1529
staaten daran. Auch er brachte eine größere An-
näherung zwischen den amerikanischen Republiken
und bedeutet einen weiteren Schritt zur Aus-
führung der im panamerikanischen Programm ent-
haltenen Wünsche und Bestrebungen. Ein vierter
Kongreß soll 1911 in Buenos Aires stattfinden.
Die Vereinigten Staaten Amerikas beschränkten
sich jedoch nicht auf diese friedlichen Verhand-
lungen. Selbst in der Zeit zwischen den Kon-
gressen entfalteten sie eine weniger friedliche Tätig-
keit, aus der darauf geschlossen werden muß, daß
sie zu ihrem eignen Vorteil die Unabhängigkeit
und Einigung der amerikanischen Länder betreiben.
Der erste bedeutende Schritt geschah im Jahre
1898 in dem Krieg mit Spanien und der sich
daran schließenden Aufrichtung einer Schutzherr-
schaft über Kuba. Ein zweiter war die Begrün-
dung der sog. Republik Panamä gegen Colom-
bia, die ihnen am 18. Nov. 1903 die Kanalzone
einbrachte. Ein dritter ist ihr Auftreten gegen
Nicaragua in den Jahren 1909/10.
Es ist wohl unbestreitbar, daß der Panameri-
kanismus im Lauf der Zeit eine mehr greikbare
Gestalt und auch eine weit bedeutendere Macht
erlangt hat. Die Vereinigten Staaten sind dem
Anschein nach auf dem besten Weg zum heiß-
erstrebten Kontinentalismus. Sie sind schon da-
durch günstig gestellt, daß Amerika ein zusammen-
hängender Erdteil und so ihr Kontinentalismus
kein künstlicher, sondern ein von der Natur ge-
gebener ist. Hierzu kommt, daß Amerika dank
seiner Bodenschätze vom Ausland wirtschaftlich
völlig unabhängig ist und eine für sich bestehende
Welt bildet. Auch der große Aufschwung, den es
im 19. Jahrh. genommen, und das damit zu-
sammenhängende hochgestiegene Selbstbewußtsein
kommt seinen vielfach noch verschleierten Plänen
zu statten. Ist es ferner nach Carlyle ein an-
gebornes Recht, daß die stärkere Nation die
schwächere beherrsche, so wird sich dieser „Wille
zur Macht“ auch bei den Vereinigten Staaten
geltend machen. Eine andere Frage ist es, wie die
bei der Aufrichtung des nordamerikanischen Kon-
tinentalismus in Mitleidenschaft gezogenen Mächte
sich zu ihr stellen werden. Schon im Inland
dürften nicht leicht zu überwindende Schwierig-
keiten entstehen. Noch ist im Norden Kanada und
im Süden das dreifache Guayana nicht gesonnen,
sich den Herrschgelüsten der Union zu fügen. Auch
Mittelamerika und darin besonders Mexiko dürfte
einen keineswegs zu unterschätzenden Widerstand
entgegensetzen. Aber selbst die Freistaaten von
Südamerika würden es sicher vorziehen, einen
eignen Staatenbund zu gründen, als sich in volle
Abhängigkeit von Nordamerika zu stellen. Auch
die auswärtigen Mächte dürften zu den angeblichen
Plänen Nordamerikas nicht untätig bleiben. Ins-
besondere Südamerika wird von England und
Frankreich, ja selbst von Deutschland und dem
aufstrebenden Japan als ein Land der Zukunft
für Handel und Industrie umworben. Kann die
Panslawismus.
1530
Union all diesen Mitbewerbern nicht zuerst auf
wirtschaftlichem Gebiet den Rang ablaufen, so hat
es mit der Verwirklichung der ihr zugeschriebenen
politischen Pläne vorläufig noch gute Wege.
Überdies hat die nordamerikanische Politik in den
letzten Jahren verschiedene Schritte getan, die mit
dem aufgestellten Grundsatz „Amerika den Ameri-
kanern“ und der logischen Folgerung daraus, „also
will Amerika sich um die andern Weltteile nicht
bekümmern“, nicht ganz im Einklang stehen. Nord-
amerika hat in der Erwerbung der Philippinen
einen Weg betreten, der nicht auf eine Betätigung
des Kontinentalismus hinausläuft, sondern als
eine Anwandlung von Imperialismus erscheinen
muß. Die Union war so bemüht, sich ein Kolonial-
reich anzugliedern, daß ein freiwilliger Verzicht
darauf schwerlich erwartet werden darf. Unter
Voraussetzung einer naturgemäßen Entwicklung
der gegenwärtigen Verhältnisse ist daher anzu-
nehmen, daß wir als die eigentlichen Beherrscher
der Welt oder auch nur eines Kontinents nicht
etwa eine einzelne Macht, sondern ein Konzert
von Großstaaten werden auftreten sehen, die im
eignen Mutterland gefestigt über eine Reihe von
Kolonialländern ihr Zepter schwingen. Unter
diesen wird Nordamerika voraussichtlich seinen
Rang bewahren, bielleicht auch noch erhöhen, aber
schwerlich imstande sein, das ihm zugeschriebene
Programm rücksichtlich des amerikanischen Konti-
nents auszuführen, da, um nur eines zu erwähnen,
England schwerlich bereit sein dürfte, ihm Kanada
preiszugeben. Der Panamerikanismus dürfte da-
her für noch lange Zeit ein phantastischer Plan,
eine eigentliche politische Utopie bleiben.
Literatur. C. Schlitz S. J., P., in Stimmen
aus Maria-Laach LXXIV (1908), Hft 3, S. 301 f.
IC. Schlitz S. J.)
Panslawismus. Unter Panflawismus
versteht man die Bestrebungen der verschiedenen
örtlich und staatlich getrennten slawischen Volks-
stämme nach einer kulturellen, in einzelnen Fällen
auch nach einer politischen Einheit, deren Form
in sehr verschiedener Weise von den einzelnen Ver-
tretern des Panslawismus aufgefaßt wird, deren
Wesen jedoch immer in möglichst engem Ausschluß
an Rußland gelegen ist. Die Quellen des Panfla-
wismus sind ohne Zweifel 1) die Unzufriedenheit
der außerhalb Rußlands lebenden Slawen mit
den politischen und nationalen Rechten, welche sie
in den von ihnen bewohnten Staaten (namentlich
in Osterreich) genießen; 2) das Aufflackern des
Nationalitätsprinzips infolge der von der fran-
zösischen Revolution erweckten Freiheits= und
Gleichheitsidee, deren Verwirklichung den Aus-
bruch so vieler nationaler Kämpfe in Europa seit
den deutschen Befreiungskriegen veranlaßte; 3) die
mißverstandene Anwendung des Nationalitäts-
prinzips auf die flawische Rasse, als ob die Rasse
notwendig zur Staatenbildung oder doch wenig-
stens zur Bildung einer besondern Gemeinschaft
führen müßte; 4) die Expansionsgelüste Rußlands