Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1461 
Einnahmen aus den Mitteln des entsprechenden 
Etatsjahrs zu decken. Wo unter den Einnahmen 
ein sog. beweglicher Faktor sich befindet, d. h. wo 
gesetzlich vorgesehen ist, daß die eine oder andere 
Steuer in ihrer Höhe jährlich verschieden erhoben 
werden kann (Quotisierung der Steuer), wird man 
im allgemeinen das Gleichgewicht leichter herstellen 
können, als wo diese Einrichtung nicht besteht. 
Wenn aber die zu erhebenden Quoten eine un- 
verhältnismäßige Höhe erreichen müßten, oder 
wenn mangels solcher Quotisierung die gesamten 
Einnahmen nicht ausreichen, um die Jahresaus- 
gaben zu decken, dann greift man wohl zum Hilfs- 
mittel der Anleihe, um das im Voranschlag her- 
vorgetretene Defizit zu decken (vgl. d. Art. Staats- 
schulden). Man läßt damit die Zukunft teilnehmen 
an der Befriedigung der Bedürfnisse der Gegen- 
wart, insofern es sich nicht um Ausgaben handelt, 
an deren Erfolgen die Zukunft mehr oder menig- 
stens in etwa gleichem Maß beteiligt ist als die 
Gegenwart. Wo dies Verhältnis vollständig klar 
liegt (Eisenbahnbauten, Kanalbauten, Aufwen- 
dungen zur Erschließung neuer Grubenfelder im 
Betrieb des Bergbaus usw.), wird man häufig 
den Gegenstand aus dem Etat ausscheiden und 
besondere Anleiheforderungen stellen. Will man 
über die Finanzlage, d. h. über das Verhältnis 
zwischen Ansprüchen des Staats zur Erfüllung 
seiner Aufgaben und den Kräften des Landes zur 
Aufbringung der dazu nötigen Mittel, sich nicht 
täuschen, dann wird man scharf zu prüfen haben, 
welchen Zwecken etwa aufzunehmende Anleihen zu 
dienen haben und besorgt werden müssen um die 
nachhaltige wirtschaftliche Gesundheit des Staats- 
wesens, wenn nicht die auf jede Finanzperiode 
entfallenden Lasten auch innerhalb derselben auf- 
gebracht werden. 
Welche Bedeutung hat nun die von zuständiger 
Stelle erfolgte Genehmigung eines Staatsvoran- 
schlags für die Verwaltung, welche die Einnahmen 
aufzubringen, die Ausgaben zu leisten hat? Bei 
einem sehr großen Teil der Einnahmen, welche 
auf Schätzung beruhen, ist eine genaue Inne- 
haltung des Voranschlags kaum zu erreichen. 
Es wird aber immer der Nachweis zu führen sein, 
daß weder bei Voranschlag noch bei Erhebung 
vermeidbare Fehler vorgekommen sind. Anders 
liegt die Sache bei den Ausgaben, wo die Staats- 
verwaltung im ganzen wie auch die einzelnen 
Verwaltungszweige durch die Höhe der eingesetzten 
Beträge die Grenze für ihre Ausgaben vor sich 
haben, deren Üüberschreitung nur unter ihrer Ver- 
antwortlichkeit und nur dann geschehen darf, wenn 
die Innehaltung mit der Erreichung des an sich 
gebilligten Zwecks ganz unvereinbar und der 
Zweck selbst, dem die Ausgabe diente, zur Wahrung 
des Staatsinteresses keine unabweisbare Notwen- 
digkeit war. Wie diese ganze Angelegenheit in 
Staaten mit Volksvertretung zu einer wichtigen 
staatsrechtlichen Frage wird und zu Konflikten sich 
zuspitzen kann, wird in einem nachfolgenden Ab- 
Staatshaushalt. 
  
1462 
schnitt entwickelt werden. Es möge noch angeführt 
werden, daß durch den Etat als solchen nur öffent- 
liche rechtliche Verhältnisse geschaffen werden, nicht 
aber Privatrechte Dritter. Die Einstellung z. B. 
eines Beamtengehalts für eine bestimmte Stelle 
in dem Etat verpflichtet die ausführende Behörde 
gegenüber der den Etat genehmigenden Stelle, 
gibt aber dem einzelnen Beamten an sich kein klag- 
bares Recht; dieses wird immer begründet werden 
müssen durch die Bedingungen seiner Anstellung, 
durch die dabei gemachten Zusicherungen. 
III. Anufänge des Etakswesens; Budget 
in England, Frankreich, Ofterreich. Von 
einem eigentlichen Staatshaushalt kann man erst 
sprechen, seitdem in der Entwicklung des Finanz- 
wesens eine Trennung der persönlichen Einkünfte 
des Fürsten von den Einkünften des Staats, 
ebenso anderseits eine Scheidung der Ausgaben 
in derselben Richtung eingetreten ist. Man kann 
davon auch nur da sprechen, wo ein durch ge- 
meinsamen Wirtschaftsplan zusammengehaltenes 
Finanzwesen besteht. Man wird also den Be- 
griff Staatshaushalt nicht anwenden können auf 
das alte deutsche Reich; man wird ihn nicht an- 
wenden auf die mittelalterlichen Lehnsstaaten. 
Die Einkünfte des Fürsten beruhten auf seinem 
Grundbesitz, auf den Regalien verschiedenster Art, 
und bei Verwendung dieser Mittel war er unab- 
hängig; eine Mitwirkung und Einflußnahme der 
Stände trat ein, wenn Beiträge von ihnen er- 
fordert werden sollten. Die Bewilligung erfolgte 
von Fall zu Fall. 
Je höher und weiter nun aber die Landes- 
herren ihre Aufgabe auffaßten, je mehr sie danach 
strebten, für das Heerwesen dauernde Einrich- 
tungen zu treffen, desto mehr suchten sie auch 
dauernde Einkünfte aus Beiträgen der Untertanen 
zu erreichen. In Preußen z. B. gelangte man erst 
1600 zu jährlichen Kontributionen. Es war aber 
ganz naturgemäß, daß diese Bestrebungen begrün- 
det werden mußten durch eine geregelte Finanz= 
wirtschaft. In Preußen tritt seit der Regierung 
König Friedrichs I. (1688/1713) eine geordnete 
Etatseinrichtung in Wirksamkeit und wird auch 
die Kontrolle ermöglicht. In allen Staaten war 
wohl mit dem Ende des 18. Jahrh. die Aufstellung 
eines Wirtschaftsplans eingeführt. Noch fehlte die 
neu zu regelnde Mitwirkung der Stände, oder wie 
man später sagen muß, der Volksvertretung, die 
diesem Wirtschaftsplan gegenüberstand, nachdem 
die absolute Monarchie das frühere Steuerbewil- 
ligungsrecht der Stände durch Schaffung dauern- 
der steuerlicher Einnahmen möglichst zurückgedrängt 
hatte. Die Staaten des europäischen Festlands 
erblicken in England das Vorbild für die Mit- 
wirkung der Vertretung des Landes bei der finan- 
ziellen Ordnung des Staatshaushalts. Aber nicht 
in seiner eigentlichen, auf konservativen Grund- 
lagen geschichtlich entwickelten Verfassung, sondern 
wesentlich umgestaltet durch den revolutionären 
Geist, wurde zuerst in Frankreich und von dort
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.