Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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schritt der Enteignung keine dauernde Besserung 
der Zustände herbeiführen kann, ist für jeden Vor- 
urteilsfreien von vornherein erkennbar. 
Das allmähliche Verdrängen der Polen von 
dem ländlichen Grundbesitz hat nach einer Mit- 
teilung der „Kreuzzeitung“ vom 14. Jan. 1910 
noch folgende Erscheinungen gezeitigt: In der Stadt 
Posen waren 1890 49,09 %% Deutsche; 1895 
waren es nur noch 46,98 %, 1900: 43.94 % ; 
1905: 42,72 %. Die Zahl der Polen stieg von 
50,76% im Jahr 1890 auf 57,13 % im Jahr 
1905. In Kurnik ist die polnische Bevölkerung 
von 1840 bis 1895 um 30 %, von 1895 bis 
1905 um weitere 7 % gestiegen; in Grätz stieg 
sie von 36 % im Jahr 1840 auf 74% im Jahr 
1905; in Kempen in der gleichen Zeit von 25 % 
auf 59 %. 
Die schärfste Gegnerin fand die Ansiedlungs- 
kommission in den seit 1886 sich bildenden polni- 
schen Banken. Gleich nach dem Einbringen des 
ersten Ansiedlungsgesetzes wurde die „Verbands- 
bank der Erwerbsgenossenschaften“ ins Leben ge- 
Polenfrage. 
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denen Provinzialstädten, hauptsächlich im An- 
schluß an bäuerliche Genossenschaften ins Leben 
getreten sind. Alle haben sehr viel zur Erhaltung 
und Stärkung des polnischen Bauernstandes bei- 
getragen und den Ankaufsversuchen der Ansied- 
lungskommission fühlbare Schwierigkeiten bereitet. 
Wie in den Gepyossenschaften und den Land- 
banken die durch den Zustrom preußischen Gelds 
ungemein gesteigerte Finanzkraft der Polen eng 
zusammengeschlossen wurde, so schmiedeten die kon- 
sequent fortgesetzten Maßnahmen der Regierung die 
sonst leicht zu gegenseitigen Reibereien geneigte 
polnische Bevölkerung in an Größe und Kraft 
stetszunehmenden Organisationen zus Dem 
seit 1840 bestehenden, hauptsächlich die Beschaffung 
von Mitteln für Unterricht und Studium be- 
zweckenden Marcinkowski-Verein, der über 
40 Kreiskomitees in der Provinz Posen verfügt und 
namentlich in der Art seiner Organisation vorbild- 
lich wirkte, sind in der Folge zahlreiche Vereine von 
Bauern, Arbeitern, Handwerkern und Kaufleuten 
zur Seite getreten, von denen insbesondere die 
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rufen. Während bis dahin die seit etwa 15 Jahren Bauern= und Arbeitervereine eine starke Zunahme 
bestehenden polnischen Genossenschaften fast gar zu verzeichnen haben. Alle diese Vereine stehen 
nichts geleistet hatten, auch ein Versuch des Adels, statutengemäß ebenso den Deutschen wie den Polen 
eine „Länderbank“ zu gründen, zunächst nur ge= offen; tatsächlich sind ihre Mitglieder fast aus- 
ringen Erfolg aufzuweisen hatte, gelang es der schließlich Polen. Seitdem in den letzten zehn 
„Verbandsbank" unter dem Zwang der Ereignisse 1 Jahren der Boykott anderer als von Polen be- 
in kurzer Zeit, ein Grundkapital von ½ Mill. MI zogener Waren offen als nationale Pflicht hin- 
zusammenzubringen und sich im Lauf der Jahre gestellt wird, sind die deutschen Kaufleute und 
zu einer außerordentlich starken Finanzmacht aus- 
zugestalten. Schon 1890 betrugen die Depositen- 
gelder über 2,3 Mill. M. — Im Sept. 1900 
wurde das Aktienkapital auf 1 Mill. M erhöht 
und von nun an nahm die Bedeutung und der #9 
Einfluß der Bank ganz erheblich zu. Im Jahr 
1904 betrug der Umsatz in fremdem Kapital 
14 Mill., in eignem Kapital nahezu 1½ Mill. M. 
Das Grundkapital wurde nunmehr auf 3 Mill. 
erhöht. Während diese „Verbandsbank“" haupt- 
sächlich den Zusammenschluß und die Kredit- 
stärkung der ihr angeschlossenen Genossenschaften 
bezweckte und herbeiführte, nahmen die Land= und 
Parzellierungsbanken den Kampf mit der An- 
siedlungskommission offen auf, indem sie den pol- 
nischen Grundbesitz zu erhalten und, wenn möglich, 
zu vergrößern sich bestrebten. Die „Länderbank“ 
erhöhte 1890 ihr Aktienkapital auf 1,2 Mill. M, 
1896 auf 2 Mill., 1900 auf 3 Mill., 1905 auf 
4 Mill. A. Von ihr gingen ähnliche Bankeinrich- 
tungen in Posen, Thorn, Olobok, Wiekowo aus, 
vor allem aber eine ganz eigentümliche Einrich- 
tung: der Zwiazek ziemian, ein Verband, der 
die Erhaltung des Grundbesitzes in polnischen 
Händen erstrebt und sich sehr wirksam mit der 
Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse über- 
schuldeter oder schlecht verwalteter Grundgüter be- 
schäftigt. Hauptsächlich den bäuerlichen Besitz 
schützt eine Anzahl von Parzellierungsbanken, von 
denen zwei größere in Posen seit 1894 und 1897 
bestehen, während kleinere seit 1902 in verschie- 
Handwerker fast ganz ausgeschaltet. Ja, weit nach 
Rußland und Osterreich hinein hat der Gegen- 
schlag der polnischen Bevölkerung eine starke Be- 
nachteiligung des deutschen Handels zur Folge 
t 
ehabt. 
Neben den wirtschaftlichen Vereinen haben sich 
auf beiden Seiten auch sonstige Organisationen 
gebildet, welche mehr oder weniger offen den Kampf 
der Nationalitäten unterstützen. Auf deutscher 
Seite bildete sich 1894 der Ostmarkenverein, 
der auch nach den Anfangsbuchstaben der Namen 
seiner Gründer, der Rittergutsbesitzer Hansemann, 
Kennemann und des früheren Regierungspräsi- 
denten von Bromberg v. Tiedemann, des Ver- 
fassers des Entwurfs zum Gesetz von 1886, der 
H. K. T.-Verein und dessen Anhänger deshalb 
„Hakatisten“ genannt werden. Die Art des Auf- 
tretens dieses Vereins ließ recht häufig die Grenzen 
der Klugheit und Billigkeit außer acht und trug 
nicht wenig zur Verschärfung der nationalen Ge- 
gensätze bei. Ihm zur Seite wirkt der „Verein 
deutscher Katholiken in der Ostmark“, 
der durch die Vermengung der Konfession mit 
nationalen Fragen in noch größere Fehler verfallen 
muß wie der erstere. — Auf polnischer Seite 
wirken seit 1905 die Strazvereine, welche 
die kulturelle Hebung der Polen, daneben aber 
auch politische und materielle Zwecke verfolgen. — 
und die Sokols, die dem Namen nach polnische 
Turnvereine, in der Tat politische Vereinigungen 
darstellen. Das Hauptverbreitungsgebiet der letz- 
 
	        
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