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Chorassan, Fars, Ispahan, Kurdistan, Gilan und
Masenderan, Kerman, Teheran, Irak und Jesd.
Gemäß dem ergänzenden Verfassungsgesetz werden
im ganzen Land Provinzial= und Unterprovinzial-
landtage gebildet, deren Abgeordnete direkt seitens
der Bevölkerung zu wählen sind; die Landtage
haben volles Aufsichtsrecht über die Reglung aller
gemeinsamen Interessen ihrer Bezirke und stellen
die Liste der Einnahmen und Ausgaben auf.
Rechtswesen. Obwohl die islamische Rechts-
wissenschaft eng mit der Theologie verflochten ist,
so daß in mohammedanischen Staaten die Schrift-
gelehrten (Ulema) die eigentlichen Richter sind,
bestanden in Persien, wo die weltlichen Regie-
rungsbeamten sich stets für Rechtsprechung nach
freiem Ermessen zuständig hielten, geistliche und welt-
liche Gerichtshöfe nebeneinander; unter schwachen
Herrschern wußten die geistlichen Gerichte ihre Kom-
petenzen zu erweitern und alle direkten Vergehen
gegen Religion und Sittlichkeit und die verwickel-
teren privatrechtlichen Prozesse vor das Forum
des vom Justizminister unabhängigen Scheich-ul-
Islam zu ziehen, während energische Schahs die
geistliche Rechtsprechung in den Hintergrund
drängten. Vor die weltlichen oder Urfgerichte
gehörten vor allem Streitigkeiten zwischen Be-
amten und Untertanen, Ruhestörungen, Dieb-
stähle,. Mord, politische Verbrechen, Aufruhr usw.;
sie wurden vielfach auch für privatrechtliche Strei-
tigkeiten in Anspruch genommen. Die weltliche
Rechtsprechung wurde in Teheran vom Schah und
den Ministern, in den Provinzen von den Gou-
verneuren, in den Städten vom Gouverneur und
Bürgermeister (in geringeren Sachen vom Stadt-
viertelvorsteher), in den Dörfern vom Dorfvor-
steher oder Grundherrn, bei den Stämmen von
den Stammeshäuptern ausgeübt. Das ergänzende
Verfassungsgesetz sieht eine Neuordnung des Ge-
richtswesens vor, welche die Betätigung des Geist-
lichen in der Rechtspflege beschränkt auf geistlich-
rechtliche Fragen. Danach ist der hohe Gerichts-
hof und der weltliche Richter für alle Klagen of-
fiziell zuständig; in geistlich-rechtlichen Fragen
erfolgt die Urteilsfällung unter Mitwirkung der
gelehrten und alle kanonischen Vorschriften er-
füllenden Schriftgelehrten. Der weltliche Richter ist
auch zuständig in politischen und Verwaltungsstrei-
tigkeiten, außer in gesetzlich ausgenommenen Fällen.
Niemand darf unter irgendwelchem Namen oder
irgendwelcher Form einen Gerichtshof im Wider-
spruch zu den Bestimmungen des Gesetzes bilden.
Für das ganze Land wird ein Revisionshof für
weltliche Dinge in der Hauptstadt gebildet, in jeder
Provinzialhauptstadt ein Berufungsgerichtshof,
in den Hauptorten ständige Gerichte; kein Gericht
kann anders als kraft Gesetzes zusammentreten.
Bei politischen und Preßvergehen muß ein
Schiedsrichterkollegium mitwirken. Die Richter
und Gerichtspräsidenten werden durch kaiserlichen
Ferman ernannt, sie können nicht ohne Prozeß
und nachgewiesene Schuld zeitweise oder dauernd
Persien.
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aus dem Amt entfernt werden. Militärgerichte
sollen kraft besondern Gesetzes im ganzen Land
gebildet werden. Die Entscheidung über Kom-
petenzkonflikte steht dem Revisionsgericht zu. Bis
zum Erlaß des in der Verfassung vorgesehenen
Justizgesetzes wird das Gerichtsverfahren auf dem
Verordnungsweg geregelt..
Die persische Armee wird zurzeit völlig um-
gestaltet und neu organisiert, zu welchem Zweck
eine Kommission von 20 Mitgliedern eingesetzt ist.
Die Frage der Aushebung, die Rechte und Pflich-
ten der Angehörigen des Soldatenstands sollen
durch Gesetz geregelt werden. Die Ausgaben für
Heereszwecke sind alljährlich vom Parlament zu
bewilligen. Militärische Rechte und Ehren können
nur kraft Gesetzes entzogen werden. Die Kriegs-
flotte zählt 1 Schraubendampfer (600 Tonnen,
4 Geschütze) und 1 Polizeiboot auf dem Karun
(36 Tonnen, 1 Geschütz) und 5 Polizeiboote für den
Steuerdienst im Persischen Golf. Auf dem Ka-
spischen Meer darf Persien nach dem Vertrag von
Gulistan 1813 keine Kriegsflotte halten. — Das
Wappern Persiens ist der Löwe und die Sonne,
offizielle Farben Grün-Weiß-Rot; die Kriegs-
und Handelsflagge ist weiß mit oben grünem,
unten rotem Rand und mit schreitendem schwert-
tragenden, natürlichen Löwen vor einer eben-
solchen Sonne in der Mitte. Die Orden Per-
siens sind der Löwen= und der Sonnenorden
(1810 gestiftet), der Orden mit dem Bild des
Ali, der Orden mit dem königlichen Bild und der
Orden mit dem königlichen Namenszug, die Me-
daille für Kunst und Wissenschaft und die Löwen-
und Sonnenmedaille.
IV. Geistige Kulkur. Die offizielle Reli-
gion Persiens ist der Islam, und zwar die
schiitische Form, zu der sich etwa 8 Mill. Ein-
wohner bekennen; der Herrscher muß ein Ange-
höriger und Förderer dieser Religion sein. Von den
religiösen Sekten des Islams werden die Sun-
niten (an 980 000 Bekenner; meist die halb-
nomadischen Stämme an den Grenzen gegen die
sunnitischen Länder) in Persien geduldet, während
der Babismus und andere Sekten seit ihrer Ent-
stehung blutigen Verfolgungen ausgesetzt waren.
Im öffentlichen Leben Persiens spielt die Geist-
lichkeit eine bedeutende Rolle beim Gottesdienst,
im Unterricht, in der Rechtspflege, in der Politik,
als Verwalter der kirchlichen Einkünfte, die teils
aus den von der Religion vorgeschriebenen pro-
zentualen Abgaben der Gläubigen von ihren Ein-
künften für Arme, Geistliche, Seiditen, teils aus
den Stiftungen fließen, aus deren Betrag Mo-
cheen, Schulen usw. zu unterhalten sind. Die
höheren Geistlichen (die Ulemas, höchste Stufe
die der Mudjtehiden, deren Würde erst nach langer
Studienzeit erworben wird) wirken als Prediger
in den größeren Moscheen, Prozeßrichter, Leiter
der höheren Schulen, Verwalter der reicheren
Stiftungen, die niederen Geistlichen, die Mollas,
als Hüter der zahllosen heiligen Gräber und
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