtschaftspflege. Des- 
gleichen dürfen solche polizeiliche Notverordnungen 
nicht zum Schutz der öffentlichen Sicherheit als 
politische Maßregeln erlassen werden. Vgl. Schlus- 
ser, Das bad. Polizeistrafrecht (3. Aufl. bearbeitet 
von E. Müller, 1908). Über die Rechte des land- 
ständischen Ausschusses vgl. d. Art. Garantien, 
staatsrechtliche, Bd II, Sp. 395. 
Die hessische Verfassungsurkunde gewährt in 
Art. 73 nebst Gesetz vom 15. Juli 1862 eben- 
falls dem Landesherrn die Befugnis, Notverord- 
nungen zu erlassen. Während aber anderwärts 
in der Regel die Notverordnung der Volksver- 
tretung bei dem nächsten Zusammentreten zur Ge- 
nehmigung vorzulegen und außer Kraft zu setzen 
ist, wenn die Genehmigung versagt wird, bedarf 
es in Hessen einer ständischen Mitwirkung nur 
dann, wenn die Verordnung nach Ablauf eines 
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