Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1453 
Begriffs „Staatshaushalt“ die Bezeichnung „Fi- 
nanzverwaltung“, „Finanzwirtschaft“, so tritt da- 
durch die Vorstellung der Geldverwaltung mehr in 
den Vordergrund, während man aussprechen kann, 
daß die Geldverwaltung nur Mittel zum Zweck 
ist, daß sie im heutigen Staat ihren Umfang, ihre 
Grundlage zu finden hat in den Bedürfnissen, 
welche zur Erfüllung der Aufgaben des Staats her- 
vortreten. Indessen findet man die erwähnten Be- 
zeichnungen auch im weiteren Sinn gebraucht. 
Im Staatshaushalt im engeren Sinn, welcher zu- 
treffend als Finanzwirtschaft bezeichnet werden 
kann, handelt es sich um Einnahmen und Aus- 
gaben, welche in Geld ausgedrückt werden. Beide 
werden im voraus veranschlagt. Diesen Vor- 
anschlag nennt man Staatshaushaltsetat, Budget, 
Staatsvoranschlag. 
Für die nachstehenden Darlegungen wird von 
dem Begriff „Staatshaushalt“ im weiteren Sinn 
ausgegangen werden, indessen für die bereits in 
besondern Artikeln behandelten einschlägigen 
Gegenstände auf diese Artikel für die Einzelheiten 
verwiesen werden. Es werden zunächst die Staats- 
ausgaben und die Staatseinnahmen kurz behan- 
delt, dann wird ausführlicher auf die Ordnung 
im Staatshaushalt, auf die Entstehung des Etats, 
auf die tatsächliche Entwicklung des Etatswesens, 
auf die staatsrechtlichen Beziehungen im konstitu- 
tionellen Staat und endlich kurz auf die Behörden- 
organisation eingegangen werden. 
a) Die Staatsausgaben. Die Aufgaben 
des Staats zu erfüllen ist Hauptzweck der Staats- 
ausgaben. Die Frage, was alles Aufgabe des 
Staats sei, ist verschieden zu beantworten nach den 
Völkern, nach den Zeiten, nach der Entwicklung 
der Anschauung vom Staat überhaupt. Zwischen 
den Uranfängen staatlichen Lebens und den in 
einem Kulturstaat vom Staat verlangten Leistungen 
und Einwirkungen liegt ein Unterschied von weitest 
gehenden Folgen für die Gestaltung der Staats- 
ausgaben, und zwischen diesen Anfangs= und End- 
punkten liegt eine große Mannigfaltigkeit der Ent- 
wicklung. Aufgaben, welche dem Staat zu- 
geschrieben oder vielmehr, namentlich in den 
Zeiten absoluten persönlichen Regiments, vom 
Staat für sich in Anspruch genommen wurden, 
werden später wieder als zur Aufgabe der ein- 
zelnen oder der innerhalb des Staats bestehenden 
kleinen Verbände gehörig angesehen und diesen 
zugewiesen, während dem Staat seinerseits wieder 
neue Aufgaben zuwachsen. Einige Beispiele aus 
verschiedenen Gebieten mögen dies erläutern. 
Die Fürsorge für die Wegbarkeit innerhalb des 
Staatsgebiets war in Preußen früher in großem 
Umfang Sache staatlicher Einrichtungen; die klei- 
neren Verbände: Provinz, Kreis, traten nur aus- 
hilfsweise ein; heute hat der Staat die Chausseen 
gänzlich an die Provinzen, die Landwege an die 
Kreise abgegeben. Im österreichischen Etat da- 
gegen sind in großer Anzahl Beträge für Chaussee- 
bauten ausgeworfen. Die Fürsorge für das Eisen- 
Staatshaushalt. 
  
1454 
bahnwesen erscheint bald im wesentlichen als Auf- 
gabe des Staats, bald als solche der privaten 
Unternehmungen: in einem Staat Aufkauf der 
Privatbahnen, in andern Verkauf an Private. 
Auf dem Gebiet der Schule geht die Bewegung 
immer mehr dahin, den Gemeinden einen immer 
größeren Teil der entstehenden Ausgaben auf- 
zubürden, den Staat aber als den eigentlichen Be- 
herrscher des gesamten Schulwesens zur Geltung 
zu bringen, freilich nicht ohne energischen Wider- 
stand zu finden auf seiten derjenigen, welche für 
Kirche und Familie wohlerworbene und natürliche 
Rechte beanspruchen. Endlich möge noch hin- 
gewiesen werden darauf, wie in der neueren Zeit 
der Staat auch an die Lösung solcher Aufgaben 
herantritt, welche nicht sowohl auf dem eigentlichen 
staatlichen Gebiet als auf dem der Gesellschaft 
liegen, eine Richtung, welche in ihrer weiteren 
Entwicklung als Staatssozialismus gekennzeichnet 
wird. Auch der Betrieb der Verkehrsinstitute, 
Post, Telegraphen und Eisenbahnwesen ist immer 
mehr in die Hände des Staats übergegangen. 
Zu allen diesen Fragen soll hier nicht kritisch 
Stellung genommen werden. Die Anführung soll 
nur dem Hinweis als Beleg dienen, wie auf die 
Gestaltung der Staatsausgaben von grundlegen- 
der Bedeutung diejenige der Staatsaufgaben ist. 
Eine allgemein gültige Regel für das, was dem 
Staat zufällt, und das, was den kleineren Ver- 
bänden oder auch der Einzelwirtschaft zu über- 
lassen ist, aufzustellen, ist nicht möglich. Man hat 
versucht, eine allgemein zutreffende Unterscheidung 
zwischen dem Staatshaushalt und dem Privat- 
haushalt zu finden. Man sagt: „Die Produkte, 
welche der Staat als solcher gewährt (Staats- 
leistungen), sind überwiegend immaterieller Natur“ 
(Sicherheit, Freiheit, Bildung usw.; Roscher); die 
Privatwirtschaft würde also demgemäß besonders 
materielle Güter schaffen. Man wird vielleicht 
sagen können: die Ausgaben des Staats werden 
gemacht, um dadurch das Wohl der Gesamtheit 
zu sichern, zu fördern, den Staat als solchen für 
seine Aufgaben gewissermaßen in voller Lebens- 
kraft zu erhalten. Das Ergebnis eines guten 
Staatshaushalts, der Beweis für die Notwendig- 
keit, die Nützlichkeit, für die Produktivität der 
Staatsausgaben kommt nicht im Staatshaushalt 
selbst in Form eines Gewinns, eines Überschusses 
zur Erscheinung, sondern das Ergebnis findet sich 
in gewissem Umfang in den Haushalten der engeren 
Verbände, vor allem aber sowohl in den mate- 
riellen Ergebnissen der Einzelwirtschaften als in 
höherem Sinn in der erreichten sittlichen und 
wissenschaftlichen Hebung des Volks, in dem mög- 
lichst allgemeinen Wohlbefinden, bedingt unter 
anderem durch die Sicherheit nach innen und nach 
außen, durch eine geschützte und geförderte Ent- 
faltung der Kräfte des Geistes wie des wirtschaft- 
lichen Lebens, alles geleitet und durchdrungen von 
religiösen Anschauungen, welche nicht den Staat 
zum Ausgangspunkt haben, nicht von ihm zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.