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von Klemens XIII., nachdem bereits vorher das
Buch des Febronius durch ein Dekret der Index-
kongregation verboten war. Außerdem protestierte
die kirchliche Autorität bei zahlreichen Gelegen-
heiten noch gegen einzelne dieser vermeintlichen
Rechte des Staates gegenüber der Kirche. Pius IX.
verwarf sie unter der Bezeichnung der potestas
indirecta negativa in sacra in der 41. These
des Syllabus: Civili potestati vel ab infideli
imperante exercitae competit potestas indi-
recta negativa in sacra; eidem proinde com-
petit nedum ius duod vocant Exequatur, sed
etiam ius appellationis, duam nuncupant ab
abusu.
Literatur. G. A. Bianchi, Della potesta e
della polizia della chiesa (6 Bde, Rom 1745 ffj);
Cavagnis, Institutiones juris publ. eccles. (3 Bde,
ebd. 1899); Tarquini, lus publ. eccles. (18 1890);
Palmieri, De Romano Pontifice (Prato 21891);
Mazzella, De religione et ecclesia (Rom #1885)
438 ff; J. Hergenröther, Kath. Kirche u. christl.
Staat (21874); Phillips, Kirchenrecht II (1872)
453 ff; Lehrbücher des Kirchenrechts von Phillips,
Walter-Gerlach, Vering, Heiner, Laemmer, Ph.
Hergenröther, Sägmüller usw.
II. Recht der andern christlichen Koufes-
sionen. Ganz anders ist das Verhältnis der
andern christlichen Konfessionen zu dem Landes-
herrn. Diese pflegen nämlich tatsächlich dem
Landesfürsten auch die höchste kirchliche Autorität
(Summepiskopat) beizulegen, selbst dann, wenn
der Landesfürst einer andern Konfession angehört.
Man gewöhnte sich hieran schon von Beginn der
Reformation; erst später versuchte man den fak-
tischen Zustand, so gut es ging, theoretisch zu
begründen; Einigkeit selhst über das Wesen und
den eigentlichen Grund der landesherrlichen Kir-
chengewalt ist auch bis heute noch nicht erreicht.
Die tatsächlichen Verhältnisse entwickelten sich
daraus, daß in vielen Gegenden die Landesherren
die eifrigsten Beförderer der neuen Lehre waren.
Daß nicht immer die reinsten Beweggründe sie
dazu veranlaßten, steht außer Zweifel, wurde
ihnen aber gerne nachgesehen. In England war
der überaus sinnlich und despotisch zugleich an-
gelegte Heinrich VIII. sogar der eigentliche Ur-
heber des Abfalles vom alten Glauben. Es stellte
sich nun bald das Bedürfnis nach einer äußern
Autorität in Kirchensachen, welche bisher die Bi-
schöfe und der Papst innegehabt hatten, ein. Da
lag nichts näher, als sie den zur Führung der-
selben ohnehin geneigten weltlichen Landesherren
zu überlassen. Es ging das um so leichter, als
Luther und Zwingli von einer von Christus an-
geordneten Verfassung der Kirche nichts wissen
wollten; ja beide schrieben der Kirche im Grunde
genommen nicht einmal den Charakter einer Ge-
sellschaft zu. Wenn die Gläubigen sich gesellschaft-
lich zusammentun und organisieren und so eine
Kirche bilden, so folgen sie damit einem natürlichen
Drange des Menschen, gemeinsame Zwecke durch
Zusammentreten zu einer Gesellschaft zu erreichen.
Kirchengewalt, landesherrliche.
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Christus hat aber nach Luthers und Zwinglis
Lehre diese gesellschaftliche Form nicht angeordnet
und noch weniger eine bestimmte Organisation
der kirchlichen Gesellschaft. Von Luther und
Zwingli weicht Kalvin ab, der eine gewisse, aber
sehr unvollendete gesellschaftliche Form und Or-
ganisation für von Christus angeordnet hält. Da
Christus aber nach ihm nichts weiter angeordnet
hat als das Zusammentreten zu einzelnen kleineren
Gemeinden (vgl. Richter, Evangel. Kirchenord-
nung des 16. Jahrh. 1 342; Kalvin hat offen-
bar Eph. 4, 11 und Apg. 6, 1 ff für seine Ver-
fassung vor Augen), so läßt die Verfassungsform
der kalvinischen Konfession dem Eingreifen einer
äußern Autorität nicht nur den Weg offen,
sondern macht sie auch zu einem tatsächlichen
Bedürfnis.
Zur wissenschaftlichen Begründung des faktisch
eingetretenen landesherrlichen Kirchenregimentes
(den Wirrwarr der bei den protestantischen Theo-
logen und Kanonisten sich findenden Meinungen
über die Kirche und deren Gewalt beschreibt
Schenkl, Instit. jur. eccl., Prolegom. § 46
not.) wurden nun. vorzüglich drei Systeme aus-
gedacht:
1. Das Episkopalsystem. Nach demselben
besitzen die protestantischen Landesherren eine dop-
pelte, wesentlich unterschiedene Gewalt: eine welt-
liche und eine geistliche. Die erstere besitzen sie
iure proprio et ordinario; sie kommt ihnen als
Landesherren notwendig zu. Die andere haben
sie iure adventitio; sie bildet nicht einen not-
wendigen Teil der landesherrlichen Gewalt und
ist in dieser nicht enthalten; sie ist anderswoher
hinzugekommen. Als Quelle dieser letzteren wer-
den teils das seit Beginn der Reformation aus-
gebildete Gewohnheitsrecht, vor allem aber der
Passauer Vertrag 1552 und der Augsburger Re-
ligionsfriede 1555 angesehen, durch welche die
früher bestehende geistliche Gewalt der Bischöfe
über die Anhänger der nichtkatholischen Konfes-
sionen suspendiert oder aufgehoben und damit
wenigstens einstweilen stillschweigend den Landes-
fürsten übertragen oder restituiert sei. J. H.
Böhmer (Lus eccl. Protestantium I. 1, tit. 31,
§ 19 ff), der diesen Erklärungsversuch als vul-
gata plerorumque protestantium iurisconsul-
torum sententia et communis fere doctrina
hinstellt, führt eine Menge Vertreter desselben
auf, unter denen Stephani und die beiden Carpzov
besonders zu nennen sein dürften. Er selbst ver-
wirft denselben. An die Stelle der Episkopal=
theorie wurde dann das Territorialsystem gesetzt.
2. Das Territorialsystem erklärt die
kirchliche Gewalt einfachhin für einen Teil der
Territorialgewalt der Landesherren. Der Summ-
episkopat ist demnach nicht als ein bloßes An-
nexum, sondern als zum Bestande der Territorial-
hoheit gehörend anzusehen. Daß nach dieser Er-
klärung auch den nichtprotestantischen Landes-
herren die oberste kirchliche Autorität zukommen
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