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Polizeivergehen usw.
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entscheidung einer besondern Behörde gebunden sharmlos und sittlich untadelig, auch rechtlich gleich-
ist, mit der Maßgabe, 1) daß die Vorentscheidung gültig ist. Ebenso gebietet sie manches, was vom
auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Beamte Standpunkt des natürlichen Sittengesetzes aus
sich einer Uberschreitung seiner Amtsbefugnisse oder direkt nicht verlangt werden kann. Nach der heute
der Unterlassung einer ihm obliegenden Amts- herrschenden Staatsauffassung kann nämlich der
handlung schuldig gemacht habe; 2) daß in den
Bundesstaaten, in welchen ein oberster Verwal-
tungsgerichtshofbesteht, die Vorentscheidung diesem,
in den andern Bundesstaaten dem Reichsgericht
zusteht. — Über die Haftung der Beamten bei
Verletzung der Amtspflicht vgl. d. Art. Haftpflicht
(Bd II. Sv. 987 ff).
Literatur. Mohl, Die P wissenschaft nach den
Grundsätzen des Rechtsstaats (3 Bde, 71866, neue
Aufl. 1890; daselbst auch die ältere Literatur 1);
Förstemann, Prinzipien des preuß. P. rechts (1869).
v. Stengel, Wörterbuch des deutschen Verwaltungs-
rechts (1890, Erg.-Bd II 1893, III 1898); Ma-
scher, Die preußisch-deutsche P. (51885); Prucha,
Die österreich. P. praxis (1877); Ulbrich, Lehrbuch
der österreich. polit. Verwaltung (1887); P. Leh-
mann, P.-Handlexikon (1896); Ackermann, P. u.
P.moral nach den Grundsätzen des Rechtsstaats
(1896); Kampfmeyer, Geschichte der modernen P.
(1897); Mischler u. Ulbrich, Österreich. Staats-
wörterbuch (21905/09); Genzmer, Die P., Pver-
waltung, Strafpolizei, Sicherheitspolizei, Ord-
nungspolizei (1905); Arnstedt, Preuß. Perecht
(1905); v. Hippel, Handbuch der P.verwaltung
(1905); Wiedenfeld, Handbuch für preuß. P.= u.
Verwaltungsbeamte (1906). Außerdem enthalten
die Schriften über Staatsrecht sämtlich mehr oder
minder eingehende Ausführungen über die Polizei.
[A. Fritzen.]
Polizeivergehen, Polizeistrafen und
Polizeistrafverfahren. Die neuere Doktrin
und Praxis des Strafrechts teilt die strafbaren
Handlungen ein in Verbrechen, Vergehen und Über-
tretungen. Die letzteren fallen zusammen mit den
Polizeivergehen im weiteren Sinn. Während
Verbrechen und Vergehen untereinander nur durch
die verschiedene Schwere der Rechtsverletzung sich
unterscheiden, sind die Ubertretungen von beiden
auch begrifflich zu trennen. Verbrechen und Ver-
gehen sind mit Strafe bedroht wegen der Be-
schaffenheit der Handlung an und für sich, wegen
ihrer inneren sittlichen Verwerflichkeit, als Ver-
stöße gegen die Rechtsordnung, welche im letzten
Grund auf dem natürlichen Sittengesetz beruht.
Übertretungen sind mit Strafe bedroht, weil sie im
Interesse der materiellen öffentlichen Ordnung aus
irgend welchen Gründen der allgemeinen Sicher-
heit, Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit oder Nütz-
lichkeit von seiten einer zuständigen Behörde ver-
boten worden sind. Dieses Verbot ist enthalten
teils in Straf= und andern Gesetzen, teils ist es
den Polizeibehörden überlassen auf Grund einer
allgemeinen gesetzlichen Vollmacht. Die Verstöße
gegen letztere Verbote sind die Polizeivergehen im
engeren Sinn. Die Polizei verbietet auf Grund
ihrer beiden Aufgaben als Sicherheits= und Wohl-
fahrtseinrichtung aus Rücksichten der Zweckmäßig-
keit und Nützlichkeit vieles, was an und für sich
einzelne vom Staat nicht nur Schutz seiner persön-
lichen Rechte verlangen, sondern auch Sicherung
der gesamten Lebenssphäre, in der er sich bewegt.
Dazu gehört, daß niemand durch sein Tun oder
Lassen im allgemeinen die öffentliche Sicherheit
gefährdet, den öffentlichen Anstand verletzt, Ruhe
und Ordnung stört, die Sinne belästigt, Gesund-
heit und Vermögen bedroht, den Verkehr hindert
sowie Handel und Wandel erschwert. Die hierzu
nötigen Anordnungen zu treffen, ist, soweit es
nicht in Gesetzen geschehen kann oder geschehen ist,
Aufgabe der Polizei. Die Gesamtheit dieser An-
ordnungen, weil lediglich auf Gründen der Zweck-
mäßigkeit und Nützlichkeit beruhend, hat darum
nicht den Charakter einer eigentlichen Rechtsord-
nung. Sie ist eine Ordnung niederer Art, eine
Polizeiordnung. Das positive Verbot ist bei ihrer
Verletzung der Grund der Strafbarkeit, während
bei Verbrechen und Vergehen dieser Grund in dem
natürlichen Sittengesetz und der auf ihm beruhen-
den Rechtsordnung liegt. Die Polizeivergehen sind
nicht verboten, weil sie immer und unter allen
Umständen in sich verwerflich sind, sondern weil
sie unter gewissen Umständen für einzelne andere
oder für die Gesamtheit schädigend oder belästigend
werden können. Wenn auch ein Teil der neueren
Strafrechtswissenschaft den grundsätzlichen Unter-
schied zwischen kriminellen Straftaten und Polizei-
vergehen leugnen will, und wenn auch das Reichs-
strafgesetzbuch diesen Unterschied nicht grundsätzlich
zum Ausdruck bringt, so ist diese Unterscheidung
doch nicht zu entbehren. Nur wenn man über
der staatlichen Befugnis zu gebieten und zu ver-
bieten ein ewig gültiges natürliches Sittengesetz
nicht mehr anerkennt, verschwindet der begriffliche
Unterschied. Entsprechend dieser Unterscheidung
erscheinen die Strafen der Übertretungen nicht so
sehr als Vergeltung und Sühne für ein begangenes
Unrecht mit den Nebenzwecken der Besserung und
Abschreckung. Der Charakter als Akt der aus-
gleichenden Gerechtigkeit verschwindet zwar nicht
vollständig, da Gesetz und Polizei ein Recht haben,
die öffentliche Ordnung auch über den Bereich des
natürlichen Sittengesetzes hinaus zu wahren; aber
er tritt doch soweit zurück, daß der Charakter als
Ordnungsstrafe, als Zwangsmaßregel zur Siche-
rung der öffentlichen Ordnung vorwiegend wird
und die Abschreckung als Hauptzweck erscheint.
Dieser Umstand rechtfertigt die Wahl einer andern
Strafart, und zwar einer möglichst milden und
nicht entehrenden: statt Zuchthaus und Gefängnis
bei Verbrechen und Vergehen ist die einfache Frei-
heitsentziehung, nämlich Haft, und neben ihr
Geldstrafe als ausreichend zu erachten.
Die Grenze zwischen allgemein und polizeilich
strafbaren Handlungen ist in der Praxis nicht