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an die Kammern zurück und wird, wenn beide
mit Zweidrittelmajorität ihn wieder annehmen,
Gesetz, auch ohne die Sanktion des Präsidenten.
— Die Zweite Kammer hat allein das Recht,
den Präsidenten, Vizepräsidenten, die Minister,
Mitglieder des obersten Gerichtshofs und Generale
wegen schlechter Amtsführung oder Vergehen im
Amt anzuklagen; Richter ist in diesem Fall der
Senat, dessen Schuldspruch durch zwei Drittel der
anwesenden Mitglieder gefällt werden muß. Der
Präsident der Zweiten Kammer wird von dieser
selbst gewählt; Präsident des Senats ist der
Staatsvizepräsident, den im Verhinderungsfall
ein vom Senat selbst gewählter provisorischer Vor-
sitzender vertritt.
Die Exekutivgewalt liegt in den Händen des
Präsidenten und im Behinderungsfall (Abwesen-
heit von der Hauptstadt, Verzicht, Tod usw.) in
denen des Vizepräsidenten, der sie durch die 5 ver-
antwortlichen Minister ausübt. Das Staatshaupt
muß 30 Jahre alt, Paraguayer von Geburt und
Christ sein. Die Wahl erfolgt indirekt auf 4 Jahre,
eine Wiederwahl ist erst nach einer dazwischen-
liegenden Amtsperiode gestattet. Jeder Wahl-
distrikt wählt direkt nach gleichem Recht und glei-
chen Formen wie für die Volksvertretung einen
Wahlkörper, der aus der vierfachen Anzahl der
vom Wahldistrikt in den Kongreß entsandten Ver-
treter besteht; Deputierte, Senatoren und Staats-
besoldete können nicht Wähler sein. Diese Wahl-
körper wählen zur bestimmten Zeit vor Ablauf des
Amtstermins den Präsidenten und zugleich den
Vizepräsidenten mit absoluter Majorität; zur
Gültigkeit der Wahl ist erfordert, daß mindestens
zwei Drittel der Wahlmänner ihr Wahlrecht aus-
üben. Ist keine absolute Majorität vorhanden, so
entscheidet der Kongreß unter den zwei Kandidaten,
die die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben.
Der Präsident hat die allgemeine Verwaltung des
Landes, er ernennt die Minister, Beamten, diplo-
matischen Vertreter usw., die Mitglieder des
obersten Gerichtshofs (mit Zustimmung des Se-
nats), die der Untergerichte (mit Zustimmung des
obersten Gerichtshofs), eröffnet den Kongreß, be-
ruft ihn in dringenden Fällen zu außerordentlichen
Tagungen, verfügt über die bewaffnete Macht usw.;
er darf ohne Einwilligung des Kongresses die
Hauptstadt nicht verlassen. Seine Verfügungen
bedürfen der Gegenzeichnung eines der Minister,
der dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. Für
die innere Verwaltung ist der Freistaat in 2 Sek-
tionen eingeteilt; die westliche Sektion (der Chaco)
steht unter einem Militärkommando, das vom
Ministerium des Kriegs und der Marine ab-
hängt, die östliche Sektion zerfällt in 12 Kreise,
die wieder in 95 Distrikte eingeteilt sind. Die
Zentralgewalt vertritt im Kreis der Kreishaupt-
mann (jefe politico), dem ein erster und zweiter
Sekretär, ein oder mehrere Offiziere und die er-
forderliche Militärmannschaft zur Aufrechterhal-
tung der Ordnung beigegeben sind. Jeder Distrikt
Paraguay.
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hat seinen Distriktsvorsteher zefe departamental)
mit den erforderlichen Hilfsbeamten. Die Haupt-
stadt Asunciön zerfällt in Polizeisektionen. —
Die richterliche Gewalt wird von dem obersten
Gerichtshof, dessen drei Mitglieder auf vier Jahr
ernannt werden, und den diesem untergeordneten
unteren Gerichtshöfen und Friedensrichtern (in
jedem Distrikt) ausgeübt. Die richterliche Gewalt
allein kann über Streitfragen entscheiden; die Ver-
teidigung vor den Gerichtshöfen ist für jeden frei.
Staatskirche ist die katholische, der fast alle
Bewohner des Landes angehören; doch ist Frei-
heit der andern Kulte anerkannt. Der Präsident
übt mit Zustimmung des Kongresses die Patro-
natsrechte über die Kirche und das Plazet gegen-
über den Dekreten der Konzilien, den päpstlichen
Bullen, Breven und Restkripten. In kirchlicher
Beziehung bildet Paraguay das 1547 errichtete
Bistum Asunciön, das unter dem Erzbistum
Buenos Aires steht und an 60 Weltgeistliche bei
120 Seelsorgestellen zählt. Über die Zahl der
Orden und Ordensgeistlichen liegt keine Statistik
vor. Die protestantischen Deutschen bilden zwei
Gemeinden (Asunciön und Nueva Germania),
von denen die erstere im Verband der preußischen
Landeskirche steht.
Die Volksbildung ist für südamerikanische
Verhältnisse verhältnismäßig hoch; die Zahl der
Analphabeten betrug 1900 in der Hauptstadt 37,
auf dem Lande 63 % . Offizielle Sprache ist das
Spanische, das auch von den Guaranis, wenn
auch mangelhaft, gesprochen wird; doch beherrschen
an ¼ der Bevölkerung auch die Guaranisprache,
die selbst in Zeitungen und Büchern öfters an-
gewandt wird. Der Volksschulunterricht ist obli-
gatorisch vom 7. bis 12. Lebensjahr und frei; er
steht unter Leitung eines Schulrats, dessen Präsi-
dent der Unterrichtsminister ist. 1907 bestanden
an 330 Volksschulen. Die 5 Mittelschulen, Co-
legios nacionales, sind den deutschen Gymnasien
ähnlich; sie werden ganz vom Staat unterhalten,
ebenso die 2 Normalschulen, die 1690 gegründete
Universität Asunciön, die Landwirtschaftsschule
und Versuchsanstalt in Trinidad bei Asunciön,
die Militärvorbereitungsschule in der Hauptstadt,
zum Teil auch das 1881 gegründete, unter Auf-
sicht des Bischofs und Leitung von Lazaristen-
patres bestehende Seminar Conciliar (zur Aus-
bildung von Priestern und Lehrern). Deutsche
Schulen, die aus dem Schulfonds im Etat des
Auswärtigen Amts des Deutschen Reichs unter-
stützt werden, gibt es in Asunciön, S. Bernar-
dino, Altos, Hohenau und Villa Encarnaciön.
Der Förderung der Wissenschaften und Künste
dient das vom Staat mit jährlich 12000 Pesos
subventionierte, durch Beiträge und Schenkungen
erhaltene Instituto Paraguayo, das in 6 Ab-
teilungen regelmäßige Lehrkurse abhält und eine
angesehene Zeitschrift (Revista del Instituto
Paraguayo) herausgibt. Private Schulen sind
an 110 vorhanden. Die nationale Presse zählt