Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1498 
Finanzministeriums durch die bosnische Landes- 
regierung in Serajewo geführt. An der Spitze 
steht der Höchstkommandierende der in Bosnien 
stationierten kaiserlichen und königlichen Truppen. 
Ihm steht zur Leitung der Verwaltung ein Zivil- 
adlatus zur Seite. Die Landesregierung zerfällt 
in 4 Abteilungen: für innere Administration, für 
Finanzen, für Justiz und für Bauwesen. Das 
Land ist eingeteilt in 6 Kreise, 54 politische Be- 
zirke, 25 Bezirksexposituren und den Distrikt der 
Landeshauptstadt. Die Verwaltung ist bureau- 
kratisch organisiert, nur in den Bezirken sind den 
Behörden als beratende Organe gewählte Ver- 
treter der Bevölkerung (Medschlis) beigegeben, 
doch wird seit der Annexion an dem Ausbau der 
Selbstverwaltung gearbeitet. Die Gemeindever- 
fassung ist nur in einzelnen größeren Gemeinden 
mit Gemeindestatuten kräftiger ausgebildet. Die 
große Zahl der Dorfgemeinden hat eine sehr 
primitive Organisation, bei der von Selbstver- 
waltung nicht gesprochen werden kann. Weit besser 
ausgebaut ist die Autonomie der Kultusgemein- 
den aller Konfessionen. Die Justiz ist in der 
untersten Stufe bei den Bezirksämtern noch orgoni- 
satorisch mit der Verwaltung verbunden. In den 
oberen Instanzen (Kreisgerichte und Obergericht in 
Serajewo) sind beide Funktionen getrennt. Durch 
Allerhöchsten Entschluß vom 17. Febr. 1910 wurde 
den Ländern Bosnien und Hercegovina eine Re- 
präsentativverfassung verliehen; diese umfaßt: 
Landesstatut, Wahlordnung, Geschäftsordnung 
des Landtags, Gesetz über Vereins= und Ver- 
sammlungsrecht und über die Bildung von auto- 
nomen Bezirksräten. Die Wahlen erfolgen nach 
Interessenkurien ähnlich denen der österreichischen 
Landtage, doch sind die Wähler nach Konfessionen 
getrennt und jeder Konfession eine bestimmte Zahl 
von Mandaten zugewiesen. Die Gesetzgebungs- 
kompetenz ist weiter als die der österreichischen 
Landtage, reicht jedoch an die des österreichischen 
und ungarischen Parlaments nicht heran. In den 
Delegationen ist Bosnien nicht vertreten. Zur 
Einbringung von Regierungsvorlagen und zur 
Vorlage von Landtagsbeschlüssen zur kaiserlichen 
Sanktion ist Zustimmung der österreichischen und 
ungarischen Regierung erforderlich. 
IV. Kirche und Schule. (Geschichtliches s. Ab- 
schnitt I.) 1. Katholische Kirche. Die äußern 
Verhältnisse der katholischen Kirche in Osterreich 
sind durch das Gesetz vom 7. Mai 1874 im Sinne 
der staatlichen Oberaussicht und Schutzhoheit ge- 
regelt. Nach diesem Gesetz ist staatliche Genehmi- 
gung erforderlich zu Abänderungen in der Ein- 
teilung der Kirchensprengel und Pfründen, zur 
Veräußerung und Belastung des Stammverms- 
gens der Kirchen und kirchlichen Anstalten. Der 
Staat überwacht die Anlage des kirchlichen Ver- 
mögens und leistet seine Hilfe zur Einbringung 
von kirchlichen Abgaben und Stolgebühren; er 
ergänzt das die Kongrua nicht erreichende seel- 
sorgerliche Pfründeneinkommen durch Zuschüsse 
  
OÖsterreich-Ungarn. 
  
1494 
aus dem Religionsfonds. Er ist berechtigt, staats- 
feindliche Seelsorger und solche, die wegen eines 
Delikts aus Gewinnsucht oder gegen die öffent- 
liche Sittlichkeit verurteilt wurden, aus ihrem 
Amt zu entfernen. Bischöfliche Erlasse sind den 
Landesbehörden gleichzeitig mit ihrer Publikation 
mitzuteilen. Der Staat wacht darüber, daß die 
kirchliche Amtsgewalt nur gegen Konfessionsange- 
hörige und ohne äußere Zwangemittel ausgeübt 
werde. Er gewährt gegen kirchliche Verfügungen, 
die ein Staatsgesetz verletzen, auf Bitte des Ver- 
letzten Abhilfe (recursus ab abusu). Der Staat 
leiht ferner der Kirche in der Ausübung der ihr 
zustehenden Disziplinargewalt, unter Wahrung 
seines Prüfungsrechts im einzelnen Fall, den 
weltlichen Arm. Das Recht der religiösen Ge- 
nossenschaften wurde zwar auch 1874 in einem 
vom Parlament beschlossenen Gesetzentwurf ge- 
regelt, derselbe fand jedoch nicht die kaiserliche 
Zustimmung. Dieses Recht beruht daher noch 
wesentlich auf den im Konkordat von 1855 dem 
Staat eingeräumten Zugeständnissen. Hiernach 
ist zur Einführung neuer Ordensgenossenschaften 
kaiserliche Genehmigung, zur Errichtung neuer 
Niederlassungen bestehender Orden landesbehörd- 
liche Genehmigung erfordert. Den einzelnen Klö- 
stern (auch den Bettelorden) kommt Rechtspersön- 
lichkeit zu. In die Orden mit stabilitas loci 
können nur österreichische Staatsbürger aufge- 
nommen werden. Der Staat behält sich die Über- 
wachung und Genehmigung der kanonischen Wah- 
len der lebenslänglich bestellten klösterlichen Vor- 
steher vor. Es gibt derzeit in Osterreich 9 katholische 
Erzbistümer: Wien, Salzburg, Görz, Prag, 
Olmütz, Zara und Lemberg (hier 3, je eines vom 
lateinischen, griechischen und armenischen Ritus), 
ferner 25 Bistümer, darunter 2 griechisch-unierte, 
37 Dom= und 28 Kollegialkapitel, 7561 Pfarren 
des lateinischen, 1877 des griechischen und 8 des 
armenischen Ritus. Ferner gibt es 504 Männer- 
klöster mit 9774 Mitgliedern, 177 Frauenklöster 
mit 1025 Filialen und 23 484 Mitgliedern des 
lateinischen, 20 Klöster mit 239 Mitgliedern des 
griechischen Ritus. Zur Heranbildung des katho- 
lischen Klerus dienen 8 theologische Universitäts- 
fakultäten mit 1515 und 47 theologische Lehr- 
anstalten (bischöfliche Seminare, Hausstudien der 
Klöster) mit 1924 Hörern (1907). Die kirchen- 
politische Stellung der katholischen Kirche in Oster- 
reich ist seit dem Kulturkampf der 1870er Jahre 
eine günstigere geworden, da seitdem wirtschaft- 
liche und soziale Faktoren zu einer Einigung der 
konservativen Elemente geführt haben, auf die sich 
der Staat in seinem Kampf gegen die staats- 
gefährlichen Tendenzen des radikalen Nationalis= 
mus und Sozialismus stützen muß. UÜberdies 
sind diese kirchenfeindlichen Elemente vorläufig 
durch die nationalen Streitigkeiten in den Ver- 
tretungskörpern lahmgelegt. Eine außerhalb des 
Parlaments durch eine Vereinigung von alldeut- 
schen Politikern, Freidenkern und evangelischen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.