1561
kamen ⅜/ der Bevölkerung im Kampf oder Elend
um und wurde Paraguay um Jahrzehnte in seiner
Entwicklung zurückgeworfen. Lopez fiel 1. März
1870 bei Cerro Corrd, und im Frieden (April
und Okt. 1872) mußte Paraguay ein großes Ge-
biet in Mato Grosso und im Gran Chaco an
Brasilien und Argentinien abtreten. 18. Nov.
1870 erhielt Paraguay eine neue Verfassung, blieb
aber auch bei dem 4jährigen Präsidentenwechsel
unter der Militärdiktatur. Doch blieb es wenig-
stens von Revolutionen ziemlich verschont und hat
sich, abgesehen von den Staatsfinanzen, langsam
gehoben. Seit 1904 ist eine Periode von Un-
ruhen eingetreten, auch 1906 und 1908 wurden
die Präsidenten wieder gestürzt.
II. Jläche und Bevölkerung. Der Flächen-
inhalt des Landes beträgt 253 100 qkm; der
Staat besteht aus dem der Zivilisation erschlossenen
Gebiet zwischen den Flüssen Parand und Para-
guay und dem im Innern noch ganz unbekannten
Chaco Boreal, der weiten Ebene zwischen Parana
und Pilcomayo. Die Bevölkerung, die vor dem
Krieg 1865/70 an 1,34 Mill. Seelen betragen
haben soll, wird zurzeit auf etwa 640 000 Seelen
geschätzt; 1899 wurden 472 433 gezählt, dazu
kamen an 20000 Ansiedler und Arbeiter im
Chaco, an 25.000 Arbeiter in den Yerbawäldern
und etwa 100 000 Indianer. Fremde wurden
1899: 18 286 gezählt (9306 Argentinier, 2220
Italiener, 1334 Brasilianer, 911 Deutsche, 765
Spanier, 635 Franzosen usw.). Die Bevölkerung
besteht im Chaco fast ganz aus Tupistämmen, im
zivilisierten Land aus Indianern, Weißen, einer
geringen Zahl von Negern und Mrschlingen;
quantitativ überwiegt das Indianer-(Guarani--)
Element (an 75 % ), während qualitativ das weiße
(25% ) maßgebend ist. Das weibliche Geschlecht
ist seit dem großen Krieg im Übergewicht (1899:
112 weibliche auf 100 männliche Personen; 1873
nur 29000 Männer bei einer Gesamtzahl von
221.000 Seelen), doch findet nach und nach ein
Ausgleich statt. Der größte Teil der Einwohner
ist noch heute auf dem Gebiet der ehemaligen Je-
suitenreduktionen ansässig, zwischen 25. und 27½0
südl. Breite des eigentlichen Paraguays (auf
50 000 qkm an 453000 Einwohner); am dich-
testen besiedelt ist die Umgebung der Hauptstadt und
von Villa Rica, während die östliche Urwaldzone
und der Chaco zum Teil noch unzugänglich sind.
Die Einwanderung betrug 1882/1907: 15787
Personen (1906/07: 1226). Vorwiegend deutsche
Kolonien sind S. Bernardino (1883 gegründet),
Hohenau, Nueva Germania, Puerto Max, Elisa
und Colonia Gaboto. — Die Hauptstadt des
Landes ist Asunciön mit 1905: 60 259 Ein-
wohnern; die übrigen größeren Städte sind Villa
Rica (25074), Villa Concepciön (13700), Villa
Encarnaciön (10 730), Villa S. Pedro (7990)
ünd Villa del Pilar (5750 Einwohner).
III. Staatswesen. Nach der geltenden Ver-
fassung vom 18. Nov. 1870 ist die Staatsform
Paraguay.
1562
die einer demokratischen-repräsentativen Republik.
Die Verfassung gewährt Gewissens= und Kultus-,
Lern= und Lehrfreiheit, Freiheit der Schiffahrt
und des Handels für alle Flaggen, Gewerbe-,
Versammlungs., Preß., Petitionsfreiheit, Unver-
letzlichkeit des Eigentums und Domizils, Gleichheit
aller vor dem Gesetz (keine Adels= und Geburts-
privilegien) und persönliche Freiheit aller (Ab-
chaffung der Sklaverei). Die Fremden genießen
alle bürgerlichen Rechte der Einheimischen. Die
Erwerbung des Bürgerrechts für Ausländer ist
sehr erleichtert; die Naturalisierten haben auch alle
politischen Rechte eines gebornen Paraguayers,
können aber nicht das Amt des Präsidenten, Vize-
präsidenten, eines Ministers, Senators oder Ab-
geordneten bekleiden. — Die gesetzgebende
Gewalt übt die Nationalversammlung (Kon-
greß) aus, die aus Senat und Abgeordnetenkammer
besteht. Der Senat besteht aus 13 auf 6 Jahre direkt
gewählten und alle 2 Jahre zu einem Drittel zu er-
neuernden Mitgliedern, die mindestens 28 Jahre
alt und Staatsbürger sein müssen, die Abgeord-
netenkammer aus 26 mit einfacher Stimmenmehr-
heit auf 4 Jahre gewählten und alle 2 Jahre zur
Hälfte zu erneuernden Mitgliedern, die 25 Jahre
alt und Paraguayer von Geburt sein müssen. Das
aktive Wahlrecht besitzt jeder 18 Jahre alte Bürger
Paraguays; fuspendiert ist das Wahlrecht bei
geistig und moralisch Unfähigen, gemeinen Sol-
daten, Gefreiten und Unteroffizieren der Linien=
truppen und der mobilisierten Nationalgarde und
bei den wegen infamierenden Verbrechen Bestraf-
ten. Die ordentlichen Sessionen beider Körper-
schaften dauern vom 1. April bis Ende August
und finden in der gleichen Zeit statt; außerordent-
liche Tagungen können durch den Staatspräsi-
denten oder auf Verlangen von mindestens 4 Ab-
geordneten oder Senatoren berufen werden. Die
Mitglieder sind unverantwortlich für das in Aus-
übung ihres Amts Getane. Jede Kammer hat das
Recht, die Minister zum Erscheinen aufzufordern
behufs Erteilung von Auskünften oder Erklä-
rungen. Die Minister können nicht Deputierte
oder Senatoren sein. Kein Geistlicher kann in den
Kongreß gewählt werden, auch nicht die vom
Staat besoldeten Beamten, bevor sie nicht auf ihr
Amt verzichten.
Der Kongreß hat allein die volle gesetzgebende
Gewalt, das Recht Steuern aufzulegen, Anleihen
auf das Staatsvermögen aufzunehmen, National-=
banken zu konzessionieren, den Staatshaushalt
festzusetzen, Gerichte einzusetzen, die ausführende
Gewalt zur Führung von Kriegen, Abschluß von
Friedensverträgen usw. zu ermächtigen, Belage-
rungszustand zu verhängen usw. Jede Kammer
hat das Recht der Gesetzesinitiative, doch müssen
Gesetze über Steuern und die bewaffnete Macht
von der Abgeordnetenkammer ausgehen. Einem
von beiden Kammern angenommenen Gesetzent-
wurf kann die Exekutivgewalt die Zustimmung
versagen; der so verworfene Vorschlag geht dann
—