Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1543 
und daß die Beschlüsse eines solchen der päpstlichen 
Bestätigung nicht bedürfen (Episkopalsystem). Nach 
Art. 2, 3 und 4 der gallikanischen Kirche vom 
Jahre 1682 ist die Vollgewalt des Apostolischen 
Stuhls beschränkt durch die Konstanzer Dekrete 
über die Stellung der allgemeinen Konzilien, wird 
die päpstliche Gewalt durch die kirchlichen Ka- 
nones umschrieben und ist das Urteil des Papstes 
in Glaubenssachen ohne den Konsens der Kirche 
nicht irreformabel (Gallikanismus; vgl. d. Art.). 
In Deutschland unterschieden die Febronianer, 
Josephiner und Aufklärer die päpstlichen Rechte 
in wesentliche (jura essentialia, divina, primi- 
genia, necessaria), unwesentliche (iura acces- 
soria, humana, adventicia, secundaria) und 
strittige (iura controversa). Unter den wesent- 
lichen Rechten verstand man solche, die dem Papst 
zur Erhaltung der Einheit der Kirche durchaus 
notwendig seien. Dagegen seien die unwesentlichen 
erst im Lauf der Zeit hinzugekommen oder, rich- 
tiger gesagt, von den Päpsten usurpiert worden 
und könnten oder, richtiger gelesen, sollten dem 
Papst wieder abgenommen werden (Febronianis- 
mus, Josephinismus; vgl. die Art.). 
Allein diese Systeme sind alle gleich falsch. Un- 
richtig ist die konziliare Theorie des Episkopalis= 
mus und Gallikanismus, weil über der höchsten 
Gewalt in der Kirche, der des Papstes, nicht eine 
noch höhere, die des Konzils, stehen kann, weil so- 
dann die untergeordnete bischöfliche Gewalt auch 
in ihrer quantitativen Gesamtsumme die überge- 
ordnete, qualitativ verschiedene päpstliche Gewalt 
nicht erreichen kann, und weil es begrifflich ein 
allgemeines Konzil ohne den Papst nicht gibt. Den 
Febronianismus, Josephinismus und die Auf- 
klärung betreffend, ist zuzugeben, daß die geschicht- 
liche Entfaltung des Primats sich nach und nach 
vollzogen hat, aber diese Systeme sind irrtümlich, 
weil die Rechte des Primats, der nach göttlicher 
Anordnung den Einheits= und Mittelpunkt der 
Kirche für alle Zeiten bilden soll, nicht nach der 
Ausgestaltung in einem bestimmten geschichtlichen 
Moment festgelegt werden können. Eine neue Zeit 
bringt neue Bedürfnisse und damit neue Pflichten 
und neue Rechte für den Apostolischen Stuhl. Ob 
dann das einzelne Recht stets oder nie ausgeübt 
worden ist, darauf kann es im Prinzip nicht an- 
kommen; denn ein Recht wird nicht durch seine 
Ausübung bedingt. So J. Fr. Schulte in seinem 
aus der katholischen Periode stammenden „System 
des allgemeinen katholischen Kirchenrechts“ II 
(1856) 190 f. Auch scheiterte die sachwidrige 
Theorie schon an der Unmöglichkeit einer genaueren 
Angabe der iura essentialia und der jura ac- 
essoria, so daß man noch zu der weiteren Kate- 
gorie der iura controversa seine Zuflucht nahm. 
Mit Recht wurden alle diese mehr oder weniger 
dem Nationalkirchentum und dem Staatsabsolu- 
tismus förderlichen Theoreme wiederholt vom 
Apostolischen Stuhl verworfen. So hat Inno- 
zenz XI. durch Breve vom 11. April 1682 und 
Papst. 
  
1544 
Alexander VIII. durch Konstitution vom 4. Aug. 
1690 die Artikel der gallikanischen Kirche ver- 
worfen (Denzinger-Bannwart, Enchiridion sym- 
bolorum (1908] Nr 1322 ff). Pius VI. hat sich 
in der Bulle „Auctorem fidei“ vom 28. Aug. 
1794 ebenso entschieden gegen den Gallikanismus 
und Jansenismus als gegen den Febronianismus, 
Josephinismus und die Aufklärer gewendet (Den- 
zinger-Bannwart a. a. O. Nr 1501 ff). Am aus- 
führlichsten aber hat sich über das Wesen des 
Primats das Vatikanum in der Constitutio dog- 
matica prima de ecclesia Christi c. 3 aus- 
gesprochen: 
„Darum erneuern Wir, gestützt auf die unzwei- 
deutigen Zeugnisse der Heiligen Schrift und fest- 
haltend an den deutlichen und klaren Beschlüssen 
sowohl Unserer Vorgänger, der römischen Päpste, 
als der allgemeinen Konzilien, die Erklärung des 
ökumenischen Konzils von Florenz, wonach alle 
Christgläubigen zu glauben haben, daß der Heilige 
Apostolische Stuhl und der römische Papst den 
Primat über den ganzen Erdkreis innehat und daß 
eben der römische Papst der Nachfolger des heiligen 
Apostelfürsten Petrus und der wahre Stellvertreter 
Christi, das Haupt der ganzen Kirche, der Vater 
und Lehrer aller Christen ist, und daß ihm im 
hl. Petrus von unserem Herrn Jesus Christus die 
Vollgewalt übertragen worden ist, die allgemeine 
Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten, wie es 
auch in den Akten der ökumenischen Konzilien und 
den heiligen Kanones enthalten ist. 
„Wir lehren und erklären demnach, daß kraft 
der Anordnung des Herrn die römische Kirche über 
alle übrigen den Prinzipat der ordentlichen Gewalt 
besitzt, und daß diese wahrhaft bischöfliche Juris- 
diktionsgewalt des römischen Papstes eine unmittel- 
bare ist, gegen welche die Hirten und die Gläubigen 
jeglichen Ritus und jeglichen Rangs, sowohl jeder 
insbesondere als alle insgesamt, zur hierarchischen 
Unterordnung und zum wahren Gehorsam ver- 
pflichtet sind, nicht bloß in den auf den Glauben 
und die Sitten bezüglichen Dingen, sondern auch 
in jenen, welche die Disziplin und Regierung der 
über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche be- 
treffen, so daß durch die Bewahrung der Einheit 
sowohl der Gemeinschaft als des nämlichen Glau- 
bensbekenntnisses mit dem römischen Papst die 
Kirche Christi eine Herde unter einem obersten 
Hirten ist. Dies ist die Lehre der katholischen 
Wahrheit, von welcher niemand unbeschadet seines 
Glaubens und seines Heiles abweichen kann. 
„Diese Gewalt des obersten Bischofs tut indes 
jener ordentlichen und unmittelbaren bischöflichen 
Jurisdiktionsgewalt, womit die Bischöfe, die vom 
Heiligen Geist gesetzt, als Nachfolger an die Stelle 
der Apostel getreten sind, die ihnen zugewiesenen 
Herden, jeder die seinige, als wahre Hirten weiden 
und regieren, so wenig Eintrag, daß diese letztere 
vielmehr von dem obersten und allgemeinen Hirten 
zur Geltung gebracht, gefestigt und verteidigt wird, 
gemäß jenen Worten des hl. Gregor d. Gr.: Meine 
Ehre ist die Ehre der allgemeinen Kirche. Meine 
Ehre ist die ungeschwächte Kraft meiner Brüder. 
Dann bin ich wahrhaft geehrt, wenn keinem der- 
selben die schuldige Ehre versagt wird.“ ... 
„Wenn also jemand sagt, der römische Papst 
habe nur das Amt der Aufsiht oder der Leitung,
	        
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