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Verkennung des Begriffs des Notstands als eine
nicht zu vermeidende und nicht auszurottende Ein-
richtung bezeichnet (vgl. d. Art. Zweikampf).
Literatur. Altere: s. bei Böhmer, Handb.
der Lit. des Kriminalrechts (1816); desgl. Kapp-
ler (1838); Köstlin, System (1855) § 37. —
Neuere: v. Alberti, Notwehr heute u. in den
Volksrechten (1898); ders., Das Notwehrrecht
(1901); Berner, Strafrecht (1898) §§ 57 fe,
S. 102 ff; Binding, Grundriß zu Vorlesungen
über gem. deutsches Strafrecht (1884); Birkmeyer,
Strafrecht, in seiner Enzyklopädie (1904) 1119;
Dannenbaum, Das Notrecht de lege kerenda
(Diss., Freib. 1901); Endemann, Lehrb. des
bürgerl. Rechts 1 (1903), § 85, S. 433 ff; Finger,
Begriff der Gefahr u. seine Anwendung im Straf-
recht (1889); Fuhr, Der Notstand im Zivilrecht
(1888); Geyer, Die Lehre von der Notwehr (1857);
derf. in v. Holtzendorffs Rechtslexikon II; Glaser,
Ges. Schriften II (1868); Hinschius, Kirchenrecht
V (1895), § 345, S. 939 ff; Janka, Der straf-
rechtliche Notstand (1878); v. Kallina, Notwehr
gegenüber Amtshandlungen (1899); Levita, Recht
der Notwehr (1856); v. Liszt, Strafrecht (1903)
§§ 33, 34, S. 144 ff; Mugdan, Die gesamten Ma-
terialien zum B.G.B. I (1899) 797 ff; Pretsch,
Das Notstandsrecht des B.G.B. u. seine Bedeutung
für das Strafrecht (Diss., Rostock 1899); Schaper
in Holtzendorffs Handb. des deutschen Strafrechts
II, 6 (1871/74), 8§ 11 ff; Schollmeyer, Das Recht
der Notwehr nach dem B. G. B. (Festrede, Würzburg
1899); Seeger, Abhandlungen aus dem Straf-
recht. II: Bemerkungen über die Grundansichten des
römischen u. deutschen Rechts von der Notwehr
(1858); Stammler, Die strafrechtliche Bedeutung
des Notstands (1878); Titze, Die Notstandslehre
im deutschen B.G. B. u. ihre geschichtliche Entwick-
lung (Diss., Berl. 1897); Tobler, Grenzgebiete
zwischen N. u. N. (1894); Wahlberg, Ges. Schrif-
ten III (1882); Wessely, Befugnisse des Notstands
u. der Notwehr (1862); Fioretti, Su la legitima
difesa (1886); Moriaud, Du delit nécessaire et
de Pétat de nécessité (1890).
(Lentner, rev. G. Sperlich.)
Nuntien und Nuntiaturenstreit.
I. Apokristarier, Legaten, Auntien, Dele-
gati apostolici. Die päpstlichen Gesandten
werden vereinzelt wohl schon in der zweiten Hälfte
des Mittelalters, häufiger seit dem 14. Jahrh. als
„Nuntien“ bezeichnet; aber erst in der neueren
Zeit hat die Titulatur Nuntius Apostolicus die
im älteren offiziellen Sprachgebrauch üblichen,
insbesondere den im Dekretalenrecht (vgl. hierzu d.
Art. Kirchenrecht) als technische Bezeichnung dieser
Amtsträger vorwiegend geläufigen Ausdruck „Le-
gat“ gänzlich verdrängt. „Legaten“ werden heute
nicht mehr die vom Papst ständig bestellten bzw.
die in einer außerordentlichen Spezialmission de-
putierten Gesandten und Vertreter, sondern nur
noch die Inhaber jener hervorragenden Metro-
politansitze genannt, denen als solchen die Titular=
würde eines Legatus natus Sedis Apostolicae
kraft alter Privilegien ihrer Metropolitansitze ge-
bührt. (Den Titel „Pronuntius“ führen Kar-
dinäle, welche mit der Leitung einer Nuntiatur
Nuntien ufw.
1400
betraut sind, da das Amt der Nuntien, zu welchem
sonst Prälaten, der Regel nach Titularerzbischöfe,
berufen werden, kein kardinalizisches ist.) Jene
Anderung des Namens der päpstlichen Gesandten
steht völlig im Einklang mit der Tatsache, daß
die historische Entwicklung seit dem Ausgang des
Mittelalters den päpstlichen Nuntien einen andern
Wirkungskreis und andere Aufgaben überwiesen
hat als jene der „Legaten“ des Mittelalters, welche
im Sinne des Dekretalenrechts in erster Reihe be-
rufen sind, in ihren Sprengeln als Vertreter des
Papstes dessen Regierungsrechte wahrzunehmen,
insbesondere auch die dem Papst kraft seines
Universalepiskopats zustehende konkurrierende Kom-
petenz neben den ordentlichen lokalen Juris-
diktionsträgern zur Geltung zu bringen. Die
heutigen Nuntien können (wie schon van Espen,
Tus eccles. univers. I, tit. XXI, c. 1, u. 12,
. 3, n. 17, hervorhebt) vielmehr eher den apo-
crisiarüt oder responsales der alten Kirche ver-
glichen werden, d. i. den ständigen Gesandten,
welche die Päpste seit der zweiten Hälfte des
5. Jahrh. am Kaiserhof zu Konstantinopel und
nach der Eroberung Italiens durch Justinian auch
beim Exarchen von Ravenna beglaubigten. Seit-
dem die byzantinische Macht aus Italien ver-
drängt worden war und die Päpste nähere Be-
ziehungen zum Frankenreich angebahnt hatten,
hörte die Bestellung solcher Apokrisiarier, welche
ständige Vertreter des Papstes an einem weltlichen
Hof waren, gänzlich auf; wenn ausnahmsweise
auch nach dem 8. Jahrh. päpstliche Legaten apo-
crisiarii oder responsales genannt werden, so
handelt es sich hier doch immer nur um Gesandte,
welche nicht an einem Hof mit einer ständigen
Mission betraut, sondern bloß zur Erledigung
eines besondern Auftrags, mit dessen Vollendung
ihre Legation erlosch, abgesendet wurden.
Die ständigen Nuntiaturen, welche von den
Päpsten seit dem Anfang des 16. Jahrh. er-
richtet worden sind, verdanken ihre Entstehung
zunächst dem allgemeinen Brauch der Kabinette,
der in jener Epoche mehr und mehr die Errichtung
ständiger diplomatischer Vertretungen verlangte und
dem sich auch der Papst, als Regent des Kirchen-
staats wie als Oberhaupt der Kirche, nicht ent-
ziehen konnte, ohne wichtige kirchliche Interessen
zu gefährden. (S. Friedensburg in der Einlei-
tung zu den Nuntiaturberichten aus Deutschland I
11892 xxxv#sf; Pieper, Zur Entstehungs-
geschichte der ständigen Nuntiaturen, 1894; —
anders Richard in der Revue des questions
historiques LXXVIII 103 ff und in der Revue
d’histoire ecclésiastique VII 52 ff 317 ff:
La curie aurait cru se manquer à elle-méme,
si elle avait accepté sans résistance les in-
novations de la diplomatie italienne. En
réalite la création du systeme des ambassa-
des ordinaires .. M’e Zera qu'une influence
secondaire sur le progrès de la réprésen-
tation pontificale. Celle-ci existait en effet,