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schließen, Bündnisse und andere Verträge mit
fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu be-
glaubigen und zu empfangen.“
Wenn es nun aber auch unbestritten ist, daß
die vollziehende Gewalt zum Abschluß der inter-
nationalen Verträge allein befugt erscheint, und
wenn es aus den soeben entwickelten Gründen
keinem Zweifel unterliegen kann, daß die Staats-
regierung nicht verpflichtet ist, den verfassungs-
mäßigen Vertretungskörpern während der mit
einem andern Staat schwebenden Verhandlungen
Aufschlüsse über den Inhalt derselben zu erteilen
oder darauf abzielende Anfragen zu beantworten,
so leuchtet es anderseits nicht minder ein, daß die
meisten der zwischen den verschiedenen Staaten
vereinbarten Verträge die inneren Angelegenheiten
der Länder auf eine sehr bedeutende Weise beein-
flussen und daß dieselben Gegenstände zu regeln
bestimmt sind, welche nur unter Mitwirkung der
verfassungsmäßigen Vertretungskörper geordnet
werden dürfen. Es müssen sich demnach die
Staatsregierungen stets gegenwärtig halten, daß
es sich für sie beim Abschluß internationaler ver-
tragsmäßiger Abmachungen um zweierlei handelt:
einerseits um die Ubernahme von Verpflichtungen
gegenüber einer fremden Macht, anderseits um die
Genehmigung der durch den Staatsvertrag er-
worbenen Rechte und der durch denselben ein-
gegangenen Verbindlichkeiten von seiten der ein-
heimischen verfassungsmäßigen Vertretung. Daher
wurde schon frühzeitig in Fällen, in welchen die
Mitwirkung der ständischen Versammlungen zur
Durchführung internationaler Abmachungen er-
sorderlich schien, diese Zustimmung in den be-
treffenden Staatsverträgen selbst als Bedingung
ihrer Gültigkeit vorgesehen. So sehr sich sogar
eine so stark von dem nationalen Willen abhängige
Regierung wie diejenige Englands stets geweigert
hat, während der Dauer der Verhandlungen,
welche dem Abschluß internationaler Staats-
verträge vorausgingen, dem Parlament diesbezüg-
liche Aufschlüsse zu erteilen, so sehr ist die Not-
wendigkeit der Zustimmung der konstitutionellen
Vertretung der politisch berechtigten Bevölkerungs-
klassen zu auf die inneren Staatsangelegenheiten
bezüglichen Verträgen selbst von stark absolutistisch
veranlagten Staatsherrschern anerkannt worden.
Beim Abschluß des Ehevertrags zwischen Lud-
wig XIII. von Frankreich und der spanischen In-
santin Anna von Osterreich im Jahr 1612, und
sogar noch im Jahr 1659, als der Pyrenäische
Friede geschlossen und die Vermählung Lud-
wigs XIV. mit der Infantin Maria Theresia von
Spanien vereinbart wurde, behielt man die Zu-
stimmung der gesetzlichen Vertretungen Frank-
reichs und Spaniens zu den Abmachungen der
Kronen als Bedingung für die Gültigkeit der-
selben vor. Es handelte sich in diesen Fällen zwar
nicht darum, den Untertanen neue Lasten auf-
merlegen, aber die Ordnung der Erbfolge erschien
als eine so wichtige Frage, daß die endgüllige
Staatsverträge.
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Reglung derselben der Zustimmung der Stände-
versammlungen vorbehalten wurde.
In früheren Zeiten war vielfach nicht mit Ge-
nauigkeit bestimmt, in welchen Fällen die Zu-
stimmung der Ständeversammlungen der verschie-
denen Staaten notwendig war, damit die von den
betreffenden Regierungen abgeschlossenen inter-
nationalen Staatsverträge als gültig betrachtet
werden konnten. Daß dies dann der Fall sei,
wenn die Regierung den Ständen in einem be-
stimmten Fall ein diesbezügliches Versprechen ge-
geben hatte, konnte nicht zweifelhaft sein. Ebenso
kam es vor, daß die Gesetze der Staaten dies-
bezügliche Verordnungen enthielten, die sich frei-
lich bei dem sich mehr traditionell und allmählich
entwickelnden Charakter der Gesetzgebung auch
noch der nachmittelalterlichen Staaten und dem
sich daraus ergebenden Mangel an Übersichtlich-
keit und systematischer Ordnung der gesetzlichen
Festsetzungen nicht immer durch Klarheit und Ge-
nauigkeit auszeichneten. Ein durchgreifendes Zu-
stimmungsrecht der Ständeversammlungen zu
allen wichtigeren Abmachungen internationaler
Natur, welche von den Staatsregierungen ab-
geschlossen wurden, bestand jedenfalls noch nicht.
Vielmehr war dieses Zustimmungsrecht auf ge-
wisse Arten von Staatsverträgen beschränkt. In
den älteren ständischen Privilegien und in den
darüber ausgestellten Freibriefen war den Land-
ständen häufig das Recht der Bestätigung von Ab-
tretungen des Landes oder auch nur von Teilen
desselben an fremde Landesfürsten zugesichert, ein
Recht, das sich auch auf die Verpfändung des Landes
oder einzelner Landesteile erstreckte; solche Ver-
pfändungen gehörten infolge der privatrechtlichen
Auffassung und Behandlung der öffentlichen
Rechte im Mittelalter und während der folgenden
Jahrhunderte nicht zu den Seltenheiten. Aus-
nahmen von diesem Zustimmungsrecht der land-
ständischen Vertretungskörper waren nur hinsicht-
lich außerordentlicher Notfälle, wie sie infolge un-
glücklicher Kriege und der dieselben beendigenden
Friedensschlüsse vorkommen, vorgesehen, wie z. B.
in der württembergischen Verfassungsurkunde vom
Jahr 1819 § Za unter „unabwendbarer Not-
fall“ und im hannoverschen Landesgrundgesetz
vom Jahr 1840 mittels Erwähnung der Frie-
densschlüsse. Einfache Grenzberichtigungen ohne
Bedeutung wurden indessen durch manche Ver-
fassungen von dem freien Belieben der Staats-
regierung unabhängig gemacht. So enthält die
Verfassungsurkunde des Königreichs Sachsen vom
Jahr 1831 § Z2a die folgende Bestimmung:
„Grenzberichtigungen mit benachbarten Staaten
sind unter der ständischen Zustimmung nicht be-
griffen, wenn dabei nicht Untertanen abgetreten
werden, welche unzweifelhaft zu dem Königreich
gehört haben."
Daß die Verfassungen der sog. modernen Staa-
ten, also der Staaten, in denen die Staatsgewalt
in keiner Weise mehr als ein nutzbares Recht des