289
darf demnach frei sprechen, schreiben und drücken.
Nur muß er sich in den vom Gesetz vorgesehenen
Fällen über den Mißbrauch dieser Freiheit ver-
antworten.“ In der Konstitution selbst hieß es:
„Die Verfassung garantiert folgende natürlichen
und bürgerlichen Rechte: . einem jeden Men-
schen die Freiheit, zu reden, zu schreiben, zu drucken
und seine Gedanken bekannt zu machen, ohne daß
die Schriften vor ihrer Bekanntmachung irgend
einer Aussicht oder Zensur unterworfen werden
können.“ Zunächst blieben jedoch diese Bestim-
mungen leere Worte. Weder die republikanischen
Gewalthaber noch Napoleon als Erster Konsul
und Kaiser gestatteten der Presse freie Bewegung.
Unter dem ersten Kaiserreich ward die Presse in
drückenderer Unterwürfigkeit gehalten als je. Die
Restauration der Bourbonen brachte im Art. 8
der Charte von 1814 der Presse wenn nicht Frei-
heit, so doch ein ungleich würdigeres Dasein als
vorher: „Die Franzosen haben das Recht, ihre
Meinungen zu veröffentlichen und drucken zu
lassen unter Beobachtung der Gesetze, welche dem
Mißbrauch dieser Freiheit steuern sollen.“ Wäh-
rend der Hundert Tage fand der zurückgekehrte
Napoleon noch Zeit, diese Freiheit wieder zu be-
schränken durch den Art. 64 seiner Zusatzakte von
1815: „Jeder Bürger hat das Recht, seine Ge-
danken zu drucken und zu veröffentlichen, wenn er
sie unterzeichnet, ohne vorherige Zensur, jedoch
vorbehaltlich der gesetzlichen Verantwortlichkeit für
die geschehene Veröffentlichung vor dem Schwur-
gericht.“ Den wieder eingesetzten Bourbonen wurde
die Preßfreiheit bald unbequem, und sie suchten
sie durch „Gesetze, welche dem Mißbrauch der-
selben steuern sollten", einzuschränken, jedoch ohne
daß das Volk solche Maßregeln von den Bour-
bonen ebenso schweigend hingenommen hätte wie
von Napoleon. Die Preßordonnanz, welche Karl X.
am 25. Juli 1830 unterzeichnete, um die Preß-
freiheit gänzlich aufzuheben, hat wesentlich die
Julirevolution mit entzündet, welche zur end-
gültigen Vertreibung der Bourbonen führte. Die
Charte von 1830 stellte die Preßfreiheit her und
bestimmte: „Die Zensur ist abgeschafft und darf
nie wieder eingeführt werden.“ Wieder versuchte
es Louis Philipp mit besondern Gesetzen. Die
Septembergesetze unterwarfen die Presse vielen
Beschränkungen, erhöhten die Kautionen für Zei-
tungen auf 100 000 Franken und verschärften die
Strafen für Preßvergehen. Die Februarrevo-
lution von 1848 brachte in der republikanischen
Verfassung eine andere Formulierung der Preß-
freiheit: „Die Staatsbürger haben das Recht,
ihre Gedanken durch das Mittel der Presse oder
auf sonstige Art zu offenbaren. Die Ausübung
dieses Rechts hat keine andern Grenzen als die
Rechte und die Freiheit Dritter und die öffentliche
Sicherheit.“ Die Verfassung des dritten Napoleon
vom 14. Jan. 1852 trifft gar keine Bestimmungen
über die Presse, desto mehr taten dies die folgen-
den Napoleonischen Gesetze, welche zwar nicht
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Presse usw.
290
gerade die Zensur, aber beinahe ebenso lästige
Einschränkungen einführten. Im ganzen war die
Summe der unter Napoleon III. geltenden preß-
gesetzlichen Verordnungen so groß, ihre Bestim-
mungen waren so widersprechend, die Ansichten
über das, was noch galt und was nicht mehr, so
verworren, daß die französische Preßgesetzgebung
als ein abschreckendes Beispiel für alle Zeiten gelten
kann. Die Verfassung der dritten Republik hat hier-
in Wandel geschaffen. Nur in Elsaß-Lothringen
ist der ganze Zopf noch konserviert.
In Deutschland hatten die Ideen der fran-
zösischen Revolution einstweilen nur vorübergehende
Wirkung. Die Napoleonischen Kriege machten es
nicht mehr als natürlich, daß die deutschen Re-
gierungen aus Furcht vor den Gewalttätigkeiten
des Korsen ihre Presse sorgfältig beaufsichtigten.
Größere Freiheit hoffte man nach den Freiheits-
kriegen, vor allem die Aufhebung der Zensur für
ganz Deutschland. In der Bundesakte vom 8. Juni
1815 fand die Preßfreiheit nur Aufnahme als eine
noch dazu sehr zweideutige Anweisung auf die Zu-
kunft (Art. 18): „Die Bundesversammlung wird
sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung
gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit
und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller
und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“
Daß diese Verheißung einstweilen keinerlei tat-
sächlichen Wert hatte, erfuhr sehr bald der tapfere
Mitstreiter für Deutschlands Befreiung, der „Rhei-
nische Merkur“ des edeln Görres, den Napoleon
als die „fünfte Großmacht gegen sich“ hatte be-
zeichnen müssen. Seine offene, begeisterte Sprache,
die man in der Zeit der Not dankbar vernommen
hatte, vor allem sein Eintreten für die Rechte des
Volks und größere politische Freiheit erschien nicht
mehr erträglich. Durch eine Kabinettsorder vom
3. Jan. 1816 wurde er unterdrückt, weil er „ganz
gesetzwidrig und ohnerachtet der ergangenen War-
nungen sich nicht entsehen, die Unzufriedenheit und
Zwietracht der Völker erregende und nährende
Aufsätze zu liefern und zu verbreiten und durch
zügellosen Tadel und offenbare Aufforderungen
die Gemüter zu beunruhigen“. Auf dem Karls-
bader Ministerkongreß konnte Fürst Metternich
mit Erfolg die Ansicht vertreten, daß „unter gleich-
förmigen Verfügungen über die Preßfreiheit, wie
im Art. 18 der Bundesakte verlangt worden, solche
zu verstehen sind, wodurch jedem Bundesstaat
möglichst gleicher Schutz gegen die aus dem Miß-
brauch der Presse in irgend einem andern Bundes-
staat ihn bedrohenden Verletzungen seiner Rechte,
seiner Würde oder seines innern Friedens gesichert
wird. Eigentlich sollten diese Zusicherungen
nach den Regeln einer gesunden und aufgeklärten
Politik auf nichts anderes bezogen werden als auf
eine wohlgeordnete, liberale, in sämtlichen Bundes-
staaten möglichst gleichförmig verwaltete Zenfur“.
Diese mit großem Aufwand von Sophistik vor-
getragene, übrigens den Wünschen vieler Regie-
rungen entsprechende Ansicht drang durch und
10