Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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die Besetzung der niederen Benefizien auszudehnen. 
Die Landesherren waren bestrebt, sich möglichst 
weitgehende Provisionsrechte bezüglich der wich- 
tigeren Kirchenämter ihres Gebietes zu sichern, 
welche eine neue Garantie der Erweiterung der 
fürstlichen Gewalt und Machtsphäre bieten. In- 
dem die Landesherren die Vergebung kirchlicher 
Benefizien, insbesondere der Stiftsprälaturen und 
Kanonikate, von ihrer Gunst und Gnade ab- 
hängig zu machen suchten, wurde nicht nur das 
Interesse der fürstlichen Kammer gewahrt, welcher 
bei solchen Anlässen bedeutende Abgaben entrichtet 
werden mußten: die Geistlichkeit wurde in größere 
Abhängigkeit vom Landesherrn gebracht und diesem 
eine Stütze gegenüber den Forderungen der bevor- 
rechteten weltlichen Landstände geschaffen. Die 
rechtmäßig erworbenen Provisionsrechte der Lan- 
desherren wurden mit aller Energie verteidigt, aber 
auch neue ohne genügenden Rechtsgrund usurpiert 
und mit den Mitteln der landesherrlichen Macht 
durchgesetzt; die ungünstige Lage des Papsttums 
nötigte die Kurie, neue Indulte, in welchen den 
Landesherren Designationsrechte bewilligt wurden, 
zu erteilen, usurpierten Besetzungsrechten durch 
Indulte eine kirchliche Rechtsbasis zu gewähren 
oder wenigstens deren Ausübung stillschweigend 
zuzulassen. 
Die Bekämpfung der päpstlichen Vorbehalte 
gab den Landesherren zuerst Gelegenheit, all- 
gemeine Anordnungen über die Vergebung kirch- 
licher Benefizien ihres Gebietes zu erlassen: die 
Landesherren, welche in dieser Frage bei ihren 
Ständen und der einheimischen Geistlichkeit auf 
Unterstützung rechnen konnten, traten der Aus- 
dehnung der päpstlichen Vorbehalte entgegen und 
verwehrten dem Papst insbesondere die Vergebung 
der Benefizien des Landes an Auswärtige. Solche 
Anordnungen, welche die Vergebung kirchlicher 
Benefizien an Ausländer untersagen, finden sich 
in einzelnen Territorien schon seit dem 14. Jahrh.; 
auch nachdem die päpstlichen Vorbehalte ihre prak- 
tische Bedeutung im wesentlichen eingebüßt hatten, 
sind solche Bestimmungen, für welche man die 
ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung 
der Kirche zu erlangen suchte, aufrecht erhalten 
und in vielen Gebieten neu eingeführt worden. 
Das erstarkende Staats= und Nationalbewußtsein 
erhob in der Neuzeit allgemein die Forderung, 
daß auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens 
nur den Angehörigen des Landes ein entscheidender 
Einfluß eingeräumt werde. Auch die modernen 
Gesetzgebungen, welche nur Staatsangehörige zu 
Kirchenämtern zulassen wollen, beruhen auf dem 
gleichen Gesichtspunkte. Da Forderungen dieser 
Art in der Kirche nicht als grundsätzlich unstatthaft 
angesehen werden können, so hat die kirchliche Praxis 
solche staatliche Vorschriften nicht bloß toleriert, 
dieselben sind häufig auch in besondern Verein- 
barungen oder Indulten formell anerkannt worden. 
Der staatliche Einfluß auf die Vergebung der 
Kirchenämter wurde seit der Reformation stetig 
Kirchenamt. 
  
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erweitert. Um nicht die Fortschritte des Prote- 
stantismus zu fördern und um der katholischen 
Kirche den fortdauernden Beistand der katholischen 
Landesherren zu sichern, mußten die Päpste nicht 
nur die Usurpation einzelner Besetzungsrechte still- 
schweigend zulassen oder verlangte Indulte be- 
willigen; die Rückwirkung des Protestantismus 
und der protestantischen Anschauungen über die 
landesherrliche Kirchengewalt (s. d. Art.) auf die 
Staatspraxis der katholischen Länder, ferner die 
sortschreitende Entwicklung des fürstlichen Abso- 
lutismus und der Verfall der landständischen 
Rechte hatten noch viel weiter gehende Forde- 
rungen im Gefolge. Die katholischen Landes- 
herren nahmen auf Grund der fürstlichen Advokatie 
(des Schutzrechts) wie des landesherrlichen Ober= 
aussichtsrechts auch die Befugnis in Anspruch, die 
Vergebung der Kirchenämter ihres Gebietes grund= 
sätzlich als ein Attribut der Landeshoheit zu be- 
handeln. Um „ex nobilissimo officio advo- 
catiae“ unlautere und unverläßliche Elemente im 
Interesse der Kirche selbst fernzuhalten und die 
landesherrliche Kirchenhoheit zur Geltung zu brin- 
gen, wurde dem Landesherrn die Besetzung der 
kirchlichen Amter vorbehalten, oder wenn besondere 
Rechtstitel ein Provisionsrecht Dritter begründeten, 
die Wirksamkeit des Besetzungsaktes von der Ge- 
nehmigung des Landesherrn abhängig gemacht. 
Die Staatspraxis des 18. Jahrh. war durchaus 
beherrscht von dem Einfluß der territorialistischen 
Auffassungen der protestantischen Doktrin und von 
jenen antikurialen Strömungen in der katholischen 
Kirche (s. die Art. Febronianismus, Gallikanis- 
mus), welche an die Beihilfe des Staatsabsolu- 
tismus appellierten, um die kirchliche „Freiheit" 
wiederherzustellen. Die Besetzung der Kirchen- 
ämter wurde als ein Hoheitsrecht des Landesherrn 
erklärt, welches im ius cavendi der landesherr- 
lichen Kirchenhoheit begründet sei. Diesen Auf- 
fassungen entsprach es vollkommen, wenn in den 
deutschen Staaten nach den großen Säkulari- 
sationen am Ende des 18. und am Anfang des 
19. Jahrh. die Besetzungsrechte, welche die geist- 
lichen Reichsfürsten als Kirchenobere ausgeübt 
hatten, ebenso wie die Provisionsrechte der auf- 
gehobenen geistlichen Körperschaften einfach für 
den Landesherrn in Anspruch genommen wurden, 
dessen Landeshoheit den Rechtstitel für ein all- 
gemeines „landesherrliches Patronatsrecht“ be- 
gründen sollte. Die Bischöfe wurden bei solchen 
Benefizien auf ein Vorschlagsrecht beschränkt, und 
in andern Fällen einer Pfründenbesetzung wurde 
die Wirksamkeit des Verleihungsaktes von der 
staatlichen Genehmigung abhängig gemacht. 
Die Doktrin, welche aus der Landeshoheit ein 
allgemeines Recht der Besetzung kirchlicher Amter 
ableiten wollte, um den Forderungen der abso- 
lutistischen Staatspraxis ein theoretisches Fun- 
dament zu sichern, fand schon seit dem Anfang 
des 19. Jahrh. lebhaften Widerspruch; heute ist 
die gänzliche Haltlosigkeit derselben längst all-
	        
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