Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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ihrer Bedürfnisse zu dienen, ist sie auch als solche 
sowohl Eigentümerin als auch alleinige Nutz- 
nießerin desselben. Wenn daher auch die einzelnen 
Teile dieses allgemeinen Kirchengutes für bestimmte 
kirchliche Zwecke oder für bestimmte Teile des großen, 
organisch gegliederten Ganzen gewidmet sind und 
für die besondern kirchlichen Bedürfnisse der ein- 
zelnen Teile verwendet werden müssen, haftet doch 
an allem diesem partikularen Kirchenvermögen die 
Eigenschaft des der einen Kirche als Gesamtheit zu- 
stehenden und nur zu ihrem Nutzen zu gebrauchen- 
den Kirchengutes.“ 
Diese Ansicht stützt sich vornehmlich auf folgende 
Gründe: 
a) Wie das kirchlichen Zwecken dienende Ver- 
mögen einem bestimmten Institut eigen und an- 
gehörig genannt wird, ebenso wird es auch der 
Kirche eigen genannt. Unter der Kirche schlechthin 
läßt sich aber nicht ein einzelnes kirchliches Insti- 
tut, auch nicht die Gemeinschaft der Gläubigen 
eines bestimmten Landes, sondern nur die Ge- 
samtkirche verstehen. Auch das Vermögen einer 
Armenstiftung, eines der Kirche gehörigen Spitals 
heißt Kirchengut in gleicher Weise wie das Fabrik- 
vermögen. Es kann nur so heißen von seiner Eigen- 
tümerin, der Kirche. Wie man unter Staatsgut, 
Provinz-, Gemeindevermögen nicht jenes versteht, 
das unter der Verwaltung des Staates, der Pro- 
vinz oder Gemeinde steht oder vom Staate dazu 
legitimierten Körperschaften oder Instituten an- 
gehört, sondern lediglich jenes, das ein Eigentum 
des Staates, der Provinz oder Gemeinde bildet: 
so kann „Kirchengut“ eben nur jenes Vermögen 
bezeichnen, das der Kirche angehört und ihr Eigen- 
tum bildet. Die Kirche ist aber eben die uni- 
verselle, die Gesamtkirche. 
b) Wie bemerkt wurde, kommt der Kirche als 
Gesamtheit der Charakter einer juristischen Person 
zu, welche, wie andere, ihrem Gegenstande nach 
geistliche Rechte, so das Recht, zeitliche Güter zu 
erwerben und zu besitzen, überall ausüben kann. 
Was ist demnach mehr sachgemäß und natürlich, 
als daß sie in den einzelnen Ländern, in denen 
sich ihre Gläubigen finden, zu deren Gunsten von 
diesem Recht Gebrauch macht und in Abhängig- 
keit von ihr einzelne Institute als die unmittel- 
baren Rechtsträger des partikularen Gutes ins 
Leben ruft? 
c) Das größte Gewicht für die Entscheidung 
der in Rede stehenden Frage kommt ohne Zweifel 
den kompetenten kirchlichen Autoritäten selbst zu. 
Nun lassen sich aber vorzüglich aus der neueren 
Zeit, in welcher unsere Frage ja erst brennend 
wurde, eine große Menge von Zeugnissen zu 
Gunsten der Ansicht von der Kirche schlechthin als 
Eigentümerin des gesamten Kirchengutes anführen, 
die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. 
Ee sei hier verwiesen auf die „Denkschrift der im 
Jahre 1848 zu Würzburg versammelten Erz- 
bischöfe und Bischöfe Deutschlands“ (Coll. Lac. 
V1137); „Denkschrift der vereinigten Erzbischöfe 
und Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz 
Kirchenpolitik, preußische. 
180 
vom Jahre 1851“ (OColl. Lac. V 1214); „Mit- 
teilung der im Jahre 1849 zu Wien versam- 
melten Erzbischöfe und Bischöfe Osterreichs an 
das k. k. Ministerium des Innern“ (Coll. Lac. 
V 1354); Acta et decreta conc. plenariü 
Baltimorensis III, ann. 1884, n. 264. 
Do die Kirche nicht aus den Vorgesetzten allein 
und nicht aus den Untergebenen allein, sondern 
aus Vorgesetzten und Untergebenen besteht, so ist es 
nicht genau, wenn man sagt, die Gesamtheit der 
Bischöfe mit dem Papste oder gar der Aposto- 
lische Stuhl sei der mittelbare und oberste Rechts- 
träger des gesamten Kirchengutes. Doch kommt 
den Vorstehern der Kirche, wie die höchste Juris- 
diktion in geistlichen Dingen, so auch das oberste 
Verwaltungs= und Verfügungsrecht über das 
Kirchenvermögen zu. 
Literatur. Mamachi, Del diritto libero della 
chiesa di acquistare e di possedere beni tempo- 
rali (1769); Braun, Das kirchliche Vermögen von 
der ältesten Zeit bis auf Justinian 1. (1860); 
Wernz, Lus decretalium III 154 ff; die Lehrbücher 
von Aichner, Phillips, Walter, Vering, Schulte 
(System des Kirchenrechts; Lehrbuch des Kirchen- 
rechts; kleinere Schriften), Laemmer, Silbernagl, 
Hergenröther, Sägmüller usw. 
(Biederlack S. J.) 
Kirchenpolitik, preußische. 1. Gegen- 
ühber der Katholischen Kirche. In keinem 
Staate ist der traditionelle Charakter der Kirchen- 
politik so klar erkennbar und so sicher nachweisbar 
wie in Preußen. Und zwar sind die UÜberliefe- 
rungen der preußischen Kirchenpolitik ausgeprägt 
staatskirchliche. Die Kurfürsten von Brandenburg 
vollzogen verhältnismäßig spät ihren Anschluß an 
die „Reformation“. Als Joachim II. im Jahre 
1539 derselben sich zuwandte, waren bereits die 
fränkische und die preußische Linie der Dynastie 
sowie Schlesien, Magdeburg, Braunschweig, An- 
halt, Pommern, der eine Herzog von Mecklenburg 
und die Mehrzahl der welfischen Fürsten prote- 
stantisch geworden. Politische Gesichtspunkte 
kamen bei dem Glaubenswechsel wesentlich in Be- 
tracht. „Nur unter schweren Kämpfen“, sagt 
Lehmann in den Publikationen aus den königlich 
preußischen Staatsarchiven, „hätte sich Branden- 
burg inmitten einer andersgläubigen Welt be- 
haupten können.“ Für die Machtstellung der 
brandenburgisch = preußischen Regenten war die 
Sakularisation der Bistümer Brandenburg, 
Havelberg, Lebus, der reichsunmittelbaren Bis- 
tümer Magdeburg und Halberstadt sowie des 
Deutschordenslandes Preußen von der größten 
Bedeutung. 
In zahlreichen Kundgebungen der Kurfürsten 
wie der ersten Könige tritt die Abneigung gegen 
den Katholizismus scharf hervor. Johann 
Sigismund rühmt sich in seinem Glaubens- 
bekenntnisse, im „geliebten Vaterlande Kur= und 
Mark Brandenburg abgetan zu haben, was noch 
etwa von papistischer Superstition in Kirchen und 
Schulen übrig verblieben“. Kurfürst Friedrich 
 
	        
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