Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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schönen Künsten beruhenden eigenartigen formalen 
Kultur, die unter dem Namen des Wiener Bieder- 
meier bekannt ist. Die klassische Musik, Nach- 
klassik und Romantik in der schönen Literatur, 
Nazarener und Wiener Genre= und Porträt- 
malerei fanden sich in einer eignen österreichischen 
Note auf Wiener Boden. Das Eigentümliche aber 
war hierbei, daß diese Kultur keineswegs ein 
Spiegelbild der österreichischen nationalen und 
kulturellen Verhältnisse darstellte, sondern nur den 
Privatbesitz einer kleinen Schicht Hochgebildeter. 
Wo diese geistigen Strömungen aber in der Volks- 
seele wurzelten und mit ihr zusammenklangen, da 
bereiteten sie schon den Umsturz des Jahres 1848 
und die Grundlagen eines neuen Osterreich vor. 
Die nationale Literatur der Tschechen, Slowaken, 
Polen, Magyaren, Kroaten und Slowenen war 
mit dem Nationalbewußtsein dieser Volksstämme 
mit dem Beginn des 19. Jahrh. erwacht und hatte 
einen raschen und mächtigen Aufschwung genom- 
men. Die Germanisationsbestrebungen des mo- 
dernen Beamtenstaats, der Triumph der demo- 
kratischen Ideen in der französischen Revolution 
hatten unmittelbar auf die Bildung des Natio- 
nalitätsprinzips eingewirkt. Dieses Prinzip, das 
immer mehr zur Grundlage des modernen Staats 
erwuchs, mußte bei der Zusammensetzung Oster- 
reichs aus 8 Nationalitäten entweder das Spreng- 
pulver für den Staat werden oder eine ganz eigen- 
artige Lösung in einem Kompromiß zwischen 
staatlichen und nationalen Bedürfnissen finden. 
3. Revolution, Reaktion und die 
erste Verfassungsperiode (1848/67). 
Das Jahr 1848 brachte den ersten Versuch einer 
solchen Lösung. Die Krise, die in diesem und 
im folgenden Jahr den Bestand der Monarchie 
in Frage stellte, setzte zuerst in Ungarn ein. Wäh- 
rend in den andern habsburgischen Ländern die 
Landstände nur mehr ein Scheindasein führten, 
hatte sich Ungarn im wesentlichen seine ererbte 
ständische Verfassung, die auf der Herrschaft des 
grundbesitzenden Adels beruhte, zu erhalten gewußt. 
In Ungarn wie im übrigen Europa war die 
nationale Bewegung des Jahres 1848 zugleich 
demokratisch. Der unter ihrem Einfluß stehende, 
1847 eröffnete ungarische Reichstag forderte gleich- 
zeitig Aufhebung der Adelsprivilegien, Ablösung 
der bäuerlichen Lasten und nationale Selbst- 
regierung durch ein verantwortliches Ministerium. 
Mit königlichem Reskript vom 17. März 1848 
wurde letztere Forderung in vollem Umfang be- 
willigt. In Wien war nämlich auch inzwischen 
am 13. März die Verfassungsbewegung aus- 
gebrochen, hatte Metternich zum Rücktritt ge- 
zwungen und mit keiserlichem Patent vom 
15. März 1848 die Zusage der Verleihung einer 
Konstitution unter Aufhebung der Zensurgesetze 
erhalten. Gleichzeitig mit dem Zugeständnis des 
verantwortlichen Ministeriums für Ungarn war 
auch in Osterreich ein Ministerrat gebildet worden 
(Vorsitz: Pillersdorff) und so das Vorbild für den 
Osterreich-Ungarn. 
  
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staatsrechtlichen Dualismus des Jahres 1867 ge- 
geben. Ja als der ungarische Reichstag den Gesetz- 
entwurf über das verantwortliche Ministerium aus- 
arbeitete, sah er darin auch Portefeuilles für Krieg 
und Finanzen vor, eine Bestimmung, die auch nach 
anfänglichem Widerstand von der Krone genehmigt 
wurde und die bereits im Keim die Personalunion 
enthält. Auch Böhmen erhielt mit kaiserlichem 
Kabinettschreiben vom 8. April 1848 die Zusage 
einer Provinzialverfassung mit verantwortlicher 
Regierung und der Gleichberechtigung der beiden 
im Land seßhaften Nationen. Mit Patent vom 
25. April 1848 wurde eine der belgischen Ver- 
fassung nachgebildete Verfassungsurkunde mit 
Zweikammersystem in Wien kundgemacht. Hier war 
aber inzwischen der Radikalismus der Straße und 
der Aula, verstärkt durch revolutionären Zuzug aus 
Süddeutschland, Böhmen und Ungarn, zur Herr- 
schaft gelangt. Er verlangte Einkammersystem 
und Wahl einer konstituierenden Versammlung. 
Die Regierung fügte sich, der Hof verließ Wien, 
und am 22. Juli trat hier der in seiner Zusammen- 
setzung überwiegend radikale, konstituierende Reichs- 
tag zusammen. Seine einzige positive Leistung 
war der Beschluß der Entlastung des bäuerlichen 
Bodens. Die Verfassungsdebatten dehnten sich 
ins Endlose, bis der Wiener Oktober-Aufstand 
ihnen ein Ende setzte und der Sitz des Reichstags 
nach Kremsier in Mähren verlegt wurde. Wenige 
Tage hierauf wurde das aufständische Wien von 
General Windischgrätz im Sturm genommen. 
Hiermit war, da gleichzeitig auch die aufständischen 
italienischen Provinzen und das mit ihnen verbün- 
dete Sardinien durch Radetzly militärisch nieder- 
geworfen worden waren, die österreichische Revo- 
lution in ihrem Herzen getroffen, und auch ihr 
Kind, der konstituierende Reichstag, konnte sie nicht 
lange überleben. Dieser hatte inzwischen einen 
Verfassungsentwurf auf Grundlage der nationalen 
Autonomie und weitgehender Selbstregierung in 
Beratung gezogen. Aber dieser Entwurf hatte, 
da er die Herrscherrechte zu sehr einschränkte, keine 
Aussicht auf Gesetzwerdung. Ein keiserliches 
Manifest vom 4. März 1849 löste den Reichstag 
auf und veröffentlichte gleichzeitig die Grundzüge 
einer Gesamtstaatsverfassung. Seit 2. Dez. 1848 
hatten die jugendlichen, energischen Hände Franz 
Josephs I. das österreichische Zepter ergriffen und 
in Fürst Felix Schwarzenberg einen begabten, tat- 
kräftigen Staatsmann gefunden. In Ungarn hatte 
inzwischen der Radikalismus unter der Führung 
Ludwig Kossuths die Zügel an sich gerissen und 
war an die Aufrichtung des magyarisch-nationalen 
Staats geschritten. Der hierdurch entfesselte, von 
Osterreich ermunterte bewaffnete Widerstand der 
ungarischen Nationalitäten (Kroaten, Serben, Ru- 
mänen) wurde vom Parlament mit der Auf- 
stellung einer ungarischen Sonderarmee und der 
Ausgabe ungarischen Papiergelds beantwortet. 
Hiermit war der Bruch zwischen Ungarn und der 
Dynastie vollzogen. Am 14. April 1849 erfolgte
	        
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