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verfügt werden; es muß der Anlaß von Belang,
gehörig festgestellt und vorher Genugtuung ge-
fordert worden sein. Niemals darf die Konfis-
kation eine selbstverständliche Folge des Embargo
sein, da dasselbe nur eine vorläufige Maßregel
ist, welche der Bestätigung bedarf. Werden Schiff
oder Ladung oder beides mit Beschlag belegt, so
bleibt die Mannschaft frei und kann nicht ge-
zwungen werden, im fremden Land zu verbleiben.
Die Reglung bzw. Auflösung des Dienstverhält-
nisses zwischen Schiffer und Schiffsmannschaft
entzieht sich dem Eingriff der das Embargo ver-
sfügenden Regierung.
Zahlreich waren im 19. Jahrh. die Fälle der
Repressalienübung in Form der sog. Friedens-
blockade. Man wird nicht leugnen können, daß
dieses Mittel sich unter schwierigen Umständen be-
währt hat und daß die Merkantilblockade nicht
mit denselben Nachteilen und Verkehrsstörungen
verbunden ist wie der Seekrieg. Auch ist in den
Bemühungen, dieses Zwangsmittel an feste Re-
geln zu binden, ein Fortschritt unverkennbar. Daß
die Blockade volle Effektivität besitzen muß, steht
außer Zweifel; abgesehen von der allgemeinen
diplomatischen Notifikation der Blockade begegnet
die Forderung, daß auch jedem einzelnen Schiff,
das sich einer blockierten Seezone nähert, spezielle
Mitteilung gemacht werde, keinem Widerspruch.
Nur die Zufuhr von solchen Waren und Artikeln
wird zu verhindern sein, welche den Zweck der
Blockade erschweren oder vereiteln würden. Die
Schiffe der blockierten Macht, die sich der Blockade
nicht fügen, werden angehalten und zur Umkehr
aufgefordert. Im Fall der Weigerung sind die
Befehlshaber der Kriegsschiffe ermächtigt, Gewalt
anzuwenden, in welchem Fall die Schiffe mili-
tärisch besetzt, in ein neutrales Gewässer geführt,
an einem sichern Ort bewacht und zum Ersatz der
hierfür entfallenden Transport= und Bewachungs-
kosten verhalten werden. Kriegs= und Kauffahrtei-
schiffen unter neutraler Flagge soll die Durchfahrt
durch die blockierte Zone nicht verweigert sein, es
bestände denn begründeter Verdacht, daß sie der
blockierten Macht Kriegsbedarf oder Proviant zu-
führen. Es können sich Fälle ergeben, in denen
zwar das Schiff, welches dem Blockaderecht ver-
fiel, der Nationalität des blockierten Staats an-
gehört, die Ladung aber, die es führt, anderer
Herkunft ist.
Für den Schaden, welcher aus der nicht recht-
zeitigen oder ganz unterbliebenen Lieferung ent-
steht, hat der Staat aufzukommen, über welchen
die Blockade verhängt ist, da er es unterlassen hat,
das Schiff am Auslaufen zu hindern. Als 1884
die französische Kammer der Regierung den Auf-
trag gab, die grausame Tötung des Generals
Riviere zu rächen, handelte man vorsichtig, nicht
sofort den Krieg an China zu erklären, sondern,
indem man sich die Möglichkeit von Unterhand-
lungen offen ließ, durch den Blocus des wegen
der Reiseinfuhr wichtigen Golfs von Petschili und
Repressalien.
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die Besetzung von Ke-Lung auf Formosa und der
Fischerinseln die Chinesen mürbe zu machen und
so Unterpfänder betreffs der Unterdrückung der
Flußräuberei und der Christenverfolgungen zu er-
langen, und zwar im Abkommen von Tientsin
vom 9. Juli 1885.— Ahrlich verhielt es sich bei
der von Frankreich über die siamesische Küste ver-
hängten Blockade. Im Jahr 1886 wurde die
Ostküste von Griechenland blockiert, um die Ab-
rüstung daselbst zu erzwingen. Eigenartig war
die Blockierung der Insel Kreta durch die Groß-
mächte 1897. Unter den Beispielen für Über-
griffe des Repressalienrechts wird sehr oft die
Pacifico-Angelegenheit erwähnt, indem England
wegen Zurückweisung eines unverhältnismäßigen
Schadenersatzanspruchs von 300 000 Drachmen
seitens der griechischen Regierung am 19. Jan.
1850 durch den Admiral Parker die Blockade
über die griechische Küste verhängen ließ und alle
griechischen Kriegs= und Handelsschiffe, welche die
englische Flottenabteilung erreichen würde, mit
Wegnahme bedrohte.
Im Krieg verfolgen die Repressalien gleich-
zeitig den Zweck der Abschreckung, der Sühne und
der Sicherung gegen Mißachtung von Hriegs-
brauch und Kriegssitte. Juristisch könnte man sie
als militärisches Notrecht bezeichnen. Um diesem
Maß und Ziel zu setzen, war das Völkerrecht dar-
auf bedacht, auch derartige Gewaltakte an eine
Regel zu binden. Repressalien sollen nur auf Be-
fehl des Hauptquartiers nach vorhergegangener
Androhung ergriffen werden. Eigenmacht des mi-
litärischen Personals ist unbedingt ausgeschlossen,
so u. a. die Verabredung, daß kein Pardon zu
geben, gegen einen bestimmten Truppenkörper des
Gegners nur mit dem Bajonett vorgegangen
werde, keine Kriegsgefangenen gemacht werden
sollen u. dgl. Anlässe zu Repressalien geben die
chweren Verletzungen von Kriegsgesetz, Kriegs-
gebrauch und Kriegsvertrag, d. h. jener Maximen,
welche man für die Kampfaktion als gegenseitig
bindend anzuerkennen im Lauf der Zeit und fort-
schreitenden Gesittung übereingekommen ist.
Dort, wo nach militärischen Mißerfolgen in-
mitten einer verhängnisvollen Kriegslage die na-
tionale Erregung sich der Bevölkerung bemächtigt
und der Volkskrieg im Rücken des Invasors auf-
lebt, wird man zu Exekutionen und Strafmaß-
regeln greifen müssen gegen die Einwohnerschaft,
gegen unwillfährige Organe der Justiz und Ver-
waltung, gegen eine aufreizende Publizistik, der-
art, daß sich dieses Vorgehen unter Umständen
zum drakonischen Erfüllungszwang gegen ein-
zelne Personen, ganze Gemeinden, Bezirke und
Länder wird steigern können. Unter den Akten-
stücken der Kriegsdiplomatie des deutsch-franzö-
sischen Feldzugs 1870/71 befindet sich eine An-
zahl von Proklamationen, Erlassen und Noten,
welche gegenüber dem Eingreifen nicht legitimer
und rangierter Streitkräfte, wie Franktireurs,
Mobilgarden und ausländischer Freikorps, die
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