Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1407 
Trotzdem Joseph II. in seinem Schreiben an 
die deutschen Metropoliten vom 12. Okt. 1785 
erklärt hatte, daß er den Nuntien im Reiche 
„weder eine Jurisdiktionsausübung in geistlichen 
Sachen noch eine Judikatur gestatten“ werde (was 
zwar den Forderungen der Febronianer, nicht aber 
dem bestehenden Recht des Reichs entsprach), 
brachten die Nuntiaturen ihre Fakultäten zur 
Geltung und übten ihre Jurisdiktion weiter. Sie 
fanden nicht bloß bei dem Kurfürsten von Pfalz- 
Bayern und den mit ihm politisch verbündeten 
Reichsfürsten Unterstützung (Preußen erlaubte dem 
neuen Kölner Nuntius die Ausübung seiner Fa- 
kultäten in Kleve), die Erzbischöfe verscherzten durch 
ihr rücksichtsloses Vorgehen (insbesondere seit der 
Veröffentlichung der Emser Punktationen vom 
25. Aug. 1786) auch die Sympathien des 
Episkopats wie der übrigen geistlichen Reichs- 
stände und gaben der katholischen Bevölkerung 
Grund zu den ernstesten Besorgnissen. Das Emser 
Projekt einer Kirchenreform, in welchem selbst- 
verständlich auch die gänzliche Aufhebung der 
Nuntiaturengerichtsbarkeit gefordert ward, mußte 
selbst im Kreise der Anhänger und Bewunderer 
des Febronius entschiedenen Widerspruch finden 
(ogl. z. B. Sartori, Geistl. und weltl. Staatsrecht 
der deutschen kath. geistl. Erzstifter usw. I, 1 
(1788), 234/240). Das rücksichtslose Auftreten 
gegen den Papst, dessen in den Reichsgesetzen 
wie vom Trienter Konzil anerkannte Befugnisse 
gerade so wie sein selbst von Febronius noch an- 
erkanntes Dispensationsrecht ohne weiteres ab- 
geschafft werden sollten, trotzdem die eigenmäch- 
tigen Ehedispense der Metropoliten nur Rechts- 
unsicherheit, Beunruhigung und Verwirrung der 
Gewissen herbeiführen konnten; die Forderung, 
daß den Metropoliten eine Macht über ihre Suf- 
fragane, überhaupt eine Gewalt in der deutschen 
Kirche eingeräumt werden sollte, wie sie nicht ein- 
mal der Papst geübt hatte; die Angriffe auf die 
Rechte und Privilegien der Reichsstifter und 
Abteien, welche vom Reich wie von der Kirche 
garantiert waren, auf die von der Kirche appro- 
bierte Verfassung der geistlichen Orden usw. — 
waren vollkommen geeignet, die Begeisterung, die 
„pflichtmäßige Sorgfalt“ der Projektanten „für 
die deutschen Freiheiten“ in das rechte Licht zu 
setzen. Joseph II. versuchte wohl durch ein Refkript 
des Reichshofrats, welches (27. Febr. 1787) 
den Nuntien „ihre Eingriffe in die erzbischöflichen 
Rechte“ untersagte und den Kurfürsten von Pfalz- 
Bayern anwies, dem Münchener Nuntius keine 
Jurisdiktion zu gestatten, den Wünschen der 
deutschen Metropoliten entgegenzukommen; da 
aber die Nuntien unter dem Schutz der Fürsten 
ihre Jurisdiktion weiter übten, mußte die 
Angelegenheit der Entscheidung des Reichstags 
vorbehalten werden (9. Aug. 1788). Bei den 
von Joseph II. eingeleiteten Verhandlungen der 
Reichstagsgesandten fanden die Forderungen der 
Exzbischöfe kein Entgegenkommen. Man billigte 
Nuntien ufsw. 
  
1408 
den Rechtsstandpunkt Karl Theodors, daß jeder 
Reichsfürst kraft seiner im Westfälischen Frieden 
anerkannten Souveränität auch ohne Zustimmung 
des Kaisers und Reichs Nuntien annehmen, daß 
letztere ohne weiteres die herkömmlichen Fakultäten 
geltend machen könnten, und daß selbst gegen 
eventuelle Übergriffe derselben und gegen Ver- 
letzungen der Konkordate das Reich nicht einseitig 
vorzugehen, sondern nur per viam amicabilis 
compositionis, einvernehmlich mit dem Papst, 
Abhilfe zu schaffen hätte. 
Am 14. Mai 1787 hatte der Kurfürst von 
Mainz, um die Bestellung Dalbergs zum Koad- 
jutor zu erlangen, durch Vermittlung Preußens 
der römischen Kurie seinen Rücktritt von den 
Emser Punktationen auf das bestimmteste zugesagt. 
Nichtsdestoweniger betrieb derselbe im Einver- 
ständnis mit den drei andern Metropoliten im 
folgenden Jahr beim Kaiser die Beseitigung der 
Nuntiaturen und suchte auch den König Friedrich 
Wilhelm II. zu bewegen, daß Preußen seinen 
vermittelnden Standpunkt in dieser Frage auf- 
geben solle. Die Metropoliten wandten sich — als 
die Aussichtslosigkeit der Versuche, das Reich zu 
entscheidenden Maßregeln gegen die Nuntien zu 
bestimmen, trotz der fortdauernden Verhandlungen 
wohl keinem Zweifel mehr unterliegen konnte — 
am 1. Dez. 1788 mit einem Schreiben an 
den Papst, welches diesen aufforderte, aus freien 
Stücken den Mißhelligkeiten „auf eine dem Apo- 
stolischen Stuhl ehrenvollere Weise“ ein Ende zu 
machen, die Fakultäten der Nuntien zu widerrufen 
und in betreff der übrigen Beschwerden mit den 
Ständen des Reichs (als deren unberufene Re- 
präsentanten die Erzbischöfe auftraten) „eine freund- 
schaftliche Ubereinkunft“ zu versuchen. Pius VI. 
antwortete auf diese Zumutung mit der Publi- 
kation der in seinem Auftrag verfaßten, bereits 
öfter zitierten Responsio ad Metrop. aup. 
Nuntiat. Apost. Der Erzbischof von Trier, 
welcher schon längst die friedliche Beilegung der 
Streitigkeiten gewünscht hatte, sagte sich endlich 
am 20. Febr. 1790 von den Emser Punkta- 
tionen los. Die drei andern Metropoliten er- 
wirkten wohl noch in der Wahlkapitulation Leo- 
polds II. (1790) wie in jener Franz' II. (1792) 
die Zusage (Art. 14, § 3), daß das Reich die 
Beschwerden der deutschen Nation in betreff der 
Nuntien durch einen Reichsschluß „auf das bal- 
digste“ erledigen werde. Als jedoch die Revo- 
lution und der Krieg die Lage der geistlichen 
Reichsfürsten immer kritischer gestalteten, ent- 
sagten auch die Erzbischöfe von Köln und Salz- 
burg wie endlich der Kurfürst von Mainz 
ihren febronianischen Reformplänen und den Be- 
strebungen, eine — selbstverständlich von ihnen 
beherrschte — „deutsche Nationalkirche“ zu 
gründen. 
Literatur. M. Stigloher, Die Errichtung der 
päpstlichen Nuntiatur in München u. der Emser 
Kongreß (1867); Hinschius, System des kath.
	        
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