Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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ist die folgende öfters bei katholischen Schrift- 
stellern sich findende Erwägung nur mit großer 
Reserve als berechtigt anzuerkennen. Man sagt 
etwa, daß es doch Umstände geben könne, unter 
denen die Trennung von Kirche und Staat als 
das geringere Übel erscheine und der Verbindung 
beider vorzuziehen sei. Wenn nämlich der Staat 
die Religion feindselig aus allen seinen Institu- 
tionen, aus der Ehe, aus der Schule verbanne, 
wenn er die gesetzliche und öffentlich -rechtliche 
Verbindung mit der Kirche nur dazu benütze, um 
sie zu schädigen und zu unterdrücken, dann sei es 
für die Kirche schließlich besser, sie trenne sich von 
sich aus vom Staat und stelle sich auf den Boden 
des gemeinen Rechts, welches die im Staat be- 
stehenden privaten Vereine genießen. Ihr auch 
dieses zu verwehren oder sie weiter zu schikanieren, 
wäre Tyrannei. Allein wenn es einmal wegen 
staatlicher Bedrückung zu dieser von der Kirche 
selbst unternommenen Trennung kommen würde, 
so wäre die Hauptfrage immer noch die, „ob nicht 
eine radikale Majorität, welche sich jeder Rücksicht 
auf die Gewissensfreiheit in ihrem gewalttätigen 
Fanatismus für entbunden hält, den eklatantesten 
Beweis erbringt, daß — nach Geffckens bekanntem 
Ausspruch — pie Demokratie an sich nichts mit 
wahrer Freiheit zu tun hat“" (Deutsche Zeitschrift 
für Kirchenrecht VIII (1898 31 A. 3). So ist es 
auch erklärlich, daß die kirchlichen Behörden selbst 
bei der bedrängtesten Lage der Kirche noch nie von 
sich aus Anstoß zur Trennung von Kirche und 
Staat gegeben haben. Als im Sommer 1873 der 
Kulturkampf auf die Siedehitze gestiegen war und 
sich die hervorragendsten der Zentrumsführer, wie 
Windthorst und Peter Reichensperger, mit dem 
Gedanken der Trennung von Kirche und Staat 
trugen, da antwortete auf eine Anfrage der im 
Gefängnis befindliche Erzbischof Ledochowski von 
Gnesen-Posen, das Zentrum solle die Trennung 
nicht selbst beantragen, sondern warten, bis „die 
Bösen“ sie selber brächten. Und trotz der jahre- 
langen Chikanen der französischen Regierung gegen 
die französischen Katholiken und den Apostolischen 
Stuhl hat Rom doch niemals seinerseits die Tren- 
nung in das Auge gefaßt, und in der Enzyklika 
„Vehementer Nos“ vom 11. Febr. 1906 betonte 
Pius X. mit Recht seine freilich vergeblichen Be- 
mühungen, die französische Regierung von ihrem 
frevelhaften Beginnen der Trennung von Kirche 
und Staat zurückzuhalten. Immerhin erklärt der- 
selbe Papst in der Enzyklika „Grakvissimo officii“, 
daß, wenn irgend ein Staat sich von der Kirche 
getrennt habe, indem er ihr die allen gemeinsame 
Freiheit und die freie Verfügung über ihre Güter 
gelassen habe, er zwar aus mehr als einem Grund 
ungerecht gehandelt habe; man könne jedoch nicht 
behaupten, daß er für die Kirche eine absolut 
unerträgliche Lage geschaffen habe. Vgl. Säg- 
müller a. a. O. 31 ff. 
Literatur. Außer der bereits angeführten, der 
bei Rothenbücher, Die Trennung von Staat u. 
Trennung von Kirche und Staat. 
  
  
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Kirche 116 ff (Vereinigte Staaten von Amerika, 
Britische Kolonien), 187 ff (Frankreich), 354 (Me- 
xiko), 362 (Brasilien), 370 (Kuba), 371 (Ecnador), 
373 (Irland), 387 (Genf), 396 f (Belgien), 397 
(Italien), 425 (Holland), 429 (Kanada) zitierten 
u. der bis 1908 so gut wie vollständig über die 
Trennung in Frankreich im Jahrbuch des öffent- 
lichen Rechts II (1908) 239 ff enthaltenen: 
1. Allgemein: Stillfried, Trennung der 
Kirche vom Staat (1874): Nippold, Die Theorie 
der T. v. K. u. S. (1881); Bühlmann, Apprécia- 
tion des principauk arguments présentés au 
aveur de la séparation de I’Eglise et de I’Etat 
(1881); Bas, Etude sur les rapports de IEglise 
et de’Etat et sur leur séparation (1882); Muser, 
Die T. v. K. u. S. (o. J.); Frantz, Das Rechts- 
verhältnis von S. u. K., insbes. Trennung von S. 
u. K. (1905); Tröltsch, Die Trennung von S. u. 
K., der staatliche Religionsunterricht u. die theolo- 
gischen Fakultäten (1907); Gibson, L'Eglise libre 
dans 1 Etat libre (19;07); Maltese, Chiesa e Stato 
uniti o separati? (1908); Makower, Gezügelte 
Kirchen im freien Staat (1908); Hesse, La sépara- 
tion des Eglises et de l’Etat et le droit répressikt 
(1909); Mayer, Ist eine Veränderung des Ver- 
hältnisses zwischen Staat u. Kirche anzustreben? 
(1909); Mack, T. v. K. u. S. (1910); Brustlein, 
La sGparation de I’Eglisc et de I’Etat (1910). 
2. Vereinigte Staaten von Amerika: 
Klein, Au pays de la vie intense (1904); ders., 
La séparation aufx Etats-Unis (1908); ders., 
L'Amérique de demain (1909); Münsterberg, Die 
Amerikaner (1904) 188 ff; v. Bosse, Die kirch- 
lichen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten von 
Amerika (1905); At, La situation religieuse aux 
Etats-Unis. IIusions et réalités (1905); Andre, 
Les catholiques aux Etats-Unis de IAmérique 
du Nord (1905); derf., Luttes pour la liberté de 
Eglise catholique aux Etats-Unis (1907); derf., 
Une page d’histoire sur les associations cultu- 
elles ou un demi-siecle de troubles religieux dans 
1 Eglise des Etats-Unis (1907); Haupt, Staat 
u. Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika 
(1909); Morton, The roman catholic Church 
and its Relation to the federal Governement 
(1909). 
3. Frankreich: Giobbio, La chiesa e lo 
stato in Francia durante la rivoluzione 1789/99 
(1905); Pisani, L'Eglisc de Paris et la Revolu- 
tion (1908 ff); Lafont, Lu politique religieuse de 
Ia Révolution française (1908); Bourgin, La 
France et Rome de 1788 à 1797 (1909); Mathiez, 
La. Révolution et I’Eglise (1910). — Lecanuet, 
L’'Eglise de France sous la troisième Republique 
(1907ffl); Giobbio, La denunzia del Concordato e 
la separazione delle Chiese dallo Stato in Francia 
(1907); Friedrich, Die T. v. K. u. S. in Frank- 
reich (1907); Geigel, Die T. v. K. u. S. in Frank- 
reich (1908); Mater, La politique religieuse de 
la République française (1909); Boudinhon, 
Biens d’Eglise et peines canoniques (1910). 
4. Belgien: Gagliani, Rapporti fondamen- 
tali tra Stato e Chiesanel Belgio e in Italia (1904). 
5. Italien: Olmo, II diritto ecclesiastico vi- 
gente in ltalia (21903); L'’Eglise et I’Etat en 
Italie (1906); Galante, Elementi di diritto eccle- 
siastico (1909) 431 ff. 
6. Brasilien: Delepouve, Deux sparations 
de lEglise et de IEtat: Le Brésil, la France 
—
	        
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