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dorff 15 verschiedene Theorien auf, von denen
einzelne sich nur durch feine Nüancierungen von-
einander unterscheiden. Die gebräuchlichste Ein-
teilung (wir folgen Hepp) ist die in absolute und
relative Theorien. Jene sind solche, für welche das
Verbrechen den alleinigen Rechtsgrund der Strafe
darstellt, ohne mit dieser irgend einen Zweck zu
verbinden; diese dagegen solche, welche die Strafe
gerade als Mittel zu einem Zweck auffassen und
nur in dieser Eigenschaft ihre Rechtfertigung, unter
Anerkennung ihrer Notwendigkeit, finden. Sodann
faßt man die absoluten und relativen Theorien
unter der Bezeichnung der einfachen Theorien zu-
sammen und stellt ihnen die gemischten gegenüber,
d. h. solche, welche entweder ausgesprochenermaßen
oder nur stillschweigend das Prinzip einer abso-
luten Theorie mit dem einer relativen oder mehrere
relative Prinzipien miteinander zuvereinigen suchen.
— Das Gemeinsame der absoluten Theo-
rien besteht darin, daß sie die Strafe als Vergel-
tung auffassen, weswegen man diese Theorien auch
Vergeltungstheorien genannt hat. Für Grotius
z. B. war die Strafe einfach das malum pas-
sionis, quod infligitur propter malum actio-
nis, d. h. also die Strafe ist reine Vergeltung.
(Einschränkend muß allerdings bemerkt werden,
daß Grotius lehrt, die weltliche Strafvergeltung
habe im Gegensatz zur göttlichen noch nebenher
einen gewissen Zweck im Auge, nämlich Besserung
des Schuldigen und die Sicherung der andern vor
ihm.) Für Kant war die Strafe eine Forderung
des kategorischen Imperativs, d. h. ein Gebot der
praktischen Vernunft, welches durch sich selbst
Gültigkeit hat. Nach Hegel ist das Verbrechen die
Regation des Rechts und die Strafe mit dialek-
tischer Notwendigkeit die Negation dieser Negation,
durch welche das verletzte Recht wieder hergestellt
wird. Dem entgegen spricht Stahl sich dahin aus,
daß das verletzte Recht nicht wieder hergestellt wer-
den könne, denn die einmal geschehene Übertretung
ist unwiderruflich; die Strase hat vielmehr den
Sinn, daß sie die einfache notwendige Folge des
Verbrechens der Gerechtigkeit wegen ist, die ver-
langt, daß nicht der verbrecherische Wille die Ober-
hand behält gegenüber der im Staat sich offen-
barenden äußern Ordnung der Dinge durch Gott.
Zu diesen absoluten Theorien gehört auch die von
v. Bar vertretene, wonach die Strafe nichts an-
deres ist als die sittliche Mißbilligung (Repro-
bation) des Unrechts. Das Strafrecht beruht hier-
nach „auf der in gewissem Umfang notwendigen
sittlichen Mißbilligung unsittlicher, d. h. den Be-
dingungen der Existenz und der Fortentwicklung
der menschlichen Gesellschaft schädlicher (bzw. ge-
fährlicher) Handlungen. Diese Mißbilligung ist
insofern notwendig, als die Sittlichkeit überhaupt
auf einer gewissen Solidarität des sittlichen Urteils
aller beruht und sich sortbildet“. — Der Grund-
gedanke der sog. relativen Strafrechtstheo-
rien ist das nec peccetur; denn die in der Ver-
gangenheit liegende Ubeltat „kann für sich allein
Strafe usw.
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nicht Vernunftgrund der Strafe sein, sondern es
muß sich mit ihr, da auf Vergangenheit nicht gewirkt
werden kann, ein in der Gegenwart liegender, oder
da die Gegenwart im Moment der Handlung ent-
flieht, ein für die Zukunft rechtlich notwendiger
Zweck verbinden, nämlich die aus der Schuld fort-
dauernde Störung für sie zu entfernen“. Dieser
Gedanke liegt zunächst den Abschreckungstheorien
zugrunde, die wiederum in zwei Klassen zerfallen,
nämlich in die, welche die Abschreckung in die
Strafvollziehung (dies ist die ältere), und die,
welche sie in die Strafandrohung verlegt; eine
Unterart der letzteren bildet wieder die Warnungs-
theorie. Davon ausgehend, daß die Strafe dazu
da ist, um die Rechtsordnung im Staat aufrecht
zu erhalten und die bürgerliche Gesellschaft zu
sichern, muß nach diesen Theorien die Strafe so
eingerichtet sein, daß sie nicht bloß auf den ein-
zelnen Verbrecher, sondern, wenn irgend möglich,
auf die ganze Bevölkerung abschreckend wirkt. Eine
ganz besondere Begründung erhielt die Ab-
schreckungstheorie durch Strafandrohung durch
Feuerbach, dessen Theorie speziell als die des pfy-
chologischen Zwangs bezeichnet worden ist. Sie
geht davon aus, daß alle Verbrechen ihren psycho-
logischen Entstehungsgrund in der Sinnmlichkeit
des Menschen haben, insofern als diese durch die
Lust an oder aus der Handlung angetrieben wird.
Diesem Entstehungsgrund wirkt psychologisch bei
allen die gesetzliche Drohung mit der Strafe als
der notwendigen Folge der Tat entgegen. Zu den
relativen Theorien gehören ferner, und zwar von
einigen als selbständige Gattungen, von andern
als Unterarten der Abschreckungstheorien aufge-
faßt, die sog. Präventions= oder Sicherungs-
theorien. Sie sehen in der Strafe ein Mittel zur
Abwendung einer bevorstehenden Gefahr der Ver-
letzung staatlicher Ordnung. Die verbrecherische
Handlungsweise eines Menschen, sofern er die freie
Willensbestimmung hat, dient zum Beweis, daß
es dem Handelnden an der vom Gesetz geforderten
dauernden Stimmung gegen das Unrecht und für
das Recht fehlt. Der ferneren Betätigung dieser
Stimmung durch Begehung neuer Verbrechen muß
man zuvorkommen entweder durch physischen oder
durch psychischen Zwang. Dieser Präventions-
zwang wird durch die Strafe ausgeübt, indem
dadurch die Unlust vor dem Verbrechen stärker als
jene Stimmung erregt wird. Dieser Präventions=
zwang übt seine Wirkung sowohl auf den einzelnen
(Spezialprävention) als auf alle (Generalpräven-
tion). Damit wird denn der Gefahr künftiger
Verletzung vorgebeugt. Hierher gehört sodann die
Besserungstheorie. Sie wendet sich hauptsächlich
gegen die Vergeltungstheorie, aber auch gegen die
Abschreckungs- und die Präventionstheorie, insofern
andere als der Verbrecher selbst dabei in Betracht
kommen, diesen Theorien vorwerfend, daß sie den
Menschen unzulässigerweise als Mittel für den
Zweck anderer benutzten. Sie setzt den Zweck der
Strafe in die Besserung oder Willensänderung