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Bei der Schwäche der Reichsgewalt bemächtigte
sich bald die erstarkende Territorialgewalt auch
dieses Zweigs der Gesetzgebung und führte ihre
Zensuredikte mit größerem Nachdruck durch. In
Preußen erging nach früheren wechselnden Be-
stimmungen das erste allgemeine Zensuredikt am
11. Mai 1749 durch Friedrich d. Gr., der seinen
früheren Grundsatz: „Gazetten, wenn sie inter-
essant sein sollen, müssen nicht geniert werden“,
nicht lange durchgeführt hatte. Das genannte
Edikt blieb in Kraft bis zu des Königs Tod,
wurde aber nicht immer aufs strengste ausgeführt.
Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., ver-
schärfte die betreffenden Vorschriften 1788, „weil
die Preßfreiheit in Berlin in Preßfrechheit aus-
geartet“ sei. Friedrich Wilhelm III. ließ der
Presse wieder mehr Freiheit. Eine Kabinettsorder
von 1804 begründet diese Nachsicht sehr treffend:
„Eine anständige Publizität ist der Regierung
und den Untertanen die sicherste Bürgschaft gegen
die Nachlässigkeit und den bösen Willen der unter-
geordneten Offizianten und verdient auf alle Fälle
gefördert und beschützt zu werden.“ Dasselbe
System der Zensur galt, wenn auch im einzelnen
mit Abweichungen, in OÖsterreich, Bayern und den
andern deutschen Staaten. Zeitweilige Erleich-
terungen, wie in Osterreich unter Joseph II., ab-
gerechnet, wurden die überaus zahlreichen Zensur-
edikte fleißig angewandt. Nur wenige Staaten
gestatteten größere Freiheit und wurden dadurch
Zufluchtsstätten für Schriftsteller, die anderwärts
keine Unterkunft fanden.
Eine andere Zeit für die Presse begann mit der
französischen Revolution. Der Umschwung der
Ideen verlangte mit steigendem Nachdruck eine
größere Freiheit der Meinungsäußerung in Wort
und Schrift. Nach Deutschland kam die Preß-
freiheit von Frankreich her, das sie seinerseits von
England und Amerika erhalten hatte. In Eng-
land war seit langem die Freiheit der Presse
durch Gewohnheitsrecht, ohne gesetzliche oder ver-
fassungsmäßige Gewährleistung, in Geltung. Auch
nach seiner Einführung in England war der Buch-
druck der Aufsicht der Krone unterworfen gewesen.
Die Krone übte diese Aufsicht sowohl durch Ver-
bote wie durch Privilegien und Lizenzen einzelner
Bücher. Eine Zeit scharfer Unterdrückung der
Presse folgte unter der absolutistischen Herrschaft
der Stuarts, welche die Sternkammer (star
chamber) als Gerichtshof für politische Ver-
brechen und zur Überwachung der Presse einsetzten.
Diese bestimmte die Zahl der Buchdrucker, und
wie viele Druckpressen jeder von ihnen beschäftigen
durfte. Sie verbot, irgend ein Buch zu veröffent-
lichen, das nicht vorher von besondern licensers
gutgeheißen war. Als das Lange Parlament 1641
der Sternkammer ein Ende machte, nahm es deren
Befugnisse in betreff der Presse für sich selbst in
Anspruch. Die Preßordonnanzen des Parlaments
von 1643, 1647, 1649 und 1652 beruhten auf
dem Dekret der Sternkammer von 1637. Nach-
Presse usw.
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dem die Republik 1660 durch die Restauration
der Stuarts beseitigt war, behielt Karl II. durch
Statut von 1662 die Zensurgesetzgebung derselben
bei. Dieses Statut verlor seine Gültigkeit 1679,
wurde aber von Jakob II. wieder eingeführt bis
1692. Dem König Wilhelm III. gelang es dann
nur noch, die Verlängerung dieses Gesetzes für
zwei Jahre zu erreichen. Im Jahr 1694 ver-
weigerte das Parlament die Erneuerung der er-
loschenen Zensurvollmacht, und damit hatte die
Zensur von selbst ein Ende. Seitdem genießt
England einer sehr weitgehenden Freiheit der
Presse aller Art. Gegen alle späteren Versuche,
die Zensur wieder einzuführen, blieb das Parla-
ment fest. Eine gesetzliche Festsetzung der Freiheit
der Presse ist niemals für notwendig erachtet
worden; ein Preßgesetz besteht nicht. Nur die
Libellgesetzgebung gegen verleumderische, belei-
digende, Argernis gebende usw. Schriften be-
schränkt die Presse.
Von England aus hatten die nach Nord-
amerika auswandernden Kolonisten die Preß-
freiheit mit in die neue Heimat genommen. Hier
fand sie die erste gesetzliche Anerkennung. Die
ältesten Verfassungen der Vereinigten Staaten
von Amerika (1776 und 1787) enthalten noch
keine Bestimmung über die Presse. Erst ein Zu-
satzartikel zu der Verfassung von 1787 traf die
Bestimmung: „Der Kongreß soll kein Gesetz er-
lassen, welches die Freiheit der Rede oder der
Presse verkürzt.“ Seitdem erfreut sich auch die
Union einer dauernden und sehr weit gehenden
Preßfreiheit. In England und Nordamerika hat
auf Grund dieser freiheitlichen Entwicklung die
Presse eine Bedeutung erlangt, wie sie auf dem
europäischen Kontinent unerreicht ist und noch
immer als Muster dient. Jeglicher Fessel bar,
untersteht sie nur den allgemeinen Strafgesetzen.
Preßprozesse sind selten und nehmen bei der weit-
herzigen Urteilssprechung häufig einen den Zei-
tungen günstigen Verlauf. Freilich wird auch in
England und noch mehr in Amerika diese Frei-
heit häufig in empörender Weise mißbraucht.
Doch ist in England das Publikum gegen private
Beleidigungen und Verleumdungen durch die Presse
wirksam geschützt durch die sehr hohen Strafen,
welche die englischen Gerichte bei solchen Aus-
schreitungen zu verhängen pflegen.
Von England und Amerika aus drang der Ge-
danke der Preßfreiheit nach Frankreich. Vor
der Revolution bestand in Frankreich wie in allen
Ländern des Kontinents die staatliche Zensur und
wurde mit Strenge gehandhabt. Eine ebenso
rasche wie vollständige Umwandlung, freilich nur
in der Theorie, brachte das Jahr 1789. In der
Erklärung der Menschenrechte, wie sie am 27. Aug.
von der Nationalversammlung in Versailles an-
genommen und an die Spitze der Verfassung ge-
stellt wurde, hieß es: „11. Die freie Mitteilung
der Gedanken und Ansichten ist eines der kost-
barsten Rechte der Menschen. Jeder Staatsbürger