1617 Parteien,
Vor der Sklavenemanzipation in den Ver-
einigten Staaten waren es die Cooperhead,
d. h. Sklavenbarone des Südens, welche mit den
nördlichen Staaten und ihren Bewohnern auf be-
ständigem Kriegsfuß standen. Auch nach dem Krieg
von 1860 bis 1864 währte der Gegensatz im Denken
umd Handeln der Nord= und Südstaaten fort; die
Parteien fuhren unter andern Namen fort, sich zu
bekämpfen, im Norden nannten sich die Bürger
der Vereinigten Staaten Radikale und Fortschritts-
männer, im Süden (Carolina, Virginien, Geor-
gien, Florida usw.) Demokraten. Noch später
sonderte sich die Plutarchie von den andern Fak-
toren ab und versuchte es, eine Herrschaft des
Reichtums und der Korruption der übrigen Volks-
klassen zu begründen. Heute spielen sich die großen
politischen Kämpfe zwischen den Republikanern
und den Demokraten ab, jedesmal unter Tages-
losungen, mit denen beide die Wählermassen zu
packen glauben; jene huldigen der Expansions-
politik und sind scharf schutzzöllnerisch, diese ver-
urteilen den auswärtigen Lebenserwerb und die
zu schroffe Zollpolitik. Eine dritte, anscheinend
wieder im Niedergang befindliche Partei, die Po-
pulisten, sucht sich hauptsächlich auf die Farmer zu
stützen. Der Imperialismus, der grundsatzwidrige
auswärtige Ländererwerb, hat den Republikanern
als Partei nur genützt, ebenso die Schutzzollpolitik.
Der Sozialismus, der zahlreiche Anhänger besitzt,
vermochte bisher im Wahlkampf der großen Par-
teien nicht so durchzudringen, wie dies in andern
Ländern mit großer Industrie der Fall ist.
Noch möchten wir des zweitgrößten Staats der
Neuen Welt, Brasiliens, gedenken. Unter der
Regierung Dom Pedros II. glaubten die Sklaven-
halter Grund zur Gegnerschaft zu haben wegen
Aufhebung der Sklaverei. Übel behandelt wurde
auch die Hierarchie, die aber keinen Schritt tat,
die ihr zugefügten Unbilden zu ahnden. Schlimmer
stand es um die Soldateska. Sie hielt sich für
zurückgesetzt und glaubte Ursache zu haben, Dom
Pedro zu grollen. Das treibende Element bildeten
aber eingewanderte Republikaner und Freimaurer,
die zuerst den Grundsatz aussprachen, daß eine
Monarchie auf amerikanischem Boden nicht ge-
duldet werden dürfe. Das Königtum wurde ge-
stürzt, und eine demokratisch-freigeistige Richtung
kam zur Herrschaft, die aber doch Duldsamkeit,
speziell der Kirche gegenüber, als die rätlichste
Politik erkannte.
In Asien zeigte sich die wunderbare Anpas-
sungsfähigkeit Japans an eine neue Kultur auch
in dem schnellen Einleben in die Verfassung. Die
Parlamentarier gruppierten sich unter namhaften
Führern hauptsächlich in Liberale und Radikale,
Seijukai und Schimpoto. Zu den ersteren
hielten die agrarischen Abgeordneten; sie zeigten
auch größere Einheitlichkeit, während die Radi-
kalen an dauernden Spaltungen litten. Der kon-
stitutionelle Versuch in dem politisch völlig unreifen
Persien zeitigte vorläufig nichts weiter als den
politische. 1618
Gegensatz zwischen den doktrinären Konstitutiona-
listen und dem wie in der Türkei gewaltsam nieder-
gehaltenen Anhang des alten, religiös-politischen
Systems.
In Afrika wird die Parteibildung innerhalb
des Vereinigten britischen Südafrikas vor-
ab den schon gegebenen Richtlinien weiter folgen:
Afrikander und Buren auf der einen Seite,
„loyale“ Engländer auf der andern, nur mit dem
Unterschied, daß die Buren ihre volle Loyalität
anerkannt sehen, woraus sich mit Notwendigkeit
unter der neuen gemeinsamen Selbstverwaltung
eine neue Parteiorientierung ergibt. In Agypten
findet man eine nationalistische Partei, die ihre
Lebenskraft aus dem Gegensatz zu der Okkupa-
tionsmacht, England, schöpft. Neben ihr hat sich
eine konstitutionelle Vereinigung aus Industriellen
und Agrariern gebildet, die in Frieden mit Eng-
land leben will, aber eine parlamentarische Re-
gierung anstrebt.
Der hauptsächlich auf entgegengesetzten wirt-
schaftlichen Anschauungen beruhende Parteigegen-
satz im Bundesparlament Australiens, die
Gruppierung in Freihändler und Schutzzöllner,
hat einen starken Stoß erlitten durch die scharfe
Interessenpolitik der als Arbeiterpartei auftreten-
den Sozialisten und jene beiden Gruppen in der
Not des Kampfes um die Selbsterhaltung einander
nahe gebracht.
Literatur. R. v. Mohl, Enzyklopädie der Staats-
wissenschaften (1859, 71872); Parisius, Deutsch-
lands p. P. (1878); Baumbach, Staatslexikon
(1882); Bornhak, Allgem. Staatslehre (1896);
E. Richter, Polit. ABC-Buch, IX. Jahrg. (1898);
R. Schmidt, Allgem. Staatslehre (1, 1901);
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich u.
die offiziellen Handbücher für den deutschen Reichs-
tag u. das preuß. Abgeordnetenhaus. Mehrere
Arbeiten unter dem Titel: Der deutsche Reichs-
tag u. seine Parteien, so von Wiermann (1885),
Peitz (1892), Braun (1893), Laverrenz (1893);
Fr. Specht, Die Reichstagswahlen 1867/97. Gra-
phische Darstellungen u. Karten erscheinen nach
jeder Wahl. Einzelne Parteien veröffentlichen
periodische Berichte u. geben Handbücher heraus
(Polit. Handbuch für nationalliberale Wähler,
21897; Konservatives Handbuch, 71894; Hand-
buch für sozialdemokratische Wähler, 1898), ferner:
Maas, Denkschrift zur Feier des 25jähr. Bestandes
der nationalliberalen Partei (1892); Böttger,
Handwerkerprogramm (1893); G. Oertel, Der Kon-
servatismus als Weltanschauung (1893); Deutsche
Parteiprogramme (1894); Jastrow, Sozialliberal
(21894); C. H. v. Arnswaldt, Die Revolution u.
der demokratische Sozialismus (1896); Die Zent-
rumsfraktion an der Jahrhundertwende (1900);
Siegfried, Ein jungliberales Programm mit be-
sonderem Hinblick auf Bayern u. Baden aufsgestellt
(1902); P. Harms, Die nationalliberale Parteie
(Gedenkblatt zu ihrer Entwicklung, 1904); W. Kule-
mann, Der Zusammenschluß der Liberalen (1905);
M. Spahn, Das deutsche Zentrum (1907); Leo
v. Savigny, Des Zentrums Wandlung u. Ende
(1907); Salomon, Die deutschen Parteiprogramme,