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kann mit Zweidrittel Majorität der Mitglieder
beschlossen werden. Jede Kammer urteilt selbst
über die Gültigkeit der Wahl ihrer Mitglieder
und wählt selbst ihren Präsidenten und Vize-
präsidenten. Die Mitglieder beider Häuser er-
halten Diäten und sind für ihre Reden und Ab-
stimmungen bei der Ausübung ihres Mandats
unverantwortlich, dürfen nur auf frischer Tat ver-
haftet und nicht ohne Zustimmung der Kammer,
der sie angehören, angeklagt werden. In der Zeit,
in der die Asamblea General nicht tagt, besteht
eine ständige Kommission aus 2 Senatoren und
5 Deputierten, welche eine provisorische Gesetz-
gebungsgewalt und die Kontrolle über die Exe-
kutivbehörden besitzt.
Die Abgeordnetenkammer besteht aus 75 Mit-
gliedern, die alle drei Jahre, in der Regel am
letzten Sonntag im November, in allgemeiner,
direkter Wahl gewählt werden; wahlberechtigt ist
jeder 20 Jahre alte männliche Staatsbürger,
wählbar alle Personen, die seit fünf Jahren im
Genuß des Bürgerrechts, 25 Jahre alt sind und
ein Kapital von 4000 Pesetas oder ein gleich-
wertiges jährliches Einkommen besitzen. Nicht
wählbar sind alle aktiven Beamten, die Mitglieder
des Regularklerus und diejenigen des Welttlerus,
die von der Regierung eine Rente beziehen. Dem
Abgeordnetenhaus gebührt die Initiative bei allen
Gesetzen, die sich auf Steuern und Auflagen be-
ziehen, sowie das ausschließliche Recht der Anklage
des Staatsoberhaupts, der Minister und Mitglie-
der der Asamblea General und der höchsten rich-
terlichen Beamten bei bestimmten Verbrechen und
Vergehen (Verletzung der Verfassung, schlechter
Amtsverwaltung ufw.) vor dem Senat. Der
Senat besteht aus 19 Mitgliedern, je eines für
jedes Departement, die in indirekter Wahl auf
sechs Jahre gewählt werden; alle zwei Jahre
scheidet ein Drittel aus. Wähler sind alle 20 Jahre
alten männlichen Staatsbürger, wählbar die-
jenigen Personen, die seit sieben Jahren Staats-
bürger, 33 Jahre alt sind und ein Kapital von
10 000 Pesetas oder ein gleichwertiges Einkommen
besitzen; für den Senat gelten die gleichen Aus-
schließungsgründe wie für das Abgeordnetenhaus;
die Senatoren sind zudem erst nach zwei Jahren
wieder wählbar. Der Senat hat das ausschließ-
liche Recht bei Anklagen, die vom Abgeordneten-
haus ausgehen, das Verfahren zu eröffnen und
das Urteil zu sprechen.
Die ausführende Gewalt ruht in den Händen
eines Präsidenten, der vom gesetzgebenden
Körper mit absoluter Stimmenmehrheit auf vier
Jahre gewählt wird und erst nach Ablauf von vier
Jahren nach der Beendigung seines Amtstermins
wieder wählbar ist; der Präsident muß Staats-
bürger von Geburt sein und die für einen Senator
erforderlichen Eigenschaften haben. Bei Behinde-
rung des Präsidenten und bei Todesfall führt bis
zu einer Neuwahl der Senatspräsident die Exe-
kutivgewalt. Der Präsident hat den Oberbefehl
Uruguay.
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über die Streitkräfte des Landes (kann ihn aber
persönlich nur mit Zustimmung beider Kammern
führen), er kann den Kammern Gesetzentwürfe
vorschlagen, Reglements zur Durchführung der
Gesetze erlassen, die Minister und Sekretäre er-
nennen und absetzen, die militärischen und bürger-
lichen Beamten ein= und absetzen (einige höhere
Beamte jedoch nur mit Zustimmung des Senats
oder der ständigen Kommission), er übt das staat-
liche Patronat über die Kirche aus und hat gegen-
über der Gesetzgebung ein suspensives Veto. Dem
Präsidenten zur Seite steht ein Ministerium von
sechs Mitgliedern: für Inneres und Justiz, für
Außeres und Kultus, für öffentliche Arbeiten, für
Ackerbau, Industrie und Unterricht, für Krieg
und Marine und für die Finanzen. Behufs der
innern Verwaltung zerfällt das Land in 19 De-
partements, deren höchster Verwaltungsbeamter,
der Jefe politico, von der Zentralregierung er-
nannt wird. In jeder Departementshauptstadt
besteht eine Junta economico administrativa
aus 5/ Bürgern des Departements, die direkt
vom Volk auf drei Jahre gewählt werden, aber
nur eine beratende Stimme in allen Angelegen-
heiten des Departements haben, die sich auf den
Unterricht, auf Förderung des Ackerbaus und
Wohlstands u. dgl. beziehen.
Für die Rechtspflege besteht seit der Ge-
richtsorganisation von 1907 ein oberster Gerichts-
hof in der Hauptstadt, dessen fünf Richter von der
gesetzgebenden Körperschaft gewählt werden, wäh-
rend der Vorsitzende von den Richtern selbst aus
ihrer Mitte bestimmt wird; dieser Gerichtshof ist
zuständig als einzige Instanz in allen Verfassungs-,
Seerechts= und internationalen Fragen sowie als
höchste Appellinstanz in allen übrigen Sachen.
Außerdem gibt es zwei Appellationshöfe (jeder
mit drei Richtern), in jeder Departementshaupt-
stadt ein Departementsgericht und in jedem der
205 Gerichtsbezirke des Staats einen Friedens-
richter; jeder Gerichtsbezirk ist ferner in Distrikte
eingeteilt, in denen Alcalden in Bagatellsachen ur-
teilen. Die Todesstrafe wurde 1907 abgeschafft.
Staatsreligion ist die römisch-katholische,
doch herrscht vollkommene Religionsfreiheit. Das
Gebiet der Republik gehörte früher zur Kirchen-
provinz La Plata (Buenos Aires), wurde 1818
zum Apostolischen Vikariat, 1878 zum Bistum,
1897 zum Erzbistum Montevideo erhoben; bei
der Erhebung wurde beschlossen, daß zwei Suffra-
ganate in Melo und Salto errichtet werden soll-
ten, doch ist (bis 1910) keine Ernennung von
Suffraganbischösen erfolgt. Nach der Verfolgung
der Kirche unter dem Präsidenten Santos (1882
bis 1886), unter dem die Ablegung der Gelübde
durch die noch nicht 40 Jahre alten Religiosen
verboten, die Zivilehe eingeführt und der Vollzug
der Taufe vor der Eintragung in die bürgerlichen
Standesamtsregister mit Strafe belegt wurde, ist
das Verhältnis zwischen Kirche und Staat besser
geworden; 1909 wurden auch die lange unter-