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Trotzdem Joseph II. in seinem Schreiben an
die deutschen Metropoliten vom 12. Okt. 1785
erklärt hatte, daß er den Nuntien im Reiche
„weder eine Jurisdiktionsausübung in geistlichen
Sachen noch eine Judikatur gestatten“ werde (was
zwar den Forderungen der Febronianer, nicht aber
dem bestehenden Recht des Reichs entsprach),
brachten die Nuntiaturen ihre Fakultäten zur
Geltung und übten ihre Jurisdiktion weiter. Sie
fanden nicht bloß bei dem Kurfürsten von Pfalz-
Bayern und den mit ihm politisch verbündeten
Reichsfürsten Unterstützung (Preußen erlaubte dem
neuen Kölner Nuntius die Ausübung seiner Fa-
kultäten in Kleve), die Erzbischöfe verscherzten durch
ihr rücksichtsloses Vorgehen (insbesondere seit der
Veröffentlichung der Emser Punktationen vom
25. Aug. 1786) auch die Sympathien des
Episkopats wie der übrigen geistlichen Reichs-
stände und gaben der katholischen Bevölkerung
Grund zu den ernstesten Besorgnissen. Das Emser
Projekt einer Kirchenreform, in welchem selbst-
verständlich auch die gänzliche Aufhebung der
Nuntiaturengerichtsbarkeit gefordert ward, mußte
selbst im Kreise der Anhänger und Bewunderer
des Febronius entschiedenen Widerspruch finden
(ogl. z. B. Sartori, Geistl. und weltl. Staatsrecht
der deutschen kath. geistl. Erzstifter usw. I, 1
(1788), 234/240). Das rücksichtslose Auftreten
gegen den Papst, dessen in den Reichsgesetzen
wie vom Trienter Konzil anerkannte Befugnisse
gerade so wie sein selbst von Febronius noch an-
erkanntes Dispensationsrecht ohne weiteres ab-
geschafft werden sollten, trotzdem die eigenmäch-
tigen Ehedispense der Metropoliten nur Rechts-
unsicherheit, Beunruhigung und Verwirrung der
Gewissen herbeiführen konnten; die Forderung,
daß den Metropoliten eine Macht über ihre Suf-
fragane, überhaupt eine Gewalt in der deutschen
Kirche eingeräumt werden sollte, wie sie nicht ein-
mal der Papst geübt hatte; die Angriffe auf die
Rechte und Privilegien der Reichsstifter und
Abteien, welche vom Reich wie von der Kirche
garantiert waren, auf die von der Kirche appro-
bierte Verfassung der geistlichen Orden usw. —
waren vollkommen geeignet, die Begeisterung, die
„pflichtmäßige Sorgfalt“ der Projektanten „für
die deutschen Freiheiten“ in das rechte Licht zu
setzen. Joseph II. versuchte wohl durch ein Refkript
des Reichshofrats, welches (27. Febr. 1787)
den Nuntien „ihre Eingriffe in die erzbischöflichen
Rechte“ untersagte und den Kurfürsten von Pfalz-
Bayern anwies, dem Münchener Nuntius keine
Jurisdiktion zu gestatten, den Wünschen der
deutschen Metropoliten entgegenzukommen; da
aber die Nuntien unter dem Schutz der Fürsten
ihre Jurisdiktion weiter übten, mußte die
Angelegenheit der Entscheidung des Reichstags
vorbehalten werden (9. Aug. 1788). Bei den
von Joseph II. eingeleiteten Verhandlungen der
Reichstagsgesandten fanden die Forderungen der
Exzbischöfe kein Entgegenkommen. Man billigte
Nuntien ufsw.
1408
den Rechtsstandpunkt Karl Theodors, daß jeder
Reichsfürst kraft seiner im Westfälischen Frieden
anerkannten Souveränität auch ohne Zustimmung
des Kaisers und Reichs Nuntien annehmen, daß
letztere ohne weiteres die herkömmlichen Fakultäten
geltend machen könnten, und daß selbst gegen
eventuelle Übergriffe derselben und gegen Ver-
letzungen der Konkordate das Reich nicht einseitig
vorzugehen, sondern nur per viam amicabilis
compositionis, einvernehmlich mit dem Papst,
Abhilfe zu schaffen hätte.
Am 14. Mai 1787 hatte der Kurfürst von
Mainz, um die Bestellung Dalbergs zum Koad-
jutor zu erlangen, durch Vermittlung Preußens
der römischen Kurie seinen Rücktritt von den
Emser Punktationen auf das bestimmteste zugesagt.
Nichtsdestoweniger betrieb derselbe im Einver-
ständnis mit den drei andern Metropoliten im
folgenden Jahr beim Kaiser die Beseitigung der
Nuntiaturen und suchte auch den König Friedrich
Wilhelm II. zu bewegen, daß Preußen seinen
vermittelnden Standpunkt in dieser Frage auf-
geben solle. Die Metropoliten wandten sich — als
die Aussichtslosigkeit der Versuche, das Reich zu
entscheidenden Maßregeln gegen die Nuntien zu
bestimmen, trotz der fortdauernden Verhandlungen
wohl keinem Zweifel mehr unterliegen konnte —
am 1. Dez. 1788 mit einem Schreiben an
den Papst, welches diesen aufforderte, aus freien
Stücken den Mißhelligkeiten „auf eine dem Apo-
stolischen Stuhl ehrenvollere Weise“ ein Ende zu
machen, die Fakultäten der Nuntien zu widerrufen
und in betreff der übrigen Beschwerden mit den
Ständen des Reichs (als deren unberufene Re-
präsentanten die Erzbischöfe auftraten) „eine freund-
schaftliche Ubereinkunft“ zu versuchen. Pius VI.
antwortete auf diese Zumutung mit der Publi-
kation der in seinem Auftrag verfaßten, bereits
öfter zitierten Responsio ad Metrop. aup.
Nuntiat. Apost. Der Erzbischof von Trier,
welcher schon längst die friedliche Beilegung der
Streitigkeiten gewünscht hatte, sagte sich endlich
am 20. Febr. 1790 von den Emser Punkta-
tionen los. Die drei andern Metropoliten er-
wirkten wohl noch in der Wahlkapitulation Leo-
polds II. (1790) wie in jener Franz' II. (1792)
die Zusage (Art. 14, § 3), daß das Reich die
Beschwerden der deutschen Nation in betreff der
Nuntien durch einen Reichsschluß „auf das bal-
digste“ erledigen werde. Als jedoch die Revo-
lution und der Krieg die Lage der geistlichen
Reichsfürsten immer kritischer gestalteten, ent-
sagten auch die Erzbischöfe von Köln und Salz-
burg wie endlich der Kurfürst von Mainz
ihren febronianischen Reformplänen und den Be-
strebungen, eine — selbstverständlich von ihnen
beherrschte — „deutsche Nationalkirche“ zu
gründen.
Literatur. M. Stigloher, Die Errichtung der
päpstlichen Nuntiatur in München u. der Emser
Kongreß (1867); Hinschius, System des kath.