Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Auflösung einer Genossenschaft, Strafbarkeit der 
Vorstände bei Erörterung öffentlicher, unter das 
Vereinsrecht fallender Angelegenheiten); 9) § 62 
des Reichsgesetzes betr. die Gesellschaften mit be- 
schränkter Haftung vom 20. April 1892 (Auf- 
lösungsbefugnis bei Gefährdung des Gemeinwohls 
durch gesetzwidrige Beschlüsse); 10) das Gesetz betr. 
das Vereinswesen vom 11. Dez. 1899, dessen ein- 
ziger Artikel bestimmt, daß inländische Vereine 
jeder Art miteinander in Verbindung treten dürfen; 
11) § 15, Nr 3 des Gesetzes betr. die Bekämpfung 
gemeingefährlicher Krankheiten. 
3. Beschränkungen durch das Landes- 
recht. a) „Unberühr t bleiben die Vorschriften 
des Landesrechts über kirchliche und religiöse Ver- 
eine und Versammlungen, über kirchliche Prozes- 
sionen, Wallfahrten und Bittgänge sowie über 
geistliche Orden und Kongregationen“ (5 24, 
Abf. 1). 
Im allgemeinen werden die Voraussetzungen 
für die Anwendung der besondern Bestimmungen 
des R.V.G. auf diese Veranstaltungen überhaupt 
nicht zutreffen. Nach dem Bericht der 14. Kom- 
mission zur Vorbereitung des Entwurfs S. 102 
sollen durch § 24 kirchliche Veranstaltungen über- 
haupt von den Bestimmungen des R.V.G. aus- 
geschlossen sein. Nach anderer Auffassung sollen 
diese genannten Veranstaltungen, auch wenn die 
Voraussetzungen für die Anwendung des R. V. G. 
auf sie zutreffen, diesem nur dann nicht unterstehen, 
sofern abweichende landesrechtliche Vorschriften 
vorhanden sind. Für Preußen ist durch die Be- 
stimmung des § 2, Abs. 3 des Preuß. Vereins- 
gesetzes bewirkt, daß auch kirchliche und religiöse 
Vereine, die Korporationsrecht haben, und ihre 
Versammlungen, auch wenn sie als politische gelten 
müßten, die Vorschriften der 8§ 3, 5, 7 (bestritten) 
R.V.G. keine Anwendung finden. Nach § 10 des 
Preuß. Vereinsgesetzes bedürfen Prozessionen usw., 
wenn sie in der hergebrachten Weise stattfinden, 
einer Genehmigung und Anzeige nicht. 
b) Unberührt bleiben ferner die Vorschriften des 
Landesrechts zum Schutz der Feier der Sonn= und 
Festtage; jedoch sind für Sonntage, die nicht zu- 
gleich Festtage sind, Beschränkungen des Versamm- 
lungsrechts nur bis zur Beendigung des vormit- 
tägigen Hauptgottesdienstes zulässig. Auch bleiben 
die Vorschriften des Landesrechts in Bezug auf 
Vereine und Versammlungen für die Zeiten der 
Kriegsgefahr, des Kriegs, des erklärten Kriegs- 
(Belagerungs-)zustands oder innerer Unruhen 
(Aufruhrs) unberührt. 
„P) Unberührt bleiben ferner u. a. die Vorschriften 
des Landesrechts in Bezug auf die Verabredungen 
ländlicher Arbeiter und Dienstboten zur Einstel- 
lung oder Verhinderung der Arbeit. — Dieser 
Vorbehalt wurde nur ausgenommen, um jeden 
Zweifel auszuschließen; denn die bezüglichen Vor- 
schriften gehören nicht dem Vereins= und Ver- 
sammlungsrecht, sondern dem Koalitionsrecht an 
(L. d. Art. Vereinigungsrecht). An diesbezüglichen 
Vorschriften des Landesrechts existiert ein preußi- 
Vereins= und Versammlungsrecht. 
  
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sches Gesetz vom 24. April 1854, das für Gesinde, 
Schiffsknechte, Dienstleute und bestimmte länd- 
liche Arbeiter das Koalitionsverbot normiert; es 
verbietet aber nur „Verabredungen und Aufforde- 
rungen“ zur Einstellung der Arbeit, nicht Ver- 
einigungen schlechthin. 
Sehr einschneidende Vorschriften in Bezug auf 
das Vereins= und Versammlungsrecht enthielt das 
Reichsgesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestre- 
bungen der Sozialdemokratie“ vom 23. Okt. 1878 
(Sozialistengesetz). 
Nach diesem waren Vereine, welche durch sozial- 
demokratische, sozialistische oder kommunistische Be- 
strebungen den Umsturz der bestehenden Staats- 
oder Gesellschaftsordnung bezweckten, zu verbieten. 
Dasselbe galt von Vereinen und Verbindungen 
jeder Art, in welchen derartige Bestrebungen in 
einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die 
Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden 
Weise zutage traten. Versammlungen bzw. öffent- 
liche Festlichkeiten und Aufzüge gleichen Charakters 
waren aufzulösen bzw. zu verbieten, wenn durch 
die Tatsache die Annahme gerechtfertigt war, daß 
sie zur Förderung der oben bezeichneten Bestre- 
bungen bestimmt seien. Das Sozialistengesetz ist 
am 1. Okt. 1890 außer Kraft getreten. 
B. Das Recht der privaten Bereine. Be- 
züglich der privaten Vereine und der Stellung der 
Vereine im Privatrecht war der Rechtszustand in 
Deutschland bis zum Inkrafttreten des B. G. B. 
ein unbefriedigender. Die zahlreichen Vereine, 
welche religiöse, wissenschaftliche, sittliche, wohl- 
tätige, soziale, politische, gesellige Zwecke ver- 
folgten — ideelle Vereine —, konnten Rechtsfähig- 
keit (Korporationsrecht) nur durch besondern 
Staatsakt erhalten. Nur auf Grund dieser staatlich 
verliehenen Korporationsrechte konnten diese Ver- 
eine Vermögen erwerben und besitzen, das rechtlich 
von dem Vermögen der Mitglieder getrennt war, 
also als Kläger und Beklagte auftreten. Nur auf 
Grund dieses selten und mit Vorsicht verliehenen 
Korporationsrechts konnte der Verein Grundeigen- 
tum und dingliche Rechte erwerben. Anders stand 
es um die lediglich auf Erzielung von Ver- 
mögensvorteilen ihrer Mitglieder gerichteten 
Gesellschaften (Erwerbsgesellschaften). Diese er- 
hielten, wenn sie unter den gesetzlichen Normal- 
bestimmungen gebildet waren, ohne weiteres durch 
ihre Gründung Korporationerechte. 
In dieser Beziehung ist grundlegend das ur- 
sprünglich für das Gebiet des Norddeutschen 
Bunds ergangene Gesetz vom 4. Juli 1868 betr. 
die privatrechtliche Stellung der Erwerbs= und 
Wirtschaftsgenossenschaften, Reichsge- 
setz vom 23. Juni 1873, Revision durch das 
Reichsgesetz vom 1. Mai 1889 in der Fassung der 
Bekanntmachung vom 14. Juni 1898. Dieses 
Gesetz bestimmt, daß Gesellschaften von nicht ge- 
schlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung 
des Kredits, des Erwerbs oder der Wirtschaft 
ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Ge-
	        
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