Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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heit von dem zuständigen verantwortlichen Mi- 
nister Aufklärung fordern und diesen gegebenenfalls 
wegen Nachlässigkeit, Mangel an Sorgfalt und 
Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze zur Ver- 
antwortung ziehen, es kann jederzeit direkte Ge- 
suche durch eine Deputation dem Schah unter- 
breiten. Die Sitzungen sind öffentlich, doch kann 
der Vorsitzende nach Bedarf von selbst oder auf 
Antrag von zehn Mitgliedern oder eines Ministers 
eine geheime Sitzung abhalten lassen. · 
Die Bildung eines Senats von 60 Mitglie- 
dern ist im grundlegenden Verfassungsgesetz vor- 
gesehen (bis Juni 1910 nicht erfolgt); die Mit- 
glieder sollen aus den wohlinformierten, einsich- 
tigen, gottesfürchtigen und ehrbaren Personen des 
Landes gewählt werden, und zwar 30 vom Schah 
(15 aus der Teheraner Bevölkerung, 15 aus den 
Provinzen), 30 vom Volk (15 durch Wahlen der 
Stadt Teheran, 15 durch Wahlen der Provinzen). 
Nach der Bildung des Senats bedürfen alle An- 
gelegenheiten der Zustimmung beider Versamm- 
lungen (mit Ausnahme der Finanzangelegen- 
heiten, für die das Parlament allein zuständig ist). 
Die Verhandlungen des Senats sind ungültig, 
so lange das Parlament nicht zusammengetreten 
ist. Niemand kann zu gleicher Zeit Mitglied 
beider Körperschaften sein. Solang der Senat 
nicht gebildet ist, genügt zum Zustandekommen 
eines Gesetzes das Zusammenwirken der Abgeord- 
neten und der Regierung. Damit die gesetzgebe- 
rische Tätigkeit des Parlaments nicht in Wider- 
spruch mit den Vorschriften des Islams treten 
kann, soll nach dem ergänzenden Verfassungsgesetz 
ein Kollegium von wenigstens fünf Personen aus 
den Schriftgelehrten und gläubigen Rechtsgelehr- 
ten, die aber auch über die Ansprüche der Zeit 
aufgeklärt sein müssen, gebildet werden, die alle 
Gesetzesvorlagen sorgfältig besprechen, ernstlich 
prüfen und jede Materie, die im Widerspruch zu 
den Vorschriften des Islams steht, zurückweisen 
sollen, so daß sie keine Gesetzeskraft erlangen können. 
Durch die Verfassungsgesetze sind gegenüber der 
früheren Willkürherrschaft auch die Rechte des 
Volks fixiert worden. Die ganze Bevölkerung 
Persiens ist vor den Staatsgesetzen gleichberech- 
tigt: Leben, Eigentum, Wohnung und Ehre eines 
jeden genießen den Schutz des Gesetzes gegen un- 
gesetzliche Eingriffe jeder Art. Niemand darf 
willkürlich verhaftet, seinem zuständigen Gericht 
entzogen oder anders als auf Grund des Gesetzes 
verurteilt und bestraft werden, kein Perser kann 
des Landes verwiesen oder zum Wohnen an einem 
bestimmten Ort gezwungen werden außer in ge- 
setzlich bestimmten Fällen; Konfiskation des 
Eigentums, Enteignung usw. sind nur nach dem 
Gesetz zulässig. Es besteht Preßfreiheit außer für 
die religiös irreführenden und der gereinigten 
Lehre schadenden Bücher, Versammlungs= und 
Vereinsfreiheit, Petitionsfreiheit, Schutz des Brief- 
geheimnisses, Lern= und Lehrfreiheit (in gewissen 
Grenzen), Freizügigkeit innerhalb des Reichs, 
  
  
  
  
  
Persien. 72 
Freiheit in der Wahl von Beruf und Gewerbe. 
Als Perser gelten alle, die in Persien geboren 
sind, wenn ihre Eltern oder auch nur der Vater 
zur Zeit der Geburt nicht Ausländer waren. Aus- 
länder können die persische Staatsangehörigkeit 
erwerben; über deren Annahme, Dauer und Lösung 
wird ein besonderes Gesetz entscheiden. Der Er- 
werb von Grundeigentum ist im allgemeinen aus- 
schließliches Recht der persischen Staatsangehö- 
rigen, doch dürfen die Ausländer soviel Grund 
kaufen, als sie für ihre Wohnungen, Läden und 
die Aufbewahrung ihrer Waren brauchen. Die 
Angehörigen der Mächte, die mit Persien Ver- 
träge abgeschlossen haben, unterstehen der Ge- 
richtsbarkeit ihrer Konsuln. 
Die oberste Verwaltung des Landes wird 
durch das Ministerium ausgeübt, das zurzeit aus 
7 Mitgliedern besteht (Premierminister, zugleich 
für Krieg; für Außeres, Inneres, Finanzen, Justiz, 
Offentliche Arbeiten und Unterricht, Post und 
Telegraph). Nur Perser von Ursprung und per- 
sische Staatsangehörige können Minister werden; 
die Söhne, Brüder und Oheime des regierenden 
Herrschers dürfen nicht zu Ministern ernannt 
werden. Die Minister sind den Kammern gegen- 
über verantwortlich und haften jeder einzeln für 
sein Ressort sowie gemeinsam für die Gesamtheit 
der Reichsangelegenheiten den beiden Kammern 
gegenüber. Das Parlament oder der Senat kann 
gegen Minister ein Untersuchungsverfahren ein- 
leiten; Amtsvergehen werden beim Revisions- 
gericht anhängig gemacht (solang dieses nicht ge- 
bildet ist, vertritt es eine aus dem Parlament 
und Senat zu gleichen Teilen gewählte Körper- 
chaft). Wenn das Parlament oder der Senat 
mit voller Stimmenmehrheit ihre Unzufriedenheit 
mit dem Kabinett oder einem einzelnen Minister 
ausspricht, muß dieses oder der Minister abtreten. 
Die Minister können außer ihrem Ministerium 
kein anderes Amt annehmen. — Für die innere 
Verwaltung ist das Reich in 45 Provinzen ein- 
geteilt, die an Größe und Bedeutung außerordent- 
lich verschieden sind; sie zerfallen wieder in Unter- 
provinzen und Kreise. Die Grenzen können nur 
durch Gesetz verändert werden. Die größeren 
Provinzen unterstehen Generalgouverneuren, die 
übrigen Gouverneuren, die von der Zentralregie- 
rung in Teheran ernannt werden. Unter dem 
alten Regime wurden die Gouverneurstellen samt 
dem Recht der Steuererhebung vom Schah oder 
seinen Ministern oder von beiden Stellen ge- 
wöhnlich an den Meistbietenden verkauft, der 
dann seinerseits nur darauf bedacht war, neben 
den Kosten der Hofhaltung die Kaufsumme doppelt 
und mehrfach wieder aus der Provinz heraus- 
zupressen, und daher die Steuerschraube übermäßig 
anzog; die Einkünfte aus vielen kleineren Pro- 
vinzen wurden als Apanagen und Pensionen an 
Prinzen und andere Vornehme vergeben, die ihr 
Gebiet durch Vizegouverneure verwalten ließen. 
Die wichtigsten Provinzen sind Aserbeidschan, 
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