183
schritt der Enteignung keine dauernde Besserung
der Zustände herbeiführen kann, ist für jeden Vor-
urteilsfreien von vornherein erkennbar.
Das allmähliche Verdrängen der Polen von
dem ländlichen Grundbesitz hat nach einer Mit-
teilung der „Kreuzzeitung“ vom 14. Jan. 1910
noch folgende Erscheinungen gezeitigt: In der Stadt
Posen waren 1890 49,09 %% Deutsche; 1895
waren es nur noch 46,98 %, 1900: 43.94 % ;
1905: 42,72 %. Die Zahl der Polen stieg von
50,76% im Jahr 1890 auf 57,13 % im Jahr
1905. In Kurnik ist die polnische Bevölkerung
von 1840 bis 1895 um 30 %, von 1895 bis
1905 um weitere 7 % gestiegen; in Grätz stieg
sie von 36 % im Jahr 1840 auf 74% im Jahr
1905; in Kempen in der gleichen Zeit von 25 %
auf 59 %.
Die schärfste Gegnerin fand die Ansiedlungs-
kommission in den seit 1886 sich bildenden polni-
schen Banken. Gleich nach dem Einbringen des
ersten Ansiedlungsgesetzes wurde die „Verbands-
bank der Erwerbsgenossenschaften“ ins Leben ge-
Polenfrage.
184
denen Provinzialstädten, hauptsächlich im An-
schluß an bäuerliche Genossenschaften ins Leben
getreten sind. Alle haben sehr viel zur Erhaltung
und Stärkung des polnischen Bauernstandes bei-
getragen und den Ankaufsversuchen der Ansied-
lungskommission fühlbare Schwierigkeiten bereitet.
Wie in den Gepyossenschaften und den Land-
banken die durch den Zustrom preußischen Gelds
ungemein gesteigerte Finanzkraft der Polen eng
zusammengeschlossen wurde, so schmiedeten die kon-
sequent fortgesetzten Maßnahmen der Regierung die
sonst leicht zu gegenseitigen Reibereien geneigte
polnische Bevölkerung in an Größe und Kraft
stetszunehmenden Organisationen zus Dem
seit 1840 bestehenden, hauptsächlich die Beschaffung
von Mitteln für Unterricht und Studium be-
zweckenden Marcinkowski-Verein, der über
40 Kreiskomitees in der Provinz Posen verfügt und
namentlich in der Art seiner Organisation vorbild-
lich wirkte, sind in der Folge zahlreiche Vereine von
Bauern, Arbeitern, Handwerkern und Kaufleuten
zur Seite getreten, von denen insbesondere die
—½
rufen. Während bis dahin die seit etwa 15 Jahren Bauern= und Arbeitervereine eine starke Zunahme
bestehenden polnischen Genossenschaften fast gar zu verzeichnen haben. Alle diese Vereine stehen
nichts geleistet hatten, auch ein Versuch des Adels, statutengemäß ebenso den Deutschen wie den Polen
eine „Länderbank“ zu gründen, zunächst nur ge= offen; tatsächlich sind ihre Mitglieder fast aus-
ringen Erfolg aufzuweisen hatte, gelang es der schließlich Polen. Seitdem in den letzten zehn
„Verbandsbank" unter dem Zwang der Ereignisse 1 Jahren der Boykott anderer als von Polen be-
in kurzer Zeit, ein Grundkapital von ½ Mill. MI zogener Waren offen als nationale Pflicht hin-
zusammenzubringen und sich im Lauf der Jahre gestellt wird, sind die deutschen Kaufleute und
zu einer außerordentlich starken Finanzmacht aus-
zugestalten. Schon 1890 betrugen die Depositen-
gelder über 2,3 Mill. M. — Im Sept. 1900
wurde das Aktienkapital auf 1 Mill. M erhöht
und von nun an nahm die Bedeutung und der #9
Einfluß der Bank ganz erheblich zu. Im Jahr
1904 betrug der Umsatz in fremdem Kapital
14 Mill., in eignem Kapital nahezu 1½ Mill. M.
Das Grundkapital wurde nunmehr auf 3 Mill.
erhöht. Während diese „Verbandsbank“" haupt-
sächlich den Zusammenschluß und die Kredit-
stärkung der ihr angeschlossenen Genossenschaften
bezweckte und herbeiführte, nahmen die Land= und
Parzellierungsbanken den Kampf mit der An-
siedlungskommission offen auf, indem sie den pol-
nischen Grundbesitz zu erhalten und, wenn möglich,
zu vergrößern sich bestrebten. Die „Länderbank“
erhöhte 1890 ihr Aktienkapital auf 1,2 Mill. M,
1896 auf 2 Mill., 1900 auf 3 Mill., 1905 auf
4 Mill. A. Von ihr gingen ähnliche Bankeinrich-
tungen in Posen, Thorn, Olobok, Wiekowo aus,
vor allem aber eine ganz eigentümliche Einrich-
tung: der Zwiazek ziemian, ein Verband, der
die Erhaltung des Grundbesitzes in polnischen
Händen erstrebt und sich sehr wirksam mit der
Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse über-
schuldeter oder schlecht verwalteter Grundgüter be-
schäftigt. Hauptsächlich den bäuerlichen Besitz
schützt eine Anzahl von Parzellierungsbanken, von
denen zwei größere in Posen seit 1894 und 1897
bestehen, während kleinere seit 1902 in verschie-
Handwerker fast ganz ausgeschaltet. Ja, weit nach
Rußland und Osterreich hinein hat der Gegen-
schlag der polnischen Bevölkerung eine starke Be-
nachteiligung des deutschen Handels zur Folge
t
ehabt.
Neben den wirtschaftlichen Vereinen haben sich
auf beiden Seiten auch sonstige Organisationen
gebildet, welche mehr oder weniger offen den Kampf
der Nationalitäten unterstützen. Auf deutscher
Seite bildete sich 1894 der Ostmarkenverein,
der auch nach den Anfangsbuchstaben der Namen
seiner Gründer, der Rittergutsbesitzer Hansemann,
Kennemann und des früheren Regierungspräsi-
denten von Bromberg v. Tiedemann, des Ver-
fassers des Entwurfs zum Gesetz von 1886, der
H. K. T.-Verein und dessen Anhänger deshalb
„Hakatisten“ genannt werden. Die Art des Auf-
tretens dieses Vereins ließ recht häufig die Grenzen
der Klugheit und Billigkeit außer acht und trug
nicht wenig zur Verschärfung der nationalen Ge-
gensätze bei. Ihm zur Seite wirkt der „Verein
deutscher Katholiken in der Ostmark“,
der durch die Vermengung der Konfession mit
nationalen Fragen in noch größere Fehler verfallen
muß wie der erstere. — Auf polnischer Seite
wirken seit 1905 die Strazvereine, welche
die kulturelle Hebung der Polen, daneben aber
auch politische und materielle Zwecke verfolgen. —
und die Sokols, die dem Namen nach polnische
Turnvereine, in der Tat politische Vereinigungen
darstellen. Das Hauptverbreitungsgebiet der letz-