Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Titel Minister führen; zurzeit sind es der Mi- 
nister des Innern, der Finanzminister, der Mi- 
nister für Handel und Gewerbe, der Hauptchef der 
Hauptverwaltung für Landordnung und Land- 
wirtschaft, die Minister für Krieg, Marine, Volks- 
aufklärung, Justiz, für Verkehrswege, der Mi- 
nister des Kaiserlichen Hofes, der Staatskontrolleur 
und der Oberprokuror des Heiligen Synods. Die 
Chefs der übrigen besondern Verwaltungen (die 
Hauptchefs der kaiserl. Kanzleien, der Anstalten 
der Kaiserin Maria, der Statthalter des Kau- 
kasus usw.) nehmen am Ministerrat nur in den 
Angelegenheiten ihres eignen Ressorts teil. Der 
Vorsitzende des Ministerrats erstattet über alle zu 
seiner Kompetenz gehörigen Angelegenheiten dem 
Kaiser Bericht; er hat das Recht, von den Ressort- 
chefs Auskünfte und Erklärungen einzuverlangen 
und er kann jeden einzelnen im Parlament ver- 
treten. Keine Verwaltungsmaßregel von allge- 
meiner Bedeutung darf von den einzelnen Ressort- 
chefs ohne Zustimmung des Ministerrats vor- 
genommen werden. Falls im Ministerrat kein 
einheitlicher Beschluß zustande kommt, wird die 
Entscheidung dem Zaren anheimgestellt. Die 
Minister und Hauptchefs der besondern Verwal- 
tungen sind dem Kaiser gegenüber zusammen für 
den allgemeinen Gang der Staatsverwaltung, 
jeder einzelne Minister außerdem für seine beson- 
dern Anordnungen und Verfügungen verantwort- 
lich. Dem Parlament gegenüber besteht keine 
Verantwortlichkeit; dieses hat auch nicht das Recht, 
die Minister (und Beamten der 3 ersten Rang- 
klassen) in Anklagezustand zu versetzen. — Über 
den Heiligen Synod s. unten, VIII. Die 
Reichskontrolle übt das Amt einer Ober- 
rechnungskammer aus; ihr unterliegen alle Ein- 
gänge und Ausgaben für Rechnung der Staats- 
kasse sowie der Kassen der staatlichen Einrichtungen 
und der Staatsbehörden, der Semstwos usw. Der 
Vorsteher hat den Rang eines Ministers, unter- 
steht jedoch in Angelegenheiten der Revision nicht 
der Kompetenz des Ministerrats. 
Provinzialverwaltung. Für die Zwecke 
der Verwaltung ist das russische Reich (ohne Fin- 
land) in 91 Verwaltungsbezirke (Gouvernements, 
Gebiete und Provinzen) eingeteilt: das Europäische 
eigentliche Rußland in 49 Gouvernements und 
1 Gebiet (das der Donkosaken), das Königreich 
Polen, amtlich Weichselgouvernement oder Weich- 
selgebiet genannt, in 10 Gouvernements, die Statt- 
halterschaft des Kaukasus in 7 Gouvernements und 
5 Gebiete, Sibirien in 10, Zentralasien in 9 Ge- 
biete und Provinzen. In Sibirien wurde 1909 
ausdem russischen Teil von Sachalin das Sachalin-, 
aus Teilen des Küstengebiets und den Komman-= 
deurinseln das Kamtschatkagebiet neu gebildet. In 
einigen Fällen sind mehrere Gouvernements zu 
Generalgouvernements zusammengefaßt (War- 
schau, Kijew, Wilna, Turkestan, Irkutsk, General- 
gouvernement der Steppen und Amur); die Ge- 
neralgouverneure haben ausgedehntere Funktionen 
Rußland. 
  
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als die Gouverneure, sie sind auch nicht dem Mi- 
nister des Innern, sondern direkt dem Zaren unter- 
stellt. Die Größe der Verwaltungsbezirke ist außer- 
ordentlich verschieden; der kleinste ist das Schwarze- 
Meergebiet (8839), das größte das Gouvernement 
Jakutsk (3963228 qkm). Die Gouvernements 
und Gebiete zerfallen wieder in Kreise (810), diese 
in polizeilicher Hinsicht in Landpolizeikommis- 
sariate (2144); weitere Verwaltungsbezirke, die 
zum Teil ständischen Charakter tragen, sind die 
Wolosts (s. unten Sp. 793) im eigentlichen Ruß- 
land und die Gemeinden (gminü) in Polen. 
An der Spitze der Verwaltungsbehörden des 
Gouvernements steht der Gouverneur, dem 
ein Vizegouverneur beigegeben ist; er ist der Chef 
der allgemeinen Landesverwaltung und übt die 
Aussicht über sämtliche Verwaltungsbehörden seines 
Bezirks aus. Ihm unterstehen die Gouvernements- 
regierung, die aus dem Vizegouverneur, einer An- 
zahl Räte, dem Medizinalinspektor, dem Ingenieur 
und Landmesser des Gouvernements und einem 
Assessor besteht, die Gouvernementsbehörden für 
Semstwo= und städtische Angelegenheiten, für 
Bauern-, für Aushebungs-, für Steuer= und für 
Schankangelegenheiten, das Statistische Komitee 
und der Kameralhof. Die allgemeine Landesver- 
waltung im Kreis führt der Isprawnik (Kreis- 
chef), zugleich Chef der Kreispolizei, dem die 
Kreisbehörden für Bauernangelegenheiten („Kreis- 
versammlung"), für Steuerangelegenheiten und 
die Kreisrentei unterstehen. Die Verwaltung der 
Fremdvölker erfolgt nach deren besondern Gesetzen. 
Die Selbstverwaltung ist in Rußland 
wenig ausgebildet und beschränkt sich auf das von 
Alexander II. 1864 nach Aufhebung der Leib- 
eigenschaft eingeführte Semstwoinstitut in den 
Gouvernements und Hreisen, die Stadtverwaltung 
und die Adelskorporationen. Der Wirkungskreis 
der Semstwos, die bisher nur in 32 Gouverne-= 
ments eingeführt sind (die Einführung in den 6 
westlichen Gouvernements Witebsk, Kijew, Wol- 
hynien, Minsk, Mohilew, Poltawa zur Stärkung 
des russischen Einflusses wurde von der Duma 
Anfang Juli 1910 genehmigt, kam aber im 
Reichsrat noch nicht zur Beratung), ist gesetzlich 
scharf umgrenzt; sie sind zuständig für Wege- 
bauten, Wasserstraßen, für Armenpflege, das 
Volksschul= und öffentliche Gesundheitswesen, für 
die Anstalten zur Hebung der Landwirtschaft, der 
Industrie und des Handels, für das Versicherungs- 
und Bauwesen. Die Bevölkerung jedes Kreises 
wählt, in die drei Gruppen der Grundbesitzer, 
Städter und Bauern geteilt, jede für drei Jahre 
eine bestimmte Anzahl von Delegierten, die das 
25. Lebensjahr erreicht haben müssen, für die 
Kreissemstwoversammlung, in der der Kreisadels- 
marschall (s. unten) den Vorsitz führt. Das Wahl- 
recht ist an einen gewissen Zensus, der sich auf das 
Grundeigentum stützt, gehunden und nach den 
Gouvernements verschieden; die Grundeigentümer, 
die nicht das vom Zensus festgesetzte Minimum
	        
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