Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Böhmen und Galizien überdies die Bezirke. 
Die Ortsgemeinden unterstehen entweder den 
Landesgemeindeordnungen oder sie haben ein auto- 
nomes Statut. In Galizien und der Bukowina 
sind die größeren Gutsgebiete aus dem Gemeinde- 
verband ausgeschieden, und die Funktionen des 
Gemeindevorstehers, mit Ausnahme des Polizei- 
strafrechts, werden hier vom Gutseigentümer aus- 
geübt. Der Wirkungskreis der Ortsgemeinden ist 
ein selbständiger oder ein übertragener, je nachdem 
er Gegenstände umfaßt, die ihrer eigensten Natur 
nach der Gemeindeverwaltung zukommen (Ge- 
meindefinanzen, kommunale Wohlfahrtspflege, 
Ortspolizei usw.), oder solche, in denen die Ge- 
meinde als Hilfsorgan der Staatsverwaltung 
dient (Mitwirkung bei der Steuereinhebung, mili- 
tärischen Stellung, allgemeinen Wahlen usw.). 
Die Gemeindevertretung setzt sich zusammen aus 
dem beratenden, beschließenden und kontrollieren- 
den Organ, dem Gemeindeausschuß oder -rat, 
und dem ausführenden Gemeindevorstand. Das 
Gemeindewahlrecht ist in den verschiedenen Ländern 
verschieden geordnet, doch beruht es in der Regel 
auf drei durch Steuerdrittelung gebildeten und 
einem Wahlkörper des allgemeinen Wahlrechts. 
Die Bezirksvertretungen werden entweder nach 
Interessenkurien oder nach Wahlkörpern analog 
dem Gemeindewahlrecht gewählt. Ihre Kompetenz 
umfaßt Beaufsichtigung der Gemeinden, Wohl- 
fahrtseinrichtungen u. dgl. Außerdem gibt es noch 
in fast allen Kronländern Zweckverbände zur 
Verteilung des Aufwandes und zur Durchführung 
der Verwaltung einzelner großer Verwaltungs- 
zweige, für deren Besorgung sich die Ortsgemein- 
den als zu schwach erwiesen (Armenbezirke, Schul- 
bezirke, Straßenbezirke). 
Das ungarische Parlamen besteht aus 
dem Magnatenhaus und dem Repräsen- 
tantenhaus. Ersteres setzt sich zusammen aus 
den volljährigen Prinzen des königlichen Hauses, 
aus den volljährigen Mitgliedern der in die 
Magnatentafel eingetragenen Familien, falls sie 
jährlich mindestens 6000 K an Hausklassen= und 
Grundsteuer entrichten, aus einer Anzahl geist- 
licher und weltlicher Würdenträger und aus den 
vom König ernannten Mitgliedern, deren Zahl 
50 nicht übersteigen darf. Das Abgeordnetenhaus 
besteht aus 458 Mitgliedern, von denen 40 vom 
kroatisch-slawonischen Landtag entsendet werden. 
Nach der Wahlordnung von 1874 besitzt das 
Wahlrecht jeder ungarische Staatsbürger, der das 
20. Lebensjahr vollendet hat, ein gewisses Steuer- 
minimum zahlt oder akademische Grade oder ge- 
wisse amtliche Stellungen innehat. Die Abstim- 
mung ist öffentlich und mündlich. Der kroatisch- 
slawonische Landtag besteht aus 90 gewählten 
Abgeordneten und höchstens 45 Virilstimmen. 
Die österreichische Verwaltung hält die 
Mitte zwischen rein bureaukratischer und Selbst- 
verwaltung, doch wirken Staatsverwaltung und 
Selbstverwaltung nicht zusammen wie im Deut- 
Osterreich-Ungarn. 
  
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schen Reich, sondern nebeneinander, wie es auch 
dem Nebeneinander der Gesetzgebungskompetenzen, 
Reichs= und Landesgesetzgebung, entspricht. Hier- 
durch ist Anlaß zu zahlreichen Kompetenzkonflikten 
und zeitraubenden Auseinandersetzungen zwischen 
staatlichen und autonomen Behörden gegeben. 
Ferner fehlt der österreichischen Verwaltung eine 
instanzenmäßige gesonderte Verwaltungsgerichts- 
barkeit. Die Verwaltungsbehörde übt auch die Ver- 
waltungs-Rechtsprechung aus, und Berufungen 
gegen ihre Entscheidungen müssen erst alle Ver- 
waltungsinstanzen durchlaufen, bis sie vor den 
Verwaltungsgerichtshof gebracht werden können. 
Es fehlt endlich der österreichischen Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit ein gesetzlich normiertes Verfahren. 
Das materielle Verwaltungsrecht ist in einer Un- 
zahl von Gesetzen, Verordnungen, Hofdekreten usw. 
niedergelegt, die teilweise der vorkonstitutionellen 
Zeit, teilweise der Staats-, teilweise der Landes- 
gesetzgebung, teilweise der ministeriellen Verord- 
nungskompetenz entstammen. Große Gebiete der 
Verwaltung (Bergrecht, Wasserrecht usw.) erfor- 
dern dringend eine Neukodifikation. 
Die Staatsverwaltung wird durch 9 
Fachministerien geleitet: 1) des Innern, 2) für 
Kultus und Unterricht, 3) für Ackerbau, 4) für 
Handel, 5) für Eisenbahn, 6) für öffentliche Ar- 
beiten, 7) für Justiz, 8) für Landesverteidigung, 
9) für Finanzen. Die Ministerien sind die obersten 
Dienstbehörden rücksichtlich der ihnen unterstellten 
staatlichen Organe, die obersten Beschwerdeinstan- 
zen gegen Entscheidungen dieser Organe, und sie 
vertreten den Fiskus innerhalb ihres Ressorts. 
Der Finanzkontrolle dient der oberste Rechnungs- 
hof. Justiz und Verwaltung sind staatsgrund- 
gesetzlich getrennt. Als oberste Justizstellen sind 
organisiert: 1) der oberste Gerichtshof als letzte 
Instanz in Zivil- und Strafsachen und als Kas- 
sationshof zur Wahrung der Rechtsgleichheit; 
2) der Verwaltungsgerichtshof (Ges. v. 22. Okt. 
1875) zur Ausübung der Verwaltungsgerichts- 
barkeit; 3) das Reichsgericht als Kompetenzge- 
richtshof, ferner zum Schutz der politischen Rechte 
gegen Verwaltungsverfügungen und zum Schutz 
subjektiver Ansprüche gegen den Staat oder ein 
Land, sofern der gewöhnliche Rechtsweg hierfür 
nicht offen steht. In Unterordnung unter die Mi- 
nisterien bestehen die Verwaltungsbehörden für die 
Länder und Bezirke (14 Landesregierungen und 
366 Bezirkshauptmannschaften), die Schulbehör- 
den (Landes-, Bezirks= und Ortsschulräte), die 
aus Vertretern des Staats, der Schulerhalter, 
Geistlichkeit und Lehrerschaft zusammengesetzt sind, 
die Bergbehörden zur Ausübung der staatlichen 
Berghoheit, die 4 Berghauptmannschaften und 
eine größere Zahl von Revierbergämtern umfassen, 
die Finanzbehörden (Finanz-Landesdirektionen, 
Finanzprokuraturen, Steueradministrationen, 
Steuerämter). Dem Handelsministerium unter- 
stehen die Gewerbeinspektoren, die Seebehörden 
und Hafenkapitanate, dem Eisenbahnministerium
	        
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