Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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darf demnach frei sprechen, schreiben und drücken. 
Nur muß er sich in den vom Gesetz vorgesehenen 
Fällen über den Mißbrauch dieser Freiheit ver- 
antworten.“ In der Konstitution selbst hieß es: 
„Die Verfassung garantiert folgende natürlichen 
und bürgerlichen Rechte: . einem jeden Men- 
schen die Freiheit, zu reden, zu schreiben, zu drucken 
und seine Gedanken bekannt zu machen, ohne daß 
die Schriften vor ihrer Bekanntmachung irgend 
einer Aussicht oder Zensur unterworfen werden 
können.“ Zunächst blieben jedoch diese Bestim- 
mungen leere Worte. Weder die republikanischen 
Gewalthaber noch Napoleon als Erster Konsul 
und Kaiser gestatteten der Presse freie Bewegung. 
Unter dem ersten Kaiserreich ward die Presse in 
drückenderer Unterwürfigkeit gehalten als je. Die 
Restauration der Bourbonen brachte im Art. 8 
der Charte von 1814 der Presse wenn nicht Frei- 
heit, so doch ein ungleich würdigeres Dasein als 
vorher: „Die Franzosen haben das Recht, ihre 
Meinungen zu veröffentlichen und drucken zu 
lassen unter Beobachtung der Gesetze, welche dem 
Mißbrauch dieser Freiheit steuern sollen.“ Wäh- 
rend der Hundert Tage fand der zurückgekehrte 
Napoleon noch Zeit, diese Freiheit wieder zu be- 
schränken durch den Art. 64 seiner Zusatzakte von 
1815: „Jeder Bürger hat das Recht, seine Ge- 
danken zu drucken und zu veröffentlichen, wenn er 
sie unterzeichnet, ohne vorherige Zensur, jedoch 
vorbehaltlich der gesetzlichen Verantwortlichkeit für 
die geschehene Veröffentlichung vor dem Schwur- 
gericht.“ Den wieder eingesetzten Bourbonen wurde 
die Preßfreiheit bald unbequem, und sie suchten 
sie durch „Gesetze, welche dem Mißbrauch der- 
selben steuern sollten", einzuschränken, jedoch ohne 
daß das Volk solche Maßregeln von den Bour- 
bonen ebenso schweigend hingenommen hätte wie 
von Napoleon. Die Preßordonnanz, welche Karl X. 
am 25. Juli 1830 unterzeichnete, um die Preß- 
freiheit gänzlich aufzuheben, hat wesentlich die 
Julirevolution mit entzündet, welche zur end- 
gültigen Vertreibung der Bourbonen führte. Die 
Charte von 1830 stellte die Preßfreiheit her und 
bestimmte: „Die Zensur ist abgeschafft und darf 
nie wieder eingeführt werden.“ Wieder versuchte 
es Louis Philipp mit besondern Gesetzen. Die 
Septembergesetze unterwarfen die Presse vielen 
Beschränkungen, erhöhten die Kautionen für Zei- 
tungen auf 100 000 Franken und verschärften die 
Strafen für Preßvergehen. Die Februarrevo- 
lution von 1848 brachte in der republikanischen 
Verfassung eine andere Formulierung der Preß- 
freiheit: „Die Staatsbürger haben das Recht, 
ihre Gedanken durch das Mittel der Presse oder 
auf sonstige Art zu offenbaren. Die Ausübung 
dieses Rechts hat keine andern Grenzen als die 
Rechte und die Freiheit Dritter und die öffentliche 
Sicherheit.“ Die Verfassung des dritten Napoleon 
vom 14. Jan. 1852 trifft gar keine Bestimmungen 
über die Presse, desto mehr taten dies die folgen- 
den Napoleonischen Gesetze, welche zwar nicht 
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl. 
Presse usw. 
  
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gerade die Zensur, aber beinahe ebenso lästige 
Einschränkungen einführten. Im ganzen war die 
Summe der unter Napoleon III. geltenden preß- 
gesetzlichen Verordnungen so groß, ihre Bestim- 
mungen waren so widersprechend, die Ansichten 
über das, was noch galt und was nicht mehr, so 
verworren, daß die französische Preßgesetzgebung 
als ein abschreckendes Beispiel für alle Zeiten gelten 
kann. Die Verfassung der dritten Republik hat hier- 
in Wandel geschaffen. Nur in Elsaß-Lothringen 
ist der ganze Zopf noch konserviert. 
In Deutschland hatten die Ideen der fran- 
zösischen Revolution einstweilen nur vorübergehende 
Wirkung. Die Napoleonischen Kriege machten es 
nicht mehr als natürlich, daß die deutschen Re- 
gierungen aus Furcht vor den Gewalttätigkeiten 
des Korsen ihre Presse sorgfältig beaufsichtigten. 
Größere Freiheit hoffte man nach den Freiheits- 
kriegen, vor allem die Aufhebung der Zensur für 
ganz Deutschland. In der Bundesakte vom 8. Juni 
1815 fand die Preßfreiheit nur Aufnahme als eine 
noch dazu sehr zweideutige Anweisung auf die Zu- 
kunft (Art. 18): „Die Bundesversammlung wird 
sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung 
gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit 
und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller 
und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“ 
Daß diese Verheißung einstweilen keinerlei tat- 
sächlichen Wert hatte, erfuhr sehr bald der tapfere 
Mitstreiter für Deutschlands Befreiung, der „Rhei- 
nische Merkur“ des edeln Görres, den Napoleon 
als die „fünfte Großmacht gegen sich“ hatte be- 
zeichnen müssen. Seine offene, begeisterte Sprache, 
die man in der Zeit der Not dankbar vernommen 
hatte, vor allem sein Eintreten für die Rechte des 
Volks und größere politische Freiheit erschien nicht 
mehr erträglich. Durch eine Kabinettsorder vom 
3. Jan. 1816 wurde er unterdrückt, weil er „ganz 
gesetzwidrig und ohnerachtet der ergangenen War- 
nungen sich nicht entsehen, die Unzufriedenheit und 
Zwietracht der Völker erregende und nährende 
Aufsätze zu liefern und zu verbreiten und durch 
zügellosen Tadel und offenbare Aufforderungen 
die Gemüter zu beunruhigen“. Auf dem Karls- 
bader Ministerkongreß konnte Fürst Metternich 
mit Erfolg die Ansicht vertreten, daß „unter gleich- 
förmigen Verfügungen über die Preßfreiheit, wie 
im Art. 18 der Bundesakte verlangt worden, solche 
zu verstehen sind, wodurch jedem Bundesstaat 
möglichst gleicher Schutz gegen die aus dem Miß- 
brauch der Presse in irgend einem andern Bundes- 
staat ihn bedrohenden Verletzungen seiner Rechte, 
seiner Würde oder seines innern Friedens gesichert 
wird. Eigentlich sollten diese Zusicherungen 
nach den Regeln einer gesunden und aufgeklärten 
Politik auf nichts anderes bezogen werden als auf 
eine wohlgeordnete, liberale, in sämtlichen Bundes- 
staaten möglichst gleichförmig verwaltete Zenfur“. 
Diese mit großem Aufwand von Sophistik vor- 
getragene, übrigens den Wünschen vieler Regie- 
rungen entsprechende Ansicht drang durch und 
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