Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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O“'Connell als ihrem Führer mit solcher Be- 
geisterung und Hingebung, daß erauf der „Parade“ 
von Cork das Gelöbnis ablegte: „Solange ich 
leben werde, werde ich an eurer Seite stehen; nie 
werde ich das arme Irland und seinen Glauben 
preisgeben.“ Im Triumph trug man ihn zu 
seiner Wohnung; nie war O'Connell dem katho- 
lischen Volk so nahe getreten, und ehe noch das 
Veto mit der bedingten Emanzipation gefallen, 
hatten die Antivetoisten die große Mossop-Medaille 
mit dem Kopf O“Connells schlagen lassen, auf 
die dieser bis an sein Ende stolz war. 
Die Lage in Irland mahnte die Katholiken drin- 
gender als je zur Einigkeit. Der Sturz Napoleons 
hatte die Londoner Regierung von ihrem größten 
Gegner befreit, als (Juni 1814) dem irischen 
Unterstaatssekretär Robert Peel der Befehl zur 
Unterdrückung des „katholischen Bureaus" als auf- 
rührerisch und vaterlandsverräterisch zuging. Den 
Protest O'Connells beantwortete Peel mit der 
Coercion Act, der Insurrection Act und der 
Peace Preservation Act, alle vom Jahre 1814; 
zu ihrer nachdrücklichen Anwendung wurde eine 
große bewaffnete Polizeimannschaft (Irish Con- 
stabulary) eingeführt; dazu kamen noch zwei 
Gesetze zugunsten der Landlords, um die Aus- 
weisungen der widerstehenden Bauern (evictions) 
leichter zu machen, alles das, um, wie „Orange“= 
Peel erklärte, „den gegen die Protestanten mit 
der Union übernommenen Verpflichtungen gerecht 
zu werden“. In Kürze brachten das Elend, die 
Ausweisungen, die Verfolgungen über die ver- 
zweifelnden Katholiken solches Leid, daß O'Connell 
später nur mit tiefer Wehmut von diesen Tagen 
sprechen konnte. Mit eignem Geld mußte er, 
um nur einen Mittelpunkt für die katholische Be- 
wegung in Dublin zu retten, ein elendes Haus in 
der abgelegenen Crow Street mieten. Doch er 
verzagte nicht, auch nicht, als sich unter Grattans 
Führung Lord Fingal und die Aristokraten als 
Seceders gegen die neue, von 23 Bischöfen 
und 1052 Priestern unterschriebene Volkspetition 
wandten. Allein die Abweisung derselben, die un- 
ermüdete Arbeit O'Connellsin dem „Versöhnungs- 
komitee“ (seit Febr. 1817), die Annäherung der 
englischen Katholiken (1816) und selbst der irischen 
Protestanten (1819), das letzte Auftreten Grattans 
(gest. 24. Mai 1820) zugunsten der Katholiken 
und der hochherzige Dank O'Connells im Namen 
des irischen Volks, dann O'Connells „offene 
Briefe“ an dasselbe (1819/22) bereiteten die 
endliche Einigung vor; die Enttäuschungen des 
Regierungswechsels (1820) und der Fall der neuen 
— Emanzipationsbill brachten sie zur 
eife. 
Am 12. Mai 1823 traten nach O'Connells 
eigenstem Plan der Klerus, die Pairs, das katho- 
lische Volk in dem Verein der irischen Ka- 
tholiken zusammen. Das erste Jahr brachte einen 
Mißerfolg. Der Hunger, die Epidemien, agrarische 
Greuel, die Zwangsgesetze, der Spott über die 
O'“Connell. 
  
1414 
„katholische Rente“, den Vereinsbetrag, lähmten 
alle Energie. O'Connell, der in London vor der 
Parlamentskommission mit seiner Verteidigung 
der irischen Interessen allseitige Bewunderung 
erregt hatte, fand bei der Rückkehr nach Dublin 
(1. Juli) den Befehl des Parlaments zur Suspen- 
sion aller politischen Vereine und Versammlungen 
auf zwei Jahre vor; immerhin konnte er seine 
neue Organisation als charitativen Verein retten. 
Als er dann seit 1826 das Land bereiste und 
triumphierend die Agitation ordnete, war die Rente 
schon von 22½ Pfund auf 900 gestiegen; bald 
darauf betrug die Jahreseinnahme des Agitations- 
sonds bereits 9400 Pfund. Das Jahr 1826 brachte 
den ersten Sieg: in Waterford unterlag auf O'Con- 
nells Rede („Denke an deine Seele!“) durch den 
Widerstand der abhängigen Pächter der Kandidat 
der Landlords. In Clare (5. Juli 1828) siegte 
O“'Connell selbst mit ungeheurer Majorität. Die 
Regierung sah, daß das Spiel für sie verloren sei. 
Robert Peel verlangte zwar 10. Febr. 1829 die 
Unterdrückung des „Vereins der irischen Katho- 
liken“, brachte aber schon am 5. März die Eman- 
zipationsbill ein; sie siegte am 30. März 
im Unterhause, am 10. April im Oberhause unter 
Wellingtons entschlossener Verteidigung und wurde 
am 13. April nach heftigem Wrderstreben des 
Königs Georg IV. Gesetz mit einer unschädlichen 
Klausel gegen die katholischen Orden und der für 
Irland harten Erhöhung des Wahlzensus von 
40 Schilling auf 10 Pfund. Obschon der Test- 
eid gefallen und den Katholiken der Zutritt zum 
Parlament geöffnet war, wurde O'Connell, der 
am 15. Mai 1829 in das Haus trat, der Testeid 
abverlangt, weil er noch unter der alten Gesetz- 
gebung gewählt war. Auf Broughams Antrag 
wurde er vor die Barre des Parlaments gerufen; 
die ihm vorgelegte Eidesformel erklärte er als auf 
Unwahrheiten und falschen Tatsachen beruhend 
und warf sie auf den Tisch des Hauses. Seine 
Wahl wurde annulliert; aber nach der unter un- 
geheurem Jubel erfolgten Wiederwahl in Clare 
nahm er noch 1829 seinen Sitzein. 
O'Connells parlamentarische Tätig- 
keit, für welche ihm noch fast 18 Jahre beschieden 
waren, ist verschieden, oft auch auf katholischer 
Seite hart beurteilt worden, unseres Erachtens 
mit Unrecht, wofern man dieselbe mit Rücksicht 
auf die Gesamtlage des englischen Reichs, den 
persönlichen Charakter O'Connells und die Not- 
wendigkeit betrachtet, den Repeal, das große End- 
ziel seines Lebens, vorzubereiten. Letzteres geschah 
in den beiden ersten Perioden seines parlamen- 
tarischen Wirkens. In der ersten Periode (bis 
zum Sturze des Ministeriums Peel, 1835) fand 
O'Connell durch seine unvergleichliche Redege- 
walt, seine vollendete Personen- und Sachkennt- 
nis, die erleuchtete und hingebende Liebe zu seinem 
Volk ungeteilte Bewunderung: kein Fehler seiner 
Gegner blieb unbeachtet, keine Ungerechtigkeit un- 
gestraft, keine Frage der innern oder äußern Politik 
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