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brudscha weicht von der des übrigen Landes in
einigen Punkten ab; namentlich besitzt die Re-
gierung ein größeres Maß von Einfluß auf die
Bezirks= und Gemeindeverwaltung; das Recht,
Abgeordnete in das Parlament zu wählen, wurde
ihr erst 1909 verliehen.
Für die Rechtspflege bestehen in allen
Gemeinden, in denen keine Kriegsgerichte sind,
Gemeindegerichte, die aus dem Bürgermeisser und
zwei von den Einwohnern gewählten Geschwore-
nen bestehen; ihre Aufgaben sind Versöhnung
streitender Parteien, Feststellung von Eigentums-
verletzungen, Beglaubigung von Urkunden, Ur-
teilsfällung in Bagatellsachen usw. Berufungen
gehen an die Kreisgerichte (132), die aus einem
Richter und einem Hilfsrichter bestehen. In jeder
Hauptstadt eines Bezirks befindet sich ein Bezirks-
gericht mit ein oder mehreren Sektionen, jede mit
einem Vorsitzenden, zwei Richtern und einem stell-
vertretenden Richter. In Bukarest, Jasi, Galatz
und Craiova bestehen Appellationshöfe mit zwei
oder drei Sektionen, jede mit einem Vorsitzenden
und fünf Räten. Höchste Instanz ist der Ober-
gerichts= und Kassationshof in Bukarest mit drei
Sektionen, jede mit einem Vorsitzenden und sieben
Räten. Zur Aburteilung von Verbrechen, Preß-
prozessen und politischen Vergehen wird in jeder
Bezirkshauptstadt ein Geschworenengericht gebildet,
das aus einem Richter am Appellationshof, zwei
Richtern vom Bezirksgericht und 12 Geschworenen
besteht. Die Militärgerichte bestehen aus Kriegs-
gerichten am Sitz eines jeden Armeekorps und dem
ständigen Revisionsgericht in Bukarest. Sämtliche
Richter mit Ausnahme der kommissarisch ange-
stellten sind unabsetzbar (zum Teil erst seit 1909);
ihre Ernennung erfolgt durch den Minister nach
einer Liste, die durch einen höheren richterlichen
Rat vorgelegt wird. Zu Richtern können nur ru-
mänische Staatsbürger mit dem Grad eines Dok-
tors oder Lizentiaten der Rechte ernannt werden.
Heer und Flotte. Nach dem Gesetz vom
29. März 1908 besteht allgemeine Wehrpflicht
vom vollendeten 21. bis zum 40. Lebensjahr, und
zwar 7 Jahre bei der Fahne, 5 Jahre in der Re-
serve, 3 Jahre in der Miliz und bis zum voll-
endeten 40. Lebensjahr in der Territorialarmee;
die Dienstzeit beträgt für die Fußtruppen 2 Jahre
unter der Fahne und 5 Jahre beurlaubt, für die
Kavallerie, Artillerie, Feldgendarmerie und das
Grenzwachkorps 3 Jahre unter der Fahne und
4 Jahre beurlaubt, für die Marine 4 und 3 Jahre.
Die Mannschaften, die 3 oder 4 Jahre unter der
Fahne gedient haben, gehen mit 30 Jahren direkt
in die Territorialarmee über; diejenigen, die
2 Jahre dienen, stehen während des 3. Jahrs zur
Disposition des Kriegsministers ausschließlich für
den Wachdienst, ebenso die jungen Leute vom 19.
bis zum 21. Jahr, die sonntags an militärischen
Übungen teilnehmen. Die Rekrutierung findet
nach Bezirken statt. Die jungen Leute, die be-
urlaubt oder überzählig sind, gehören zur Miliz,
Rumänien.
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wo sie während der zwei ersten Jahre eine zum
Dienst genügende Ausbildung erhalten, und treten
gleichzeitig mit ihrem Kontingent zur Territorial=
armee über. Die 4 Armeekorps, in die das ru-
mänische Heer eingeteilt ist, bilden zugleich die
höchsten Territorialbehörden. Jedes Armeekorps
hat 2, das 2. Korps 3 Divisionen; jede Division
zerfällt in 2 Infanteriebrigaden zu 2 Regimen-
tern, 1 Bataillon Jäger und 1 Brigade Artil-
lerie; daneben sind noch einige Spezialtruppen
vorhanden. Im ganzen beträgt die Friedensstärke
nach dem Etat von 1909: 3835 Offiziere, 589
Zivilbeamte, 1049 Kadetten, 88 176 Mann, 452
Feldgeschütze. An militärischen Unterrichtsanstalten
bestehen eine höhere Kriegsschule, je eine Schule
für Infanterie, Artillerie und Geniewesen, Ka-
vallerie, ein Militärlyzeum, ein Militärgymna-
sium, eine Marine= und Marineoffiziersschule,
Schießschule, eine Unteroffiziervorbereitungsschule
und 4 Infanterie-Unteroffiziersschulen. — Die
Flotte bestand 1909 aus 31 Fahrzeugen mit
6004 t Gehalt und 101 Geschützen, das Marine-
personal aus 143 Offizieren und Ingenjeuren,
48 Zivilbeamten, 45 Kadetten und 2176 Mann.
Das Wappen ist ein gevierter, mit einem
Herzschild (von Silber und Schwarz geviert;
Stammwappen der Dynastie) belegter Haupt-
schild; im ersten blauen Feld ein gekrönter gol-
dener Adler mit silbernem Kreuz, Schwert und
Zepter (für die Walachei), im zweiten roten Feld
ein goldener Stierkopf mit silbernem Stern zwi-
schen den Hörnern (für die Moldau), im dritten
roten Feld ein gekrönter goldener Löwe mit silber-
nem Stern zwischen den Pranken, im vierten
blauen Feld zwei goldene mit den Köpfen gegen-
einander gewendete Delphine (Dobrudscha). Die
Flagge ist vertikal gestreift: Blau, Gelb, Rot. An
Order bestehen der Orden des Sterns von Ru-
mänien (1877 gestiftet) und der Kronenorden
(1881).
IV. Geistige Kulkur. Nach der Verfassung
ist die griechisch-orthodoxe Kirche Staatskirche,
doch ist jedem religiösen Bekenntnis die weitest
gehende Freiheit in der Ausübung gewährleistet.
Der Staat enthält sich jeden Eingriffs in die
Wahl und Bestallung der Diener der verschiedenen
Kulte. Das Glaubensbekenntnis ist kein Hindernis
für die Erlangung der bürgerlichen und politischen
Rechte und Zulassung zum öffentlichen Dienst;
den Juden allerdings wird die Erwerbung des
Bürgerrechts erschwert. Der Staat trägt nur zum
Unterhalt der orthodoxen Kirche bei, die übrigen
Konfessionen genießen keinerlei staatliche Unter-
stützung. Die orthodoxe Kirche ist seit 1859 auto-
kephal, d. h. vom griechischen Patriarchen in
Konstantinopel unabhängig (vom Patriarchen aber
erst seit 1885 anerkannt). Die höchste kirchliche
Autorität ist der 1864 begründete, 1872 umge-
staltete Heilige Synod, der aus 16 Mitgliedern
besteht (2 Metropoliten, 6 Bischöfe und 8 in Ru-
mänien sich aufhaltende Erzpriester); er tritt jähr-