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Titel Minister führen; zurzeit sind es der Mi-
nister des Innern, der Finanzminister, der Mi-
nister für Handel und Gewerbe, der Hauptchef der
Hauptverwaltung für Landordnung und Land-
wirtschaft, die Minister für Krieg, Marine, Volks-
aufklärung, Justiz, für Verkehrswege, der Mi-
nister des Kaiserlichen Hofes, der Staatskontrolleur
und der Oberprokuror des Heiligen Synods. Die
Chefs der übrigen besondern Verwaltungen (die
Hauptchefs der kaiserl. Kanzleien, der Anstalten
der Kaiserin Maria, der Statthalter des Kau-
kasus usw.) nehmen am Ministerrat nur in den
Angelegenheiten ihres eignen Ressorts teil. Der
Vorsitzende des Ministerrats erstattet über alle zu
seiner Kompetenz gehörigen Angelegenheiten dem
Kaiser Bericht; er hat das Recht, von den Ressort-
chefs Auskünfte und Erklärungen einzuverlangen
und er kann jeden einzelnen im Parlament ver-
treten. Keine Verwaltungsmaßregel von allge-
meiner Bedeutung darf von den einzelnen Ressort-
chefs ohne Zustimmung des Ministerrats vor-
genommen werden. Falls im Ministerrat kein
einheitlicher Beschluß zustande kommt, wird die
Entscheidung dem Zaren anheimgestellt. Die
Minister und Hauptchefs der besondern Verwal-
tungen sind dem Kaiser gegenüber zusammen für
den allgemeinen Gang der Staatsverwaltung,
jeder einzelne Minister außerdem für seine beson-
dern Anordnungen und Verfügungen verantwort-
lich. Dem Parlament gegenüber besteht keine
Verantwortlichkeit; dieses hat auch nicht das Recht,
die Minister (und Beamten der 3 ersten Rang-
klassen) in Anklagezustand zu versetzen. — Über
den Heiligen Synod s. unten, VIII. Die
Reichskontrolle übt das Amt einer Ober-
rechnungskammer aus; ihr unterliegen alle Ein-
gänge und Ausgaben für Rechnung der Staats-
kasse sowie der Kassen der staatlichen Einrichtungen
und der Staatsbehörden, der Semstwos usw. Der
Vorsteher hat den Rang eines Ministers, unter-
steht jedoch in Angelegenheiten der Revision nicht
der Kompetenz des Ministerrats.
Provinzialverwaltung. Für die Zwecke
der Verwaltung ist das russische Reich (ohne Fin-
land) in 91 Verwaltungsbezirke (Gouvernements,
Gebiete und Provinzen) eingeteilt: das Europäische
eigentliche Rußland in 49 Gouvernements und
1 Gebiet (das der Donkosaken), das Königreich
Polen, amtlich Weichselgouvernement oder Weich-
selgebiet genannt, in 10 Gouvernements, die Statt-
halterschaft des Kaukasus in 7 Gouvernements und
5 Gebiete, Sibirien in 10, Zentralasien in 9 Ge-
biete und Provinzen. In Sibirien wurde 1909
ausdem russischen Teil von Sachalin das Sachalin-,
aus Teilen des Küstengebiets und den Komman-=
deurinseln das Kamtschatkagebiet neu gebildet. In
einigen Fällen sind mehrere Gouvernements zu
Generalgouvernements zusammengefaßt (War-
schau, Kijew, Wilna, Turkestan, Irkutsk, General-
gouvernement der Steppen und Amur); die Ge-
neralgouverneure haben ausgedehntere Funktionen
Rußland.
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als die Gouverneure, sie sind auch nicht dem Mi-
nister des Innern, sondern direkt dem Zaren unter-
stellt. Die Größe der Verwaltungsbezirke ist außer-
ordentlich verschieden; der kleinste ist das Schwarze-
Meergebiet (8839), das größte das Gouvernement
Jakutsk (3963228 qkm). Die Gouvernements
und Gebiete zerfallen wieder in Kreise (810), diese
in polizeilicher Hinsicht in Landpolizeikommis-
sariate (2144); weitere Verwaltungsbezirke, die
zum Teil ständischen Charakter tragen, sind die
Wolosts (s. unten Sp. 793) im eigentlichen Ruß-
land und die Gemeinden (gminü) in Polen.
An der Spitze der Verwaltungsbehörden des
Gouvernements steht der Gouverneur, dem
ein Vizegouverneur beigegeben ist; er ist der Chef
der allgemeinen Landesverwaltung und übt die
Aussicht über sämtliche Verwaltungsbehörden seines
Bezirks aus. Ihm unterstehen die Gouvernements-
regierung, die aus dem Vizegouverneur, einer An-
zahl Räte, dem Medizinalinspektor, dem Ingenieur
und Landmesser des Gouvernements und einem
Assessor besteht, die Gouvernementsbehörden für
Semstwo= und städtische Angelegenheiten, für
Bauern-, für Aushebungs-, für Steuer= und für
Schankangelegenheiten, das Statistische Komitee
und der Kameralhof. Die allgemeine Landesver-
waltung im Kreis führt der Isprawnik (Kreis-
chef), zugleich Chef der Kreispolizei, dem die
Kreisbehörden für Bauernangelegenheiten („Kreis-
versammlung"), für Steuerangelegenheiten und
die Kreisrentei unterstehen. Die Verwaltung der
Fremdvölker erfolgt nach deren besondern Gesetzen.
Die Selbstverwaltung ist in Rußland
wenig ausgebildet und beschränkt sich auf das von
Alexander II. 1864 nach Aufhebung der Leib-
eigenschaft eingeführte Semstwoinstitut in den
Gouvernements und Hreisen, die Stadtverwaltung
und die Adelskorporationen. Der Wirkungskreis
der Semstwos, die bisher nur in 32 Gouverne-=
ments eingeführt sind (die Einführung in den 6
westlichen Gouvernements Witebsk, Kijew, Wol-
hynien, Minsk, Mohilew, Poltawa zur Stärkung
des russischen Einflusses wurde von der Duma
Anfang Juli 1910 genehmigt, kam aber im
Reichsrat noch nicht zur Beratung), ist gesetzlich
scharf umgrenzt; sie sind zuständig für Wege-
bauten, Wasserstraßen, für Armenpflege, das
Volksschul= und öffentliche Gesundheitswesen, für
die Anstalten zur Hebung der Landwirtschaft, der
Industrie und des Handels, für das Versicherungs-
und Bauwesen. Die Bevölkerung jedes Kreises
wählt, in die drei Gruppen der Grundbesitzer,
Städter und Bauern geteilt, jede für drei Jahre
eine bestimmte Anzahl von Delegierten, die das
25. Lebensjahr erreicht haben müssen, für die
Kreissemstwoversammlung, in der der Kreisadels-
marschall (s. unten) den Vorsitz führt. Das Wahl-
recht ist an einen gewissen Zensus, der sich auf das
Grundeigentum stützt, gehunden und nach den
Gouvernements verschieden; die Grundeigentümer,
die nicht das vom Zensus festgesetzte Minimum