Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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mann, ob Geistlicher oder Laie, kann dort den 
Unterricht an einer öffentlichen Volksschule er- 
teilen, wenn er dem Staat gegenüber seine Be- 
fähigung nachgewiesen hat. Im allgemeinen ist 
dort der angehende Lehrer 5/6 Jahre lang als 
Schullehrling (Probelehrer, Schülerlehrer) be- 
schäftigt; er erhält und erteilt Unterricht, muß sich 
jährlich einer Prüfung unterziehen und empfängt 
eine sich allmählich steigernde Vergütung. Nach 
Ablauf der Lehrzeit kann er als Hilfslehrer an 
einer kleinen Schule angestellt werden; viele Lehrer 
besuchen jedoch noch zwei Jahre das Seminar. In 
den Vereinigten Staaten von Amerika geschieht 
die Heranbildung der Lehrer auf Normalschulen 
und durch Normalkurse; erstere werden 1/4 Jahre, 
letztere 56 Monate besucht. Die Prüfungen 
müssen von dem Lehrer sehr oft wiederholt wer- 
den, es werden Zeugnisse dreier Grade erteilt, und 
die Dauer der Anstellung schwankt je nach dem 
Ausfall der Prüfungen zwischen sechs Monaten 
und einem Jahr. Viele Länder besitzen neben 
einem geordneten Seminarwesen noch verschiedene 
Noteinrichtungen, durch welche Lehrer in kurzer 
Zeit herangebildet werden. 
Damit der Lehrer weiter arbeite, sind in einigen 
Ländern Prüfungen angeordnet, deren Ablegung 
nicht obligatorisch ist. In Preußen berechtigt die 
erste zur Anstellung als Lehrer an Mittelschulen 
und höheren Mädchenschulen, die zweite, die Rek- 
torenprüfung, zur Anstellung als Leiter einer sechs- 
oder mehrklassigen Volksschule oder Mittelschule, 
letzteres, wenn die Prüfung sich auch auf fremde 
Sprachen erstreckte. Die Mittelschulprüfung wird 
in der Pädagogik und zwei wahlfreien Fächern 
abgelegt, die Rektorprüfung soll den Nachweis ein- 
gehender Kenntnis aller Unterrichtsgegenstände, 
ihrer Methode und des gesamten Volksschulwesens 
erbringen. 
In neuerer Zeit ist Zulassung der Lehrer zum 
Universitätsstudium oft Gegenstand der Erörte- 
rungen. In Sachsen besitzen die Lehrer mit dem 
Zeugnis I seit längerer Zeit die Berechtigung zum 
Studium auf der Landesuniversität, in andern 
Bundesstaaten ist sie den Lehrern mit erstklassigem 
Zeugnis neuerdings verliehen worden. Es han- 
delt sich hierbei in erster Linie darum, geeignete 
Volksschullehrer für den Seminar= und Schul- 
aussichtsdienst mit einer weitergehenden Bildung 
zu versehen. In Preußen sind zu diesem Zweck 
akademische Kurse eingerichtet, die in Berlin, 
Posen und demnächst auch an einer westlichen 
Universität abgehalten werden und 1/2 Jahre 
dauern. Es werden nur durch die Regierungen 
ausgewählte Teilnehmer zugelassen. In weiten 
Kreisen der Volksschullehrer erstrebt man Berech- 
tigung zum Universitätsstudium für alle Lehrer oder 
voch für solche, welche sich einer Ergänzungsprüfung 
unterziehen. Viele wollen auch die akademische Vor- 
bildung an die Stelle der seminarischen setzen. 
Die Lehrerinnen erhalten im allgemeinen 
eine ähnliche Ausbildung wie die Lehrer. In 
Volksschulen. 
  
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Preußen erfolgt diese jedoch größtenteils in Pri- 
vatanstalten. Die Lehrerinnen brauchen eine zweite 
Prüfung nicht abzulegen. In Nordamerika und 
England überwiegt die Zahl der Lehrerinnen be- 
deutend die der Lehrer, in den katholischen Län- 
dern Europas liegt der Unterricht der Mädchen 
ausschließlich in den Händen von Lehrerinnen. 
Da aber die häusliche Erziehung der Kinder in 
sehr zahlreichen Fällen fast allein der Mutter 
überlassen ist, so erscheint es nicht zweckmäßig, den 
männlichen Einfluß bei der Heranbildung der 
Mädchen in der Schule vollständig auszuschließen. 
Umgekehrt unterliegt es keinem Bedenken, Lehre- 
rinnen den Unterricht in einer unteren Knaben- 
oder gemischten Klasse zu übertragen. Die Ber- 
liner Schulverwaltung faßte im Jahr 1879 den 
im ganzen zu billigenden Beschluß, für 24 Mäd- 
chenklassen 138 Lehrerinnen und 11 Lehrer an- 
zustellen. Doch werden in Wirklichkeit mehr Lehre- 
rinnen berufen, als diesem Verhältnis entsprechen 
würde. Von den 101.051 Schulstellen, die Preußen 
im Jahr 1906 zählte (gegen 89 163 im Jahr 
1901) waren 16 027 für Lehrerinnen (gegen 
12774 im Jahr 1901) und unter diesen 7153 für 
evangelische (gegen 5634 im Jahr 1901) und 
8874 für katholische Lehrerinnen (gegen 7140 im 
Jahr 1901). 
Über die Anstellung der Lehrpersonen 
in Preußen ist bereits früher (vgl. Sp. 922 ff) das 
Nötige gesagt. Zu bemerken ist noch, daß in 
Preußen die Seminaristen sich durch Revers ver- 
pflichten, in den ersten fünf Jahren ihrer Lehr- 
tätigkeit jede Stelle anzunehmen, die ihnen von 
der Schulaussichtsbehörde zugewiesen wird. Lehre- 
rinnen können schon nach einer dreijährigen Tätig- 
keit an einer anerkannten Schule, Lehrer frühestens 
nach fünf Jahren endgültig im Amt angestellt 
werden. In Osterreich geschieht die provisorische 
Anstellung durch den Bezirks-, die definitive durch 
den Landesschulrat. In England ist die Berufung 
der Lehrer an den konfessionellen Schulen Sache 
des Schulvorstands, der die Lehrer anstellt und 
entläßt. In Nordamerika geschieht die Berufung 
nur durch die Gemeinde, und zwar auf Kündigung. 
Auch die schwedischen Lehrer sind auf Kündigung 
angestellt. 
Als Lebensalter für den Eintritt in das Schul- 
amt gilt allgemein das 20. Jahr. Bei der ersten 
Anstellung erfolgt in den meisten Staaten die 
Ablegung des Diensteides. Die preußischen Lehrer 
gelten als mittelbare Staatsbeamte, die im Dienst 
der Gemeinde stehen. Sie haben nach der Ver- 
sfassung die Rechte und Pflichten der Staatsdiener. 
In Bayern gelten sie nicht als Staatsbeamte, 
aber auch nicht als Gemeindebeamte. Ahnlich 
liegen die Verhältnisse in Osterreich, wo das 
Ministerium unter dem 11. Okt. 1875 ent- 
schied: „Der Dienst an öffentlichen Volksschulen 
ist ein öffentliches Amt, ohne diese öffentlichen 
Funktionäre den Staats-, Landes= oder Ge- 
meindebeamten einzureihen.“ In vielen Län-
	        
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