1455
gibt es unter den beschaulichen Orden keinen, der
nicht seinen Mitgliedern für einen Teil der Zeit
andere Beschäftigung zuweist. Die alten Mönchs-
orden waren beschauliche Orden. Aber gerade
ihnen verdankt Europa vorzüglich seine Bodenkultur
und seine Geisteskultur. Wenn ein Bruchteil der
Menschheit eine beträchtliche Zeit des Tages in
Gebet und Umgang mit Gott zubringt, während
ein viel größerer Teil noch mehr Zeit auf nichts-
sagende oder fündhafte Unterhaltung verwendet,
so bringt ersterer gewiß keinen Schaden. Vom
Glaubensstandpunkt aus kommt im Gegenteil
jenes Gebetsleben der Gesamtheit zugute. Stell-
vertretendes Gebet und stellvertretende Sühne hat
unsäglich viel Ubel von der Menschheit abgewendet
und ihr viel Gutes gebracht“ (Lehmkuhl in der
2. Aufl. des Staatslexikons Bd IV, Sp. 182).
Mit mehr Grund wird gegen die Orden und
Kongregationen geltend gemacht die Anhäufung
liegender Güter, die Konkurrenz auf industriel-
lem Gebiet und dadurch bewirkte Drückung des
Preises und Lohnes. Wo solche Mißstände wirk-
lich vorliegen, ist es strenge Pflicht der kirchlichen
Obrigkeit, ihnen aus verschiedenen Gründen zu
steuern. Die Laien ertragen solche Konkurrenz am
allerwenigsten, und gut sagt Scherer (Handb. des
Kirchenrechts II[18987 736 A. 17): „Schwung-
hafter Handel mit „Klostergeistt beweist Mangel
an echtem Klostergeist.“ Anderseits ist aber auch
zu bemerken, daß eine Anhäufung von Gütern
und Bereicherung durch industrielle Betriebe, wie
solche da und dort durch Private stattfinden, in
den Orden und Kongregationen kaum zu finden
sein wird. Und was sie besitzen, das wird doch zu
gutem, zu vielfach größtem Teil von ihnen zum
allgemeinen Besten, zur Linderung und Stillung
der Not des Nebenmenschen verwendet. Dazu
kommt aber noch etwas Besonderes. Hier wird
die Gabe gereicht von demjenigen, der sich selbst
von allem Eigentum entäußert hat, von dem frei-
willig arm Gewordenen. So wird der Unterschied
im Besitz ausgeglichen, der Gegensatz der Klassen
und Stände aufgehoben, die verschiedenen Schich-
ten und Kreise der Gesellschaft werden einander
angenähert. Ohne die Hilfe der Ordensleute wird
der Staat seine sozial-caritativen Pflichten nie
genügend erfüllen können.
Tatsächlich bestehen in Deutschland und Oster-
reich im wesentlichen nachfolgende staatliche Gesetze
über Orden, Kongregationen und religiöse Ver-
eine:
1. Gründung von Orden, Kongrega-
tionen und Klöstern. In Preußenbleiben
Niederlassungen der Orden oder ordensähnlichen
Kongregationen, welche sich ausschließlich der
Krankenpflege widmen, fortbestehen. Sie können
jedoch jederzeit durch Königliche Verordnung auf-
gehoben werden. Bis dahin sind die Minister des
Innern und der geistlichen Angelegenheiten er-
mächtigt, ihnen die Aufnahme neuer Mitglieder
zu gestatten. Die fortbestehenden Niederlassungen
Orden usw.
1456
der Orden und ordensähnlichen Kongregationen
sind der Aufsicht des Staats unterworfen (Ges.
vom 27. Mai 1875, 8§ 1, 2, 3). Die Minister des
Innern und der geistlichen Angelegenheiten sind
ermächtigt, die Errichtung neuer Niederlassungen
von Genossenschaften, welche im Gebiet der preu-
ßischen Monarchie gegenwärtig bestehen und sich
ausschließlich der Krankenpflege widmen, zu ge-
nehmigen. Der Krankenpflege werden gleichgestellt
die Pflege von noch nicht schulpflichtigen Kindern,
Blinden, Tauben, Stummen, Idioten sowie ge-
fallenen Frauenspersonen (Ges. vom 14. Juli
1880, Art. 6). Die letztgenannten Bestimmungen
sind auch ausgedehnt auf die Ubernahme der Pflege
und Leitung in Waisenanstalten, Armen= und
Pfründnerhäusern, Rettungsanstalten, Asylen und
Schutzanstalten für sittlich gefährdete Personen,
Arbeiterkolonien, Verpflegungsanstalten, Arbeiter-
herbergen, Mägdehäusern, sowie auf Übernahme
der Leitung und Unterweisung in Haushaltungs-
schulen und Handelsarbeitsschulen für Kinder in
nicht schulpflichtigem Alter (Ges. vom 21. Mai
1886, Art. 13). Außerdem sind in Preußen wieder
zugelassen diejenigen Orden und ordensähnlichen
Kongregationen, welche sich der Aushilfe in der
Seelsorge, der Übung der christlichen Nächsten-
liebe, dem Unterricht und der Erziehung der weib-
lichen Jugend in höheren Mädchenschulen und
gleichartigen Erziehungsanstalten widmen, und
jene, deren Mitglieder ein beschauliches Leben
führen. Auch kann der Minister des Innern und
der geistlichen Angelegenheiten die Errichtung von
Niederlassungen zur Ausbildung von Missionären
gestatten (Ges. vom 29. April 1887, Art. 5). —
In Bayern ist zur Zulassung von Orden und
Kongregationen sowie zur Errichtung von Klöstern
landesherrliche bzw. behördliche Genehmigung er-
forderlich (Konkordat Art. 7, 17; Religionsedikt
§§8 76., 77, 78). Ordensanstalten, die mit Er-
ziehungs-oder Unterrichtsanstalten verbunden sind,
bedürfen einer Spezialgenehmigung, die jederzeit
widerruflich ist (Verordn. vom 18. April 1873,
Art. 5).— In Sachsen dürfen nach der Verfas-
sungsurkunde (8 56) weder Klöster errichtet noch
je geistliche Orden im Lande aufgenommen wer-
den. Nach Ges. vom 23. Aug. 1876, § 30 dür-
fen einzelne reichsangehörige Mitglieder solcher
Frauenkongregationen, welche innerhalb des Deut-
schen Reichs ihre Niederlassung haben und sich
ausschließlich der Kinder= und Krankenpflege wid-
men, mit Genehmigung und Aufsicht der Staats-
regierung ihre Ordenstätigkeit auch ferner aus-
üben. Geistliche Bruderschaften, welche mit Orden
oder ordensähnlichen Kongregationen in Verbin-
dung stehen, dürfen nicht errichtet werden (§ 31).
— In Württemberg können geistliche Orden
und Kongregationen vom Bischof nur mit aus-
drücklicher Genehmigung der Staatsregierung ein-
geführt werden. Diese ist auch erforderlich, so oft
ein im Lande schon zugelassener Orden eine neue
Niederlassung gründen will. Die Staatsregierung