Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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gibt es unter den beschaulichen Orden keinen, der 
nicht seinen Mitgliedern für einen Teil der Zeit 
andere Beschäftigung zuweist. Die alten Mönchs- 
orden waren beschauliche Orden. Aber gerade 
ihnen verdankt Europa vorzüglich seine Bodenkultur 
und seine Geisteskultur. Wenn ein Bruchteil der 
Menschheit eine beträchtliche Zeit des Tages in 
Gebet und Umgang mit Gott zubringt, während 
ein viel größerer Teil noch mehr Zeit auf nichts- 
sagende oder fündhafte Unterhaltung verwendet, 
so bringt ersterer gewiß keinen Schaden. Vom 
Glaubensstandpunkt aus kommt im Gegenteil 
jenes Gebetsleben der Gesamtheit zugute. Stell- 
vertretendes Gebet und stellvertretende Sühne hat 
unsäglich viel Ubel von der Menschheit abgewendet 
und ihr viel Gutes gebracht“ (Lehmkuhl in der 
2. Aufl. des Staatslexikons Bd IV, Sp. 182). 
Mit mehr Grund wird gegen die Orden und 
Kongregationen geltend gemacht die Anhäufung 
liegender Güter, die Konkurrenz auf industriel- 
lem Gebiet und dadurch bewirkte Drückung des 
Preises und Lohnes. Wo solche Mißstände wirk- 
lich vorliegen, ist es strenge Pflicht der kirchlichen 
Obrigkeit, ihnen aus verschiedenen Gründen zu 
steuern. Die Laien ertragen solche Konkurrenz am 
allerwenigsten, und gut sagt Scherer (Handb. des 
Kirchenrechts II[18987 736 A. 17): „Schwung- 
hafter Handel mit „Klostergeistt beweist Mangel 
an echtem Klostergeist.“ Anderseits ist aber auch 
zu bemerken, daß eine Anhäufung von Gütern 
und Bereicherung durch industrielle Betriebe, wie 
solche da und dort durch Private stattfinden, in 
den Orden und Kongregationen kaum zu finden 
sein wird. Und was sie besitzen, das wird doch zu 
gutem, zu vielfach größtem Teil von ihnen zum 
allgemeinen Besten, zur Linderung und Stillung 
der Not des Nebenmenschen verwendet. Dazu 
kommt aber noch etwas Besonderes. Hier wird 
die Gabe gereicht von demjenigen, der sich selbst 
von allem Eigentum entäußert hat, von dem frei- 
willig arm Gewordenen. So wird der Unterschied 
im Besitz ausgeglichen, der Gegensatz der Klassen 
und Stände aufgehoben, die verschiedenen Schich- 
ten und Kreise der Gesellschaft werden einander 
angenähert. Ohne die Hilfe der Ordensleute wird 
der Staat seine sozial-caritativen Pflichten nie 
genügend erfüllen können. 
Tatsächlich bestehen in Deutschland und Oster- 
reich im wesentlichen nachfolgende staatliche Gesetze 
über Orden, Kongregationen und religiöse Ver- 
eine: 
1. Gründung von Orden, Kongrega- 
tionen und Klöstern. In Preußenbleiben 
Niederlassungen der Orden oder ordensähnlichen 
Kongregationen, welche sich ausschließlich der 
Krankenpflege widmen, fortbestehen. Sie können 
jedoch jederzeit durch Königliche Verordnung auf- 
gehoben werden. Bis dahin sind die Minister des 
Innern und der geistlichen Angelegenheiten er- 
mächtigt, ihnen die Aufnahme neuer Mitglieder 
zu gestatten. Die fortbestehenden Niederlassungen 
Orden usw. 
  
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der Orden und ordensähnlichen Kongregationen 
sind der Aufsicht des Staats unterworfen (Ges. 
vom 27. Mai 1875, 8§ 1, 2, 3). Die Minister des 
Innern und der geistlichen Angelegenheiten sind 
ermächtigt, die Errichtung neuer Niederlassungen 
von Genossenschaften, welche im Gebiet der preu- 
ßischen Monarchie gegenwärtig bestehen und sich 
ausschließlich der Krankenpflege widmen, zu ge- 
nehmigen. Der Krankenpflege werden gleichgestellt 
die Pflege von noch nicht schulpflichtigen Kindern, 
Blinden, Tauben, Stummen, Idioten sowie ge- 
fallenen Frauenspersonen (Ges. vom 14. Juli 
1880, Art. 6). Die letztgenannten Bestimmungen 
sind auch ausgedehnt auf die Ubernahme der Pflege 
und Leitung in Waisenanstalten, Armen= und 
Pfründnerhäusern, Rettungsanstalten, Asylen und 
Schutzanstalten für sittlich gefährdete Personen, 
Arbeiterkolonien, Verpflegungsanstalten, Arbeiter- 
herbergen, Mägdehäusern, sowie auf Übernahme 
der Leitung und Unterweisung in Haushaltungs- 
schulen und Handelsarbeitsschulen für Kinder in 
nicht schulpflichtigem Alter (Ges. vom 21. Mai 
1886, Art. 13). Außerdem sind in Preußen wieder 
zugelassen diejenigen Orden und ordensähnlichen 
Kongregationen, welche sich der Aushilfe in der 
Seelsorge, der Übung der christlichen Nächsten- 
liebe, dem Unterricht und der Erziehung der weib- 
lichen Jugend in höheren Mädchenschulen und 
gleichartigen Erziehungsanstalten widmen, und 
jene, deren Mitglieder ein beschauliches Leben 
führen. Auch kann der Minister des Innern und 
der geistlichen Angelegenheiten die Errichtung von 
Niederlassungen zur Ausbildung von Missionären 
gestatten (Ges. vom 29. April 1887, Art. 5). — 
In Bayern ist zur Zulassung von Orden und 
Kongregationen sowie zur Errichtung von Klöstern 
landesherrliche bzw. behördliche Genehmigung er- 
forderlich (Konkordat Art. 7, 17; Religionsedikt 
§§8 76., 77, 78). Ordensanstalten, die mit Er- 
ziehungs-oder Unterrichtsanstalten verbunden sind, 
bedürfen einer Spezialgenehmigung, die jederzeit 
widerruflich ist (Verordn. vom 18. April 1873, 
Art. 5).— In Sachsen dürfen nach der Verfas- 
sungsurkunde (8 56) weder Klöster errichtet noch 
je geistliche Orden im Lande aufgenommen wer- 
den. Nach Ges. vom 23. Aug. 1876, § 30 dür- 
fen einzelne reichsangehörige Mitglieder solcher 
Frauenkongregationen, welche innerhalb des Deut- 
schen Reichs ihre Niederlassung haben und sich 
ausschließlich der Kinder= und Krankenpflege wid- 
men, mit Genehmigung und Aufsicht der Staats- 
regierung ihre Ordenstätigkeit auch ferner aus- 
üben. Geistliche Bruderschaften, welche mit Orden 
oder ordensähnlichen Kongregationen in Verbin- 
dung stehen, dürfen nicht errichtet werden (§ 31). 
— In Württemberg können geistliche Orden 
und Kongregationen vom Bischof nur mit aus- 
drücklicher Genehmigung der Staatsregierung ein- 
geführt werden. Diese ist auch erforderlich, so oft 
ein im Lande schon zugelassener Orden eine neue 
Niederlassung gründen will. Die Staatsregierung
	        
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