Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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matisch gemeinsamen Angelegenheiten auf die 
Dauer eines Jahres für den Fall, daß durch den 
normalen Weg der Gesetzgebung beider Staaten 
eine Ordnung der Beitragsquoten nicht zu er- 
zielen ist“ (Gesetzesartikel für Ungarn XII, 1867, 
§ 21; Ges. v. 21. Dez. 1867, R. 146, § 3). 
Für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und 
Länder kommt die Notgesetzgebung in Be- 
tracht. Das kaiserliche Patent vom 26. Febr. 1861 
bestimmte in § 13 folgendes: „Wenn zur Zeit, 
da der Reichsrat nicht versammelt ist, in einem 
Gegenstande seines Wirkungskreises dringend 
Maßregeln getroffen werden müssen, so ist das 
Ministerium verpflichtet, dem nächsten Reichsrat 
die Gründe und Erfolge dieser Verfügung klar- 
zulegen.“ Daraus ergibt sich, daß die Wirksam- 
keit dieser Notverordnungen eine unbedingte und 
eine zeitlich unbeschränkte war. Da aber in jener 
Zeit die Ministerverantwortlichkeit noch nicht ge- 
setzlich festgelegt war, so war damit die Verpflich- 
tung des Ministeriums zur Darlegung der Gründe 
und Erfolge bedeutungslos. Daher änderte man 
bei der Reform der Verfassung im Jahr 1867 
diese Bestimmung entsprechend. Danach bildet 
gegenwärtig in den im Reichsrat vertretenen 
österreichischen Ländern Voraussetzung eines Not- 
gesetzes, daß die dringende Notwendigkeit einer 
Anordnung sich in einer Zeit herausstellt, wo der 
Reichsrat nicht versammelt ist, gleichviel ob der 
Reichsrat vertagt, geschlossen ist oder durch Auf- 
lösung des Abgeordnetenhauses nicht versammelt 
werden kann. Eine weitere Beschränkung liegt darin, 
daß die Notgesetze eine Abänderung der Grundgesetze 
und der Verfassung nicht enthalten dürfen; des- 
gleichen können durch Notgesetze unbewegliches 
Staatseigentum nicht veräußert und der Staats- 
schatz nicht dauernd belastet werden. Natürlich 
müssen die Notgesetze von sämtlichen Ministern 
gegengezeichnet und im Reichsgesetzblatt publiziert 
sein. Sie müssen ferner dem nächsten nach der 
Pudlikation zusammentretenden Reichsrat, und 
zwar zunächst dem Hause der Abgeordneten binnen 
vier Wochen nach dessen Zusammentritt zur Ge- 
nehmigung vorgelegt werden. Bezüglich des Er- 
löschens der Gesetzeskraft solcher Notgesetze nimmt 
die herrschende staatsrechtliche Literatur für Oster- 
reich an, daß ihre Gesetzeskraft ipso jure erlösche, 
wenn eines der beiden Häuser des Reichsrats ent- 
weder die Genehmigung versagt, oder wenn die 
Verordnung in der gesetzlichen Frist dem Reichs- 
rat zur Genehmigung nicht vorgelegt worden ist. 
In beiden Fällen ist das Gesamtministerium da- 
für verantwortlich, daß im Reichsgesetzblatt das 
Erlöschen dieser Gesetzeskraft gehörig kund gemacht 
wird. Durch die Genehmigung eines Notgesetzes 
seitens des Reichsrats wird dasselbe definitiv, 
wobei auch diese nachträglich erfolgte Genehmigung 
im Reichsgesetzblatt zu publizieren ist. Die Frage, 
ob im Bereich der Landesgesetzgebung der öster- 
reichischen Kronländer Notgesetze erlassen werden 
können, wird von einzelnen Schriftstellern verneint; 
Notrecht. 
  
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die Verfassung hat darüber keine Bestimmungen 
getroffen. Ulbrich (Das österr. Staatsrecht (1909) 
246) dagegen bejaht diese, da die „Macht des 
Herrschers zur Wahrung von Staatsinteressen durch 
außerordentliche Anordnungen ein immanentes 
Element seiner Regierungsgewalt ist und der § 14 
des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung 
diese Machtbefugnis des Herrschers nicht erst ge- 
schaffen, sondern nur begrenzt und an bestimmte 
Formen gebunden hat. Daraus ergibt sich auch 
im Bereich der Landesgesetzgebung ein aus dem 
Wesen der Regierungsgewalt fließendes Notgesetz- 
gebungsrecht, für das aber allerdings die bei der 
Reichsgesetzgebung vorgeschriebenen Formen und 
Garantien nicht vorhanden sind. Nur eine Ab- 
änderung der Landesgrundgesetze erscheint wohl 
ausgeschlossen; denn Notgesetze sind stets nur ein- 
fache Gesetze ohne Kraft zur Abänderung guali- 
fizierter Gesetze“. 
In England wurde gegenüber der von 
Locke und Blackstone vertretenen Meinung, daß 
die Krone das Recht zu Notverordnungen habe, 
bereits 1766 bei Gelegenheit der Indemnitybill 
dies Recht der Krone ausdrücklich verneint. Den 
Anlaß hierzu bot ein von der Regierung erlassenes 
Ausfuhrverbot, welches von der Regierung aus- 
gegangen war, ohne daß ein Gesetz sie dazu er- 
mächtigt hatte. Es wurde damals im Parlament 
ausdrücklich festgestellt, daß die Exekutivgewalt 
ein solches Recht zum Erlaß von Notverordnungen 
nicht habe, und es wurde im Anschluß hieran 
die ganze Theorie des Staatsnotstandes nach 
englischem Recht entwickelt, wie sie noch heutzutage 
gilt. „Jede im Notstand vorgenommene Handlung 
ist, sofern sie eine Überschreitung des geltenden 
Rechts darstellt, rechtswidrig, gleichgültig ob sie 
von einem Individuum oder von der Regierung 
und ihren Beamten vorgenommen, gleichgültig ob 
sie zum Wohl des Staats vorgenommen ist oder 
nicht.“ Nur eine Indemnitybill kann die Über- 
schreiter objektiven Rechts vor den rechtlichen 
Konseauenzen schützen. Und diese Indemnitybill 
kann ergehen, muß aber nicht ergehen. Guter 
Glaube, daß Staatsnot vorhanden gewesen sei, 
entschuldigt die Regierung vor dem Parlament 
ebensowenig wie vor dem ordentlichen Richter. 
So beruht also die Einführung des Rechtsinstituts 
der Notverordnung in die Verfassungen sehr vieler 
Staaten auf dem Kontinent auf einem Mißver- 
ständnis der englischen Staatsrechtslehrer Locke 
und Blackstone, die der Exekutivgewalt in England 
ein Recht zusprachen, das ihr tatsächlich nicht zu- 
kam (val. hierzu Hatschek, Engl. Staatsrecht, in 
Margquardsens Handb. des öffentl. Rechts Bd IV, 
2. Halbbd, 4. Abt. (1905 I, S. 619). 
Dasdänische Grundgesetz vom 5. Juni 1849 
bzw. 17. Nov. 1865 bestimmt in seinem § 25: 
„In besonders dringenden Fällen kann der König, 
wenn der Reichstag nicht versammelt ist, provi- 
sorische (forelöbige) Gesetze erlassen; dieselben 
dürfen jedoch nicht gegen das Grundgesetz streiten 
 
	        
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