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ab. Deshalb besteht in keinem Kulturstaat voll-
ständige Unierrichtsfreiheit. Uberall wird die Be-
rechtigung zur Unterrichtserteilung durch den
Nachweis der Befähigung dazu erworben. Nicht
allein in wissenschaftlicher und technischer Be-
ziehung muß der Lehrer bestimmte Qualitäten
besitzen, er muß vor allem ein sittlicher Charakter
sein, denn die Erziehung ist die Hauptaufgabe der
Schule. In früheren Zeiten und in manchen
Ländern auch jetzt noch wird die Befähigung durch
ein Examen dargetan. Eine Prüfung allein ver-
mag aber nicht genügenden Aufschluß über die
Person des Prüflings zu geben. Deshalb ent-
standen überall besondere Anstalten für die Vor-
bildung des Lehrers, sobald die Anforderungen an
den Lehrer höhere wurden. Diese Anstalten heißen
in Deutschland. Osterreich, England und andern
Ländern Seminare, in den romanischen Ländern
meist Normalschulen. Die Lehrerbildungsanstalten
sind verhältnismäßig jungen Ursprungs. Die erste
selbständige Einrichtung dieser Art in Deutschland
verdanken wir Francke (1663/1727), der beiseinem
Waisenhaus in Halle ein seminarium praecep-
torum errichtete. Allerdings war es nur für junge
Theologen bestimmt, die dann drei Jahre an seinen
Schulen unterrichten mußten. Ahnliche Anfänge
machte man in Wesel (1687), Königsberg (1701),
Stettin (1732). Doch waren dies Veranstal-
tungen nebensächlicher Art. Hecker bildete zuerst
in größerem Maßstab junge Leute für den Lehrer-
beruf vor. Sein 1748 in Berlin errichtetes Schul-
lehrerseminar wurde 1753 zum Königlichen kur-
märkischen Landesseminar erhoben. 1765 gründete
der Saganer Abt Ignaz v. Felbiger (1724/88)
die Lehrerseminare Breslau, Leubus, Grüssau und
Rauden. 1774 wurde er nach Osterreich berufen
und sorgte auch dort für die Errichtung von
Lehrerbildungsanstalten. Gegenwärtig ist das
deutsche Seminarwesen das am besten organisierte
der Welt. Dem Eintritt in das Seminar geht in
der Regel der Besuch einer Präparandenanstalt
voraus. Doch besteht dafür keine bindende Ver-
pflichtung. Nach den Lehrplänen für die preußi-
schen Seminare und Präparandenanstalten vom
1. Juli 1901 werden diese beiden Lehrerbildungs-
anstalten in engen Zusammenhang gebracht. Wie
die Präparandenanstalt auf der Grundlage des in
der Volksschule vermittelten Wissens die allgemeine
Bildung der Zöglinge weiter führt, so setzt das
Seminar die nach dem Lehrplan der Präparanden=
anstalten vermittelten Kenntnisse voraus, bringt
die allgemeine Bildung zum Abschluß und sorgt
für die zur Verwaltung eines Volksschulamts er-
sorderliche Fachbildung. Die allgemeine Bildung
erstreckt sich auf alle in der Volksschule gelehrten
Unterrichtsfächer. Dazu kommen die Mathematik,
die französische oder englische Sprache, landwirt-
schaftlicher Unterricht und ein ausgedehnter Unter-
richt in verschiedenen Zweigen der Musik. Wo
bisher fakultativer Unterricht in der lateinischen
Sprache erteilt wurde, ist er beibehalten. Die
Volksschulen.
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Fachbildung ist Sache des Seminars. Sie besteht
in dem Unterricht in der Pädagogik und ihren
Hilfswissenschaften Psychologie und Logik; ein
besonderer Unterricht in der Ethik wird nicht er-
teilt, dagegen wird die Geschichte der Pädagogik
ausreichend berücksichtigt. Dazu kommen Unter-
weisungen in der Schulkunde und der Methodik
der einzelnen Unterrichtsfächer. Das auf diese
Weise gewonnene Wissen soll sich durch praktischen
Unterricht in der mit dem Seminar verbundenen
Übungsschule in sicheres Können umsetzen. Muster-
lektionen der Seminarlehrer geben Anleitung zum
Unterrichten. Der Abschluß der Seminarbildung
erfolgt durch eine Prüfung, an welcher auch solche
Prüflinge teilnehmen können, die ihre Vorbildung
nicht in einem Seminar erhalten haben. Zur
Prüfungskommission gehört außer den Vertretern
des Staats an katholischen Anstalten auch ein
bischöflicher Kommissar. Das Bestehen der Prü-
sung gibt die Berechtigung zum Militärdienst als
Einjährig-Freiwilliger. Der Prüfling erhält ein
Zeugnis, das ihn zur provisorischen Anstellung
an einer Volksschule befähigt. Nach frühestens
zwei, spätestens fünf Jahren hat der provisorisch
angestellte Lehrer eine zweite Prüfung abzulegen.
Diese erstreckt sich außer auf die Pädagogik und
Schulkunde nur auf einzelne Wissensgebiete, die
der Prüfling wählt; der junge Lehrer soll seine
Bildung mehr in die Tiefe als in die Breite aus-
dehnen. Inzwischen ist die Praxis der zweiten
Lehrerprüfung ebenso wie der Seminarlehrplan
vielfach für reformbedürftig erklärt worden. Ahn-
lich ist das Lehrerbildungswesen in fast allen deut-
schen Staaten geordnet. In Bayern erfolgt die
Vorbildung für das Seminar entweder auf einer
Präparandenschule oder durch Besuch einer Latein-
oder Realschule. Private Vorbereitung ist un-
zulässig. Der Seminarkursus ist zweijährig. Die
Seminarabiturienten (Schuldienstexspektanten)
werden aber einem Lehrer überwiesen, unter dessen
Leitung sie sich ein Jahr lang in der Schulpraxis
zu üben haben. Während dieser Zeit erhalten sie
im Bedürfnisfall Unterstützungen. Am Ende des
Jahres haben sie sich einer Prüfung zu unter-
ziehen, durch welche sie Hilfslehrer werden und die
Befähigung zur Verwaltung einer Schulklasse er-
halten. Sie sind dann zu vierjährigem Besuch der
Fortbildungskurse und nach Absolvierung derselben
zur Ablegung der Anstellungsprüfung verpflichtet.
Diese Prüfung erstreckt sich auf alle Fächer. Sachsen
besitzt nicht zweigeteilte Lehrerbildungsanstalten,
sondern sechsklassige Seminare. In Osterreich sind
die Seminare vierklassig. Ihre Einrichtung ist der
in Preußen ähnlich. Das Reifezeugnis berechtigt
nur zur Anstellung als provisorischer Unterlehrer.
Die Lehrbefähigungsprüfung, durch welche die
Befähigung zur definitiven Anstellung erworben
wird, kann für Volks= oder für Bürgerschulen ab-
gelegt werden. In England ist die Anstellung als
Lehrer nach dem Gesetz vom 9. Aug. 1870 nicht
durch die Vorbildung im Seminar bedingt. Jeder-