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ihrer Verteidigung erfreute (Majestätsbrief 1609),
mußte sich Ferdinand II. den Weg zum Thron
erst durch die Schlacht am Weißen Berge 1620
gegen die böhmischen Utraquisten und den Winter-
könig Friedrich von der Pfalz erkämpfen. Durch
die vernichtende Niederlage, die der böhmische
Adel hier erlitt, erfuhr die landesherrliche Gewalt
einen bedeutsamen Zuwachs, der sich in der ver-
neuerten Landesordnung des Jahres
1627 ausprägt. Böhmen wurde hiernach zum
Erbland des Hauses Habsburg erklärt, dem König
das Recht der Gesetzgebung (mit Ausnahme der
Steuerbewilligung) und Amterverleihung zuge-
sprochen. Die deutsche Sprache erhielt die Gleich-
berechtigung mit der tschechischen. So hatte in
Osterreich die Gegenreformation wie in den pro-
testantischen Fürstentümern des Reichs die Re-
formation zum Sieg des landesherrlichen Absolu-
tismus beigetragen. Der Dreißigjährige Krieg
schlug auch der österreichischen Volkswirtschaft die
schwersten Wunden und hinterließ als Erbe neben
der Zerrüttung des deutschen Reichs eine neue
Verschärfung des alten Gegensatzes zwischen Habs-
burgern und Bourbonen und maßlose Ansprüche
Frankreichs auf deutschen Reichsboden. Osterreich
hatte nach zwei Fronten den Krieg zu führen,
gegen die Türken im Osten, gegen Frankreich, zu-
erst für die Wahrung des reichsdeutschen Besitz-
stands, dann im Kampf um das Erbe der spanischen
Habsburger, im Westen. Die kaiserlichen Waffen
erstritten unter der Führung Eugens von Savoyen
im Spanischen Erbfolgekrieg (1701/14) zwar glän=
zende Erfolge, doch überstiegen die erforderlichen
finanziellen Aufwendungen trotz englischer Sub-
sidien bei weitem die Kräfte der habsburgischen
Erblande, und der erzielte Landerwerb (Belgien,
Mailand, Neapel und Sardinien) erhöhte nur die
Schwierigkeiten der Verwaltung des ungeheuren,
räumlich getrennten Länderbesitzes, vermehrte die
Möglichkeiten kriegerischer Verwicklungen, ohne die
politische und finanzielle Macht des habsburgischen
Staats wesentlich zu stärken.
B. Geschichte des Gesamtstaats bis zur
Begründung des Dualismus (1740/1867).
1. Die theresianisch-josephinische
Periode (1740/90). Im Jahr 1740 erlosch
mit Karl VI. der habsburgische Mannesstamm,
und Karls Tochter Maria Theresia, vermählt
mit Franz von Lothringen, folgte auf dem öster-
reichischen Thron. Ihre Erbfolge war durch die
Pragmatische Sanktion (1713), ein Hausgesetz,
das in den Jahren 1720/25 die Zustimmung aller
Landtage der Monarchie erhalten hatte und so zum
ersten gemeinsamen Staatsgrundgesetz des Gesamt-
staats wurde, sichergestellt worden. Gegen die Nach-
barstaaten aber, die Karl VI. durch mit großen
Opfern erkaufte Verträge für das Erbfolgerecht
seiner Tochter gewonnen glaubte, mußte dieses
Recht erst mit dem Schwert durchgesetzt werden.
Hierbei ging der größere Teil von Schlesien
dauernd an Preußen verloren. In der Regierungs-
Osterreich-Ungarn.
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zeit Maria Theresias und ihres Sohnes Jo-
sephs II. (1740/90) und durch die von diesen
Herrschern auf allen Gebieten des staatlichen Le-
bens durchgeführten Reformen wurde der moderne
zentralisierte Beamtenstaat in Osterreich geschaffen.
Der äußere Umfang des Staats wurde in diesem
Zeitraum durch die bei der zweimaligen Teilung
Polens (1772, 1795) erworbenen Gebiete Gali-
ziens, durch die 1775 von der Türkei abgetretene
Bukowina und durch das im Bayrischen Erbfolge-
streit(1778/79) erworbene Innviertelerweitert. Die
Hauptgrundsätze der Verwaltungsreformen Maria
Theresias und Josephs II. sind den Lehren der
merkantilistischen und physiokratischen Politik ent-
nommen und fußten auf dem praktischen Beispiel
Frankreichs und Preußens. Doch ging Joseph II.
in seinem Reformeifer weit über diese Vorbilder
hinaus. Maria Theresia führte in der Zeit von
1748 bis 1756 die Trennung der Justiz von der
Verwaltung bei den obersten Hofstellen durch, ver-
staatlichte die untere Verwaltung durch Einfüh-
rung der Gubernien als Landesstellen, der Kreis-
ämter als unterster Verwaltungsbehörden und
durch Einschränkung der patrimonialen Gerichts-
barkeit und Polizei. Joseph II. suchte die Ver-
waltungsreform auf Ungarn auszudehnen, er hob
die Komitatsverfassung auf, teilte das Land in
zehn Kreise und regierte ohne Landtag. Auch die
kümmerlichen Überreste der ständischen Verfassung
in den österreichischen Erblanden wurden von ihm
beseitigt. Von besonderer Wichtigkeit aber sind
die Reformen des Agrarrechts, die unter dem Na-
men der Bauernbefreiung zusammengefaßt werden
und in der Aufhebung der Erbuntertänigkeit
(1781) gipfeln. Ihr Zweck war in erster Linie,
durch Ermäßigung und Bindung der Roboten
und sonstigen bäuerlichen Lasten den Bauer für
Fiskus und Heeresdienst leistungsfähig zu er-
halten; dann aber auch, durch Gewährung der
Freizügigkeit den von der Regierung geförderten
Fabriken Arbeitskräfte zuzuführen. Die Staats-
einnahmen wurden durch Einbeziehung des herr-
schaftlichen Besitzes in die Grundsteuerpflicht und
durch Anlage eines Grundkatasters in den Jahren
von 1740 bis 1780 von 60 auf 120 Mill. Kge-
hoben. Unter Maria Theresia begannen die Ko-
difikationsarbeiten auf dem Gebiet des Strafrechts,
des Zivilrechts und des Zivilprozesses. Die Folter
wurde abgeschafft, die Todesstrafe wesentlich ein-
geschränkt. In den staatskirchlichen Beziehungen
dehnte Maria Theresia mit Mäßigung, Joseph II.
mit Ungestüm den staatlichen Einfluß aus. Joseph
betrachtete und behandelte die Kirche als ein Werk-
zeug des Staats zur Durchführung staatlicher
Zwecke (Josephinismus). Das Placetum regium
wurde streng gehandhabt, Fast= und Feiertage
eingeschränkt, der Jesuitenorden 1773 in Oster-
reich abgeschafft. Joseph II. hob ein Drittel sämt-
licher Klöster auf und bildete aus ihrem Vermögen
den Religionsfonds, der zur Errichtung neuer und
zur Dotierung bestehender Pfarren verwendet wer-