Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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verfügt werden; es muß der Anlaß von Belang, 
gehörig festgestellt und vorher Genugtuung ge- 
fordert worden sein. Niemals darf die Konfis- 
kation eine selbstverständliche Folge des Embargo 
sein, da dasselbe nur eine vorläufige Maßregel 
ist, welche der Bestätigung bedarf. Werden Schiff 
oder Ladung oder beides mit Beschlag belegt, so 
bleibt die Mannschaft frei und kann nicht ge- 
zwungen werden, im fremden Land zu verbleiben. 
Die Reglung bzw. Auflösung des Dienstverhält- 
nisses zwischen Schiffer und Schiffsmannschaft 
entzieht sich dem Eingriff der das Embargo ver- 
sfügenden Regierung. 
Zahlreich waren im 19. Jahrh. die Fälle der 
Repressalienübung in Form der sog. Friedens- 
blockade. Man wird nicht leugnen können, daß 
dieses Mittel sich unter schwierigen Umständen be- 
währt hat und daß die Merkantilblockade nicht 
mit denselben Nachteilen und Verkehrsstörungen 
verbunden ist wie der Seekrieg. Auch ist in den 
Bemühungen, dieses Zwangsmittel an feste Re- 
geln zu binden, ein Fortschritt unverkennbar. Daß 
die Blockade volle Effektivität besitzen muß, steht 
außer Zweifel; abgesehen von der allgemeinen 
diplomatischen Notifikation der Blockade begegnet 
die Forderung, daß auch jedem einzelnen Schiff, 
das sich einer blockierten Seezone nähert, spezielle 
Mitteilung gemacht werde, keinem Widerspruch. 
Nur die Zufuhr von solchen Waren und Artikeln 
wird zu verhindern sein, welche den Zweck der 
Blockade erschweren oder vereiteln würden. Die 
Schiffe der blockierten Macht, die sich der Blockade 
nicht fügen, werden angehalten und zur Umkehr 
aufgefordert. Im Fall der Weigerung sind die 
Befehlshaber der Kriegsschiffe ermächtigt, Gewalt 
anzuwenden, in welchem Fall die Schiffe mili- 
tärisch besetzt, in ein neutrales Gewässer geführt, 
an einem sichern Ort bewacht und zum Ersatz der 
hierfür entfallenden Transport= und Bewachungs- 
kosten verhalten werden. Kriegs= und Kauffahrtei- 
schiffen unter neutraler Flagge soll die Durchfahrt 
durch die blockierte Zone nicht verweigert sein, es 
bestände denn begründeter Verdacht, daß sie der 
blockierten Macht Kriegsbedarf oder Proviant zu- 
führen. Es können sich Fälle ergeben, in denen 
zwar das Schiff, welches dem Blockaderecht ver- 
fiel, der Nationalität des blockierten Staats an- 
gehört, die Ladung aber, die es führt, anderer 
Herkunft ist. 
Für den Schaden, welcher aus der nicht recht- 
zeitigen oder ganz unterbliebenen Lieferung ent- 
steht, hat der Staat aufzukommen, über welchen 
die Blockade verhängt ist, da er es unterlassen hat, 
das Schiff am Auslaufen zu hindern. Als 1884 
die französische Kammer der Regierung den Auf- 
trag gab, die grausame Tötung des Generals 
Riviere zu rächen, handelte man vorsichtig, nicht 
sofort den Krieg an China zu erklären, sondern, 
indem man sich die Möglichkeit von Unterhand- 
lungen offen ließ, durch den Blocus des wegen 
der Reiseinfuhr wichtigen Golfs von Petschili und 
Repressalien. 
  
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die Besetzung von Ke-Lung auf Formosa und der 
Fischerinseln die Chinesen mürbe zu machen und 
so Unterpfänder betreffs der Unterdrückung der 
Flußräuberei und der Christenverfolgungen zu er- 
langen, und zwar im Abkommen von Tientsin 
vom 9. Juli 1885.— Ahrlich verhielt es sich bei 
der von Frankreich über die siamesische Küste ver- 
hängten Blockade. Im Jahr 1886 wurde die 
Ostküste von Griechenland blockiert, um die Ab- 
rüstung daselbst zu erzwingen. Eigenartig war 
die Blockierung der Insel Kreta durch die Groß- 
mächte 1897. Unter den Beispielen für Über- 
griffe des Repressalienrechts wird sehr oft die 
Pacifico-Angelegenheit erwähnt, indem England 
wegen Zurückweisung eines unverhältnismäßigen 
Schadenersatzanspruchs von 300 000 Drachmen 
seitens der griechischen Regierung am 19. Jan. 
1850 durch den Admiral Parker die Blockade 
über die griechische Küste verhängen ließ und alle 
griechischen Kriegs= und Handelsschiffe, welche die 
englische Flottenabteilung erreichen würde, mit 
Wegnahme bedrohte. 
Im Krieg verfolgen die Repressalien gleich- 
zeitig den Zweck der Abschreckung, der Sühne und 
der Sicherung gegen Mißachtung von Hriegs- 
brauch und Kriegssitte. Juristisch könnte man sie 
als militärisches Notrecht bezeichnen. Um diesem 
Maß und Ziel zu setzen, war das Völkerrecht dar- 
auf bedacht, auch derartige Gewaltakte an eine 
Regel zu binden. Repressalien sollen nur auf Be- 
fehl des Hauptquartiers nach vorhergegangener 
Androhung ergriffen werden. Eigenmacht des mi- 
litärischen Personals ist unbedingt ausgeschlossen, 
so u. a. die Verabredung, daß kein Pardon zu 
geben, gegen einen bestimmten Truppenkörper des 
Gegners nur mit dem Bajonett vorgegangen 
werde, keine Kriegsgefangenen gemacht werden 
sollen u. dgl. Anlässe zu Repressalien geben die 
chweren Verletzungen von Kriegsgesetz, Kriegs- 
gebrauch und Kriegsvertrag, d. h. jener Maximen, 
welche man für die Kampfaktion als gegenseitig 
bindend anzuerkennen im Lauf der Zeit und fort- 
schreitenden Gesittung übereingekommen ist. 
Dort, wo nach militärischen Mißerfolgen in- 
mitten einer verhängnisvollen Kriegslage die na- 
tionale Erregung sich der Bevölkerung bemächtigt 
und der Volkskrieg im Rücken des Invasors auf- 
lebt, wird man zu Exekutionen und Strafmaß- 
regeln greifen müssen gegen die Einwohnerschaft, 
gegen unwillfährige Organe der Justiz und Ver- 
waltung, gegen eine aufreizende Publizistik, der- 
art, daß sich dieses Vorgehen unter Umständen 
zum drakonischen Erfüllungszwang gegen ein- 
zelne Personen, ganze Gemeinden, Bezirke und 
Länder wird steigern können. Unter den Akten- 
stücken der Kriegsdiplomatie des deutsch-franzö- 
sischen Feldzugs 1870/71 befindet sich eine An- 
zahl von Proklamationen, Erlassen und Noten, 
welche gegenüber dem Eingreifen nicht legitimer 
und rangierter Streitkräfte, wie Franktireurs, 
Mobilgarden und ausländischer Freikorps, die 
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