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der Verfassung noch der Durchführung harren.
Dem Schah-en-schah (König der Könige) ist von
der früheren Machtfülle in weltlichen Dingen
(geistliches Oberhaupt sind die Schahs seit dem
Aussterben der Dynastie der Sefewiden nicht mehr)
wenig übrig geblieben. Der Thron ist erblich in
der Familie der Kadscharen; bei mehreren Kindern
fällt die Thronfolge dem ältesten Sohn zu, dessen
Mutter Perserin von Ursprung und Prinzessin ist.
Hat der Schah keine männlichen Erben, so fällt
der Thron dem Altesten der Herrscherfamilie unter
Berücksichtigung der nächsten Verwandtschaft zu
und vererbt sich auf dessen Sohn weiter. Für den
minderjährigen Thronfolger (der mit vollendetem
18. Jahr volljährig wird) führt ein vom Parla-
ment und Senat gewählter Regent die Regierung.
Vor der Krönung hat der Schah im Parlament
in Anwesenheit des Parlaments, Senats und des
Ministerkabinetts den Eid auf die Verfassung und
seine Herrscherpflichten abzulegen, ebenso der Re-
gent vor Ubernahme der Regentschaft. Ohne Zu-
stimmung des Senats und Parlaments kann der
Herrscher nicht persönlich die Regierung eines
andern Landes übernehmen. Dem Schah steht
die vollstreckende Gewalt zu, die er durch die der
Kammer verantwortlichen Minister ausübt; er hat
das Recht, die Minister zu ernennen und abzu-
setzen, militärische Grade, Orden und Ehrenzeichen
zu verleihen, die Vorstände der Reichsämter mit
Zustimmung des zuständigen verantwortlichen
Ministers außer in gesetzlich ausgenommenen
Fällen zu wählen, die Befehle und Fermane zur
Ausführung der Gesetze zu erlassen, ohne daß des-
halb die Ausführung der Gesetze aufgeschoben oder
aufgehoben werden darf. Er ist oberster Befehls-
haber zu Wasser und zu Land, er erklärt Krieg
und schließt Frieden, beruft das Parlament und
den Senat zu außerordentlichen Sitzungen. Die
Kosten der Unterhaltung des Hofstaates werden
gesetzlich bestimmt. (Die Zivilliste beträgt seit
1907: 500 000 Toman, 500 Charwar Getreide
und 5000 Charwar Stroh.) Die gesetzgeberische
Gewalt teilt der Schah mit dem Parlament und
enat.
Das Parlament (die Medschliß) besteht
nach dem zweiten Wahlgesetz von 1908 aus
120 Mitgliedern. Das aktive Wahlrecht haben
alle männlichen persischen Untertanen, die wenig-
stens 20 Jahre alt, in ihrer Gegend bekannt und
sechs Monate vor der Wahl dort ansässig gewesen
sind. Nicht wahlberechtigt sind Bankrotteure,
Mörder, Diebe und die wegen dieser Verbrechen
Angeklagten, Leute, die nach den Gesetzen des
Islams bestraft worden sind oder deren schlechter
Lebenswandel bekannt ist, sowie alle, die den
Glauben Mohammeds verlassen und dies vor den
Priestern bekannt haben, schließlich die aktiven An-
gehörigen der Armee und Marine. Die Christen,
Juden und Parsen haben das Recht, je einen Ab-
geordneten in das Parlament zu wählen. Nur
bedingt haben kein aktives Wahlrecht die Gouver-
Persien.
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neure und ihre Stellvertreter am Sitz des Gou-
vernements, die Polizei und Gendarmerie am
Ort ihres Wohnsitzes. Die Nomadenstämme
sollen zur Ausübung des Wahlrechts sich in die
nächstgelegene Provinzstadt begeben und dort
wählen dürfen, als ob sie Einwohner der Stadt
wären. Die zu Abgeordneten zu Wählenden müssen
persische Untertanen sein, dem Islam angehören
(außer den drei Vertretern der Christen, Juden
und Parsen), persisch lesen und schreiben können,
mit den Staatsangelegenheiten vertraut und an
ihrem Ort gut bekannt sein; sie dürfen nicht jünger
als 30 und nicht älter als 70 Jahre sein. Nicht
wählbar sind alle, die das aktive Wahlrecht nicht
haben, ferner die Brüder, Kinder und Onkel des
regierenden Schahs. Regierungsbeamte müssen ihr
Amt niederlegen, falls sie gewählt sind und ihr
Mandat ausüben wollen. — Die Wahlen sind
indirekt. In den Bezirken einer Stadt sowie in
den Provinzstädten, in denen Wahlen abzuhalten
sind, wird die dreifache Anzahl der zu erwählenden
Abgeordneten gewählt; diese vereinigen sich in
dem Zentrum des Wahlkreises und bestimmen aus
ihrer Mitte die vorgeschriebene Anzahl der Abge-
ordneten. Die Anzahl der Deputierten für die
einzelnen Provinzen, der Wahlmänner sowie die
Städte, die als Wahlkreiszentren gelten, sind im
Wahlgesetz festgesetzt. Die Wahlen sind geheim.
Das Parlament beginnt seine Tagungen, sobald
mehr als die Hälfte aller Abgeordneten in Teheran
anwesend ist. Neuwahlen finden alle zwei Jahre
vom Tag der Parlamentseröffnung an gerechnet
statt. Die Tagegelder der Abgeordneten setzt das
Parlament selbst fest, ebenso erhalten sie (wie auch
die Wahlmänner) Reiseentschädigung.
Die Rechte des Parlaments sind sehr weit-
gehend. Die Gesetzgebung teilt es mit dem Schah
und dem Senat; die Gesetze betreffend Einnahmen
und Ausgaben des Landes jedoch bedürfen nur
der Annahme durch das Parlament. Die Aus-
legung der Gesetze steht ihm ebenfalls allein zu.
Das Parlament beschließt über den Staatshaus-
halt, Annahme und Ablehnung von Steuern,
über Veräußerung der Einkünfte und Besitztümer
des Staats, über Abschluß von Staatsanleihen,
über Veränderung der Grenzen und innere Ab-
grenzung des Landes in Provinzen usw., über
Konzessionen zur Bildung von Kompanien und
allgemeinen Gesellschaften aller Art, über Ver-
leihungen von Konzessionen und Monopolen auf
dem Gebiet des Handels, des Gewerbes, der
Landwirtschaft usw. an In= und Ausländer, über
den Abschluß von Staatsverträgen mit Ausnahme
der Verträge, deren Geheimhaltung im Interesse
des Landes liegt (sie müssen aber, sobald sie frei-
gegeben werden können und die Interessen des
Landes es verlangen, dem Parlament und Senat
bekannt gegeben werden). Die Mitglieder des
Staatsrechnungshofes werden von ihm erwählt,
womit es die Kontrolle über alle Staatsgelder
besitzt. Das Parlament kann in jeder Angelegen-
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